Im Schatten auf die Macht warten. Die Tschechischen Kommunisten nach 1989. Gespräch mit Adam Drda über sein neues Buch

Als eine der ersten postkommunistischen Gesellschaften erklärten die Tschechen Anfang der 90er Jahre per Gesetz das kommunistische Regime für gesetzwidrig und leiteten die Lustration ehemaliger Funktionäre ein. Gleichwohl verfügt die kommunistische Partei heute in der tschechischen Bevölkerung über eine starke Rückendeckung. Warum setzen sich die Tschechen nicht kritischer mit ihrer eigenen kommunistischen Vergangenheit auseinander? Diese Frage haben sich die Journalisten Adam Drda und Petr Dudek gestellt. Ihr jetzt erschienenes Buch "Wer im Schatten auf die Macht wartet - Die tschechischen Kommunisten nach dem November 1989" versteht sich als eine Art Bestandsaufnahme der öffentlichen Debatte über Vergangenheit und Gegenwart der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM). Mehr darüber erfahren Sie jetzt gleich in einer neuen Ausgabe der Sendereihe "Im Spiegel der Medien" von Silja Schultheis. Zu Gast bei ihr im Studio ist Adam Drda, einer der beiden Buchautoren.

Herr Drda, können Sie unseren Hörern kurz erklären, was Sie veranlasst hat, ein Buch über die Entwicklung der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens nach 1989 zu verfassen?

Nun, das Problem der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSCM) ist im postkommunistischen Europa einzigartig: Nirgendwo anders gibt es eine so starke kommunistische Partei, die sich nach 1989 so wenig reformiert hat. Die Mitglieder der heutigen KSCM bekennen sich zu 99 Prozent zur kommunistischen Ideologie Breschnews oder sogar Stalins. Und ich habe mich - gemeinsam mit dem Co-Autor des Buches, Petr Dudek, gefragt, warum sich hier niemand mit dieser Partei beschäftigt.

Die Tschechen haben ihre jüngste Vergangenheit vergessen oder aufgehört, sie als Problem wahrzunehmen, steht im ersten Kapitel Ihres Buches...

Ja, ich denke, das liegt einmal daran, dass der Anteil derjenigen, die in Opposition zum kommunistischen Regime gegangen sind, in der Tschechoslowakei relativ klein war. Und zweitens war das kommunistische Regime hier - im Vergleich etwa zu dem in Russland - kein grausames Regime. Es hat natürlich die Menschen in ihrem Alltag schikaniert, aber wenn man als Durchschnittsbürger keinen Widerstand geleistet hat, wurde man in Ruhe gelassen. Und deshalb haben viele Menschen das Regime unterstützt, ohne sich das selbst zu vergegenwärtigen. Ich glaube, viele haben deshalb heute ein schlechtes Gewissen, weil sie im Unterbewusstsein spüren, dass das Regime ohne sie nicht hätte existieren können. Und einfacher als ernsthaft darüber nachzudenken, wo man selber versagt hat, ist es heute zu sagen: Aber es war doch sowieso allen klar, dass die kommunistische Ideologie Unsinn ist. Wir haben das Regime nur nach außen hin unterstützt.

Ex-Präsident Vaclav Havel,  1989

Und deshalb wird die KSCM heute von so vielen Leuten offen unterstützt, indem sie ihr ihre Stimme geben?

Das ist keine offene Unterstützung. Das Problem sind nicht die 13 Prozent, die etwa bei den letzten Wahlen für die Kommunisten gestimmt haben, denn das sind zu 80 Prozent Menschen über 70 und sie werden immer weniger. Das Problem ist die große Mehrheit, die den Kommunisten zwar selbst nicht wählt, aber auch nichts dagegen hat, dass diese Teil der politischen Szene sind. Und die Zahl derer, die das problematisch finden, ist rückläufig. Die meisten stört es nicht, dass diese Partei ihre eigenen Verbrechen vor 1989 heute leugnet. Das ist ganz anders als etwa das Verhältnis junger Deutscher zum Nationalsozialismus. Das kommunistische Regime bewerten viele Tschechen heute lediglich als unerfreuliche Sache. Das ist alles.

Wie sieht es mit den Medien aus, welche Rolle sollten sie Ihrer Meinung nach bei der Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit spielen?

Das ist schwierig, denn die tschechischen Medien widmen sich diesem Thema zwar ziemlich viel, aber ungeheuer unsystematisch. Jede Zeitung schreibt heute über die kommunistische Vergangenheit. Irgendwie. Aber es gibt niemanden, der sich kontinuierlich damit beschäftigt und sich gut auskennt. Das war auch der Grund, warum wir dieses Buch geschrieben haben. Wir wollten quasi den bisherigen Kenntnisstand zusammenzufassen, um dann weitergehen zu können. Denn was hier immer noch sehr fehlt, ist eine wirkliche Diskussion über die Kommunistische Partei. Die hat erst vor 1-2 Jahren begonnen. Die Frage nach den kommunistischen Verbrechen wird hier von manchen als lästig empfunden. Ende der 90er Jahre tauchte in den Medien die Meinung auf, dass wir nicht ständig nach hinten, sondern auch nach vorne, in die Zukunft gucken sollten.

Auf politischer Ebene etablieren sich die Kommunisten zunehmend zu einer - fast hat man den Eindruck - "ganz normalen" Partei. Wie erklären Sie sich das?

Die tatsächliche Bedeutung der Kommunisten basiert heute darauf, dass es in Tschechien Parteien gibt, die bereit und willens sind, mit ihnen in irgend einer Weise zusammen zu arbeiten. Heute sind das vor allem die Sozialdemokraten."

Wie sollte man Ihrer Meinung nach heute mit den Kommunisten umgehen, auf politischer Ebene?

Dazu gibt es zwei verschiedene Auffassungen. Meine Ansicht ist die, dass sich die Kommunisten in gewisser Weise marginalisieren lassen - über das Schulwesen, die Medien, Aufklärung. Verbieten sollte man sie, finde ich, nicht. Aber die übrigen politischen Parteien sollten sich nicht mit ihnen verbünden. Damit würden sie eine moralische Grenze überschreiten. Die zweite Meinung ist die, dass sich die Kommunisten umgekehrt durch Zusammenarbeit sozusagen kultivieren lassen.

Denkmal für die Opfer des Kommunismus
Sobald sie Regierungsverantwortung übernehmen müssen und nicht nur in der Opposition sitzen, werden sie automatisch um Wählerstimmen kommen. Ich glaube das nicht, denn ihre Stammwählerschaft besteht aus alten Menschen, die sich nostalgisch an die Zeit vor 1989 erinnern und die werden den Kommunisten treu bleiben."

Es gibt noch einen dritten Standpunkt: nämlich den, das man die Kommunistische Partei verbieten sollte. War es ein Fehler, das nicht sofort nach 1989 zu tun?

Ich denke, das war ein enormer Fehler, das schreiben wir auch in dem Buch. Denn gleich nach 1989 gab es dazu alle Gründe. Es war eine Partei, die zahlreiche Verbrechen begangen hatte und es wäre einfach angebracht gewesen, sie zu verbieten. Damals argumentierte man hier so, dass man nicht nach dem Prinzip der Kollektivschuld verfahren darf. Heute ist es zu spät für ein Verbot, weil man 15 Jahre legale Existenz der Kommunistischen Partei dagegen halten kann.