Obdachlosenzeitschrift "Novy Prostor" -Sprachrohr der Ultralinken?

Es geschieht nicht oft, dass über sie in der Öffentlichkeit und in den Medien diskutiert wird - Zeitschriften, die von Obdachlosen in der Stadt frei verkauft werden. Im Falle der tschechischen Obdachlosenzeitschrift Novy Prostor ist aber genau das geschehen. Christian Rühmkorf spricht im heutigen "Spiegel der Medien" mit dem Publizisten Adam Drda über Inhalt und Zweck der Zeitschrift "Novy Prostor" - zu Deutsch "Neuer Platz".

Adam Drda
Wie in vielen anderen Ländern, so gibt es auch in Tschechien eine Obdachlosenzeitung: "Novy Prostor". Seit Dezember vergangenen Jahres hat die Zeitschrift erstmals eine ständige Redaktion. Die Chefredakteurin von "Novy Prostor", Erika Hnikova, hatte im Februar in einem Gespräch mit Radio Prag angekündigt, die Zeitschrift vom Odachlosen-Image befreien zu wollen, sie kontrovers zu gestalten und mit "echtem" Inhalt zu füllen. Mitte Juli erschien in der Tageszeitung "Mlada fronta Dnes" ein Artikel vom Journalisten und Rundfunkredakteur Adam Drda, indem dieser die neuen Inhalte stark kritisiert. Adam Drda habe ich heute zu mir ins Studio eingeladen.

Herr Drda, was war der Auslöser, dass Sie über die ansonsten weniger beachtete Obdachlosenzeitschrift "Novy Prostor" geschrieben haben?

"Der Auslöser war, dass die Zeitschrift sich offenbar nicht als ein Vermittler von Information versteht, also als normales journalistisches Produkt, sondern stattdessen Ideologie verbreitet. Die Ideologie, welche man im "Novy Prostor" vorfindet, ist meiner Ansicht nach ultra-links. Dazu passt auch, dass einer der Redakteure, Odrej Slacalek, ein ultra linker, anarchistischer Aktivist ist. Er ist kein Journalist im herkömmlichen Sinne, sondern ein Mensch, bei dem sich die publizistische Arbeit direkt mit einem politischen Engagement vermischt. Und das ist auf den Seiten der Zeitschrift zu sehen. Sie sind voll von Abneigung gegenüber den USA, Aversion gegenüber der katholischen Kirche und Propagierung des Feminismus."

Sind das Ihrer Meinung nach Tabu-Themen?

"Es ist natürlich nicht per se schlecht solche Themen zu behandeln und zum Beispiel auf der Basis von Analysen und Fakten Kritik an den USA zu üben. Aber aus den Texten dieser Zeitschrift weht ihnen eine starke Voreingenommenheit entgegen, und zwar in der Richtung, wie man sie aus ultra-linken Zeitschriften kennt."

Könnten Sie ein konkretes Beispiel für Ihre Kritik geben?

"Wenn Sie mit jemandem zum Beispiel ein Interview führen über Amerika - wie das im "Novy Prostor" geschehen ist - und ihr Gesprächspartner sagt Dinge, die ein Mensch, der einmal in Amerika war, eigentlich nicht sagen würde, dann muss ihnen das als unvoreingenommener Journalist sonderbar erscheinen. Und wenn Sie feststellen wollen, ob ihr Gesprächspartner nicht einfach nur etwas daherquatscht, dann stellen Sie wenigstens eine Gegenfrage. Wenn man das als Journalist nicht macht und es kommen am Ende dabei Sachen heraus, wie: Amerika ist auf dem Sklavenhandel errichtet worden, ist ein Land mit einem totalitären System, dann scheint die Redaktion wohl diesen Meinungen zuzustimmen. Ich halte es für schlecht, wenn so etwas aus den Artikeln hervorgeht."

Herr Drda, Sie hatten in ihrem Artikel auch das Thema Feminismus erwähnt, über das in Tschechien immer häufiger diskutiert wird. Premier Mirek Topolanek sagte Anfang April in seinem Grußwort zur Eröffnung des Europäischen Jahres der Chancengleichheit: "Im Zusammenhang mit Frauen kann man nicht von einer benachteiligten Minderheit sprechen und ebenso wenig von Chancengleichheit. Schwangerschaft und Mutterschaft sind ein Privileg der Frauen und dieses Privileg verursacht apriori einen Unterschied zwischen Mann und Frau. Zum Beispiel auf dem Arbeitsmarkt. Das ist natürlich, das ist logisch, das ist gesund." Dieser Äußerung hat sich auch die Zeitschrift "Novy Prostor" gewidmet und zwar in einer Weise, die Sie kritisieren.

"In der tschechischen Regierung sitzt Minister Jiri Cunek, der gleichzeitig auch Vizepremier ist. Neben der Tatsache, dass ihm Korruption vorgeworfen wird, meine ich, dass er ein Rassist ist. Und so hat er sich - wie man allgemein weiß -auch gegenüber den Roma verhalten. Im Novy Prostor erschien ein Artikel, der die Äußerungen von Premier Mirek Topolanek betraf. Im Novy Prostor wurden Topolanek nicht nur Sachen in den Mund gelegt, die er nicht gesagt hatte, sondern man konnte dort auch in etwa Folgendes lesen: `Ein Regierungsmitglied zieht die Aufmerksamkeit mit Rassismus auf sich und ein anderes hat sich entschieden, dem in nichts nachzustehen und macht eine ähnliche Sache.` Und plötzlich werden Rassismus und eine Meinung über die Stellung der Frau in der Gesellschaft auf eine Ebene gestellt. Und zwar, weil die Redaktion der Zeitschrift "Novy Prostor" diese Meinung nicht teilt. Das sind Dinge, die nichts miteinander zu tun haben. Das eine ist eine Meinung über ein gesellschaftliches Problem, das andere ist das Herfallen über Leute, weil sie eine andere Hautfarbe haben. Das ist nur ein Beispiel, aber es verdeutlicht die Art des ideologischen Denkens, über das ich gesprochen habe."

Was ist denn Ihrer Meinung nach der Sinn einer solchen Obdachlosenzeitschrift?

"Sinn dieser Zeitschrift ist eindeutig Menschen zu helfen, die in Not sind. Leute kaufen sich die Zeitung nicht in erster Linie, um ihre interessante Lieblingszeitung zu lesen. Die Leute kaufen sie, weil sie die obdachlosen Verkäufer sehen, weil sie das Projekt kennen und den Leuten helfen wollen. Und die Zeitung ist mit 40 Kronen relativ teuer. Es ist völlig in Ordnung, wenn die Zeitschrift kontrovers ist. Schlecht ist allerdings, wenn sie irgendeine Ideologie verbreitet, ganz gleich welchen Inhalts."

Wenn also zum Beispiel irgendeine kirchliche Organisation diese Zeitung machen und nur ihre Meinungen verbreiten würde, dann würden Sie die gleiche Kritik äußern?

"Dann würde ich das gleiche denken. Warum? Weil die Obdachlosen auf diese Weise zu Predigern der Ideologie eines anderen werden. Das verursacht für die Obdachlosen Probleme, zum einen, weil es die Käufer ärgert und sie sich die Zeitschrift nicht mehr kaufen, zum anderen, weil die Obdachlosen etwas verdienen und nicht eine Ideologie verbreiten wollen. Deshalb ist es besser, wenn die Zeitschrift sich nicht mit dem unmittelbaren politischen Geschehen befasst."

"Novy Prostor" hat eine relativ hohe Auflage von 15 bis 20.000 Stück pro Ausgabe. Eigentlich ein Anlass zur Freude. Aber in Ihrem Artikel ist das auch ein entscheidender Punkt für Ihre Kritik. Warum?

"Wenn sich die Zeitschrift mit diesem Inhalt auf dem normalen Zeitungsmarkt behaupten müsste, dann würde sie nie diese Auflagenzahlen erreichen. Mir kommt das eben wie ein Missbrauch dieser Sache vor. Das kann man so nicht machen.

Herr Drda, welche Themen sollten denn Ihrer Meinung nach in der Obdachlosenzeitschrift gesetzt werden?

"Das Potential dieser Zeitung, also die Tatsache, dass sie von so vielen Leuten gekauft wird, kann man viel besser nutzen, in dem man Themen behandelt, welche die tschechische Gesellschaft ignoriert und die in den anderen Medien nie diesen Raum erhalten. Zum Beispiel: die Situation von Flüchtlingen, Behinderten, Ausländern, Leuten, die sozial benachteiligt sind. Aber nicht nur die Geschichten dieser Menschen, sondern auch Analysen, wie sich die Gesellschaft ihnen gegenüber verhält. "Novy Prostor" erfüllt diese Rolle nur teilweise. Vielleicht gibt es dazu ab und zu mal einen Artikel, aber das ist meiner Meinung nach viel zu wenig. Diese Themen könnte man mit dieser Zeitung auf geschickte Weise an die Menschen herantragen. Und das ist wichtiger, als die Verbreitung irgendwelcher ultralinken Gedanken."

Der von Adam Drda kritisierte Redakteur von "Novy Prostor", Ondrej Slacalek, hat inzwischen an gleicher Stelle in der Zeitung "Mlada fronta Dnes" reagiert und die Vorwürfe zurückgewiesen. Dem Leser bleibt wohl nichts anderes übrig, als sich selbst ein Bild von der Zeitschrift "Novy Prostor" zu machen.