"Novy prostor" will keine reine Obdachlosenzeitschrift sein

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Die tschechische Obdachlosenzeitschrift "Novy prostor" ist bereits seit sieben Jahren auf dem Markt. Seit einem Vierteljahr hat sie eine neue Aufmachung und einen anderem Inhalt.

In Prag und in sechs anderen großen Städten Tschechiens trifft man sie praktisch an jeder Straßenecke: die Verkäufer der Obdachlosenzeitschrift "Novy Prostor" ("Neuer Raum"). Sie stehen oft bei Wind und Wetter an ihren festgeschriebenen Standorten und bieten alle vierzehn Tage eine neue Ausgabe der Zeitschrift an.

Ein Exemplar von "Novy Prostor" kostet 40 Kronen, umgerechnet 1.50 Euro. Die Hälfte davon können die Verkäufer behalten. Ziel des Projektes ist zum einen, den obdachlosen Verkäufern eine, wenn auch vielleicht bescheidene Einnahmequelle zu sichern. Zum anderen soll geholfen werden, dass sie von der Gesellschaft nicht ausgegrenzt werden und auch selbst den Kontakt zum gesellschaftlichen Umfeld nicht verlieren. "Novy prostor"-Chefredakteurin Erika Hnikova sagt:

"Novy Prostor ist eine Vereinigung, die es bereits seit neun Jahren gibt und die seit sieben Jahren die gleichnamige Zeitschrift herausgibt. Die Zeitschrift ist so etwas wie das Gesicht der Vereinigung. Im Verlauf des vergangenen Jahres ist es hierbei zu einigen wichtigen Veränderungen gekommen. Auf den ersten Blick hat sich das Layout verändert. Daneben aber auch der Vertrieb der Zeitschrift. Und die dritte Neuerung betrifft die Redaktionsarbeit, denn seit Dezember vergangenen Jahres gibt es bei Novy prostor erstmals eine ständige Redaktion. Mit diesen Änderungen wollten wir vom Image einer Zeitschrift von Obdachlosen für Obdachlose wegkommen. Die Zeitschrift hatte den Ruf, dass sie nichts zu bieten hat und wenn, dann lediglich Texte, deren Inhalt den Hauch von studentischer Rezession hatten. Jetzt versuchen wir, Novy prostor so zu produzieren, dass die Zeitschrift im Endeffekt einfallsreich, interessant, offen und kritisch ist. Wir versuchen sie also die mit echtem Inhalt zu füllen."

Wer sind aber eigentlich die Käufer und Leser von "Novy prostor"? Und kaufen sie die Zeitschrift von Zeit zu Zeit oder regelmäßig? Dazu Erika Hnikova:

"Die Zeitschrift Novy prostor wurde bisher immer mit dem Ziel gekauft, dem konkreten Verkäufer zu helfen, weil er die Hälfte des Preises behalten konnte. Wir würden uns in der Redaktion wünschen, dass die Zeitschrift auch deshalb gekauft wird, weil sie anders ist und auch ein Medium mit Qualitätsanspruch ist. Wir haben keine aktuellen Daten über unsere Leser und haben auch keine Erhebung durchgeführt. Die letzten Ergebnisse, die wir haben, stammen aus der Zeit von vor fünf Jahren. Aus den Zahlen ging hervor, dass Novy prostor vor allem von Menschen mit Hochschulabschluss gekauft wird, wegen ihrer Nonkonformität auch von Studenten. Daneben gehörten damals Frauen in der Alterskategorie 40+ dazu, bei denen vielleicht auch das Mitgefühl mit den obdachlosen Verkäufern entscheidend war. Auf die gegenwärtige Leserschaft lässt sich nur anhand von E-Mails oder Briefen schließen, die in der Redaktion ankommen. Daraus hat sich allmählich noch eine weitere Gruppe herauskristallisiert: Eine Lesergruppe im Alter von 30 bis 40 Jahren, die gut situiert und nachdenklich ist und daher mit dem herkömmlichen Medienangebot in Tschechien unzufrieden ist. Mir scheint, als ob es sich hierbei um ehemalige Rebellen handelt, die jedoch jetzt in einem Alter sind, wo sie nicht mehr rebellieren können, auch wenn sie es gerne tun würden."

Erika Hnikova, die in den vergangenen Jahren vor allem als Regisseurin von Dokumentarfilmen bekannt wurde und mit ihren 31 Jahren zur jüngsten Generation der tschechischen Filmemacher gehört, leitet die Obdachlosenzeitschrift mit ihrem Redaktionsteam seit Dezember vergangenen Jahres. Getreu ihrer ursprünglichen Profession will die Chefredakteurin auch in "Novy Prostor" gesellschaftlich relevante Themen reflektieren. Das bedeutet, im Gegensatz zu früher die Leser auch zu provozieren.

Ist damit aber nicht das Risiko verbunden, dass man einen Teil der bisherigen Leserschaft verliert? Dazu sagt die Chefredakteurin:

"Die Zeitschrift will Konfrontationen nicht aus dem Weg gehen und das gehört dazu. Einige Leser mögen wir dadurch vielleicht verlieren, andere wiederum stoßen neu zu uns. Wir können nicht eine Zeitschrift produzieren, die allen gefällt. Wir versuchen diese Unangepasstheit in den Ausgaben generell zu unterstreichen und wollen sie nicht nur auf bestimmte politische Haltungen beschränken. Wir bereiten jetzt ein paar Ausgaben vor, die unpolitisch sein werden. Wobei natürlich fraglich ist, ob es überhaupt etwas gibt, das man als unpolitisch bezeichnen könnte."

Finanziell unterstützt wird die Zeitschrift unter anderem auch durch Fördergelder der Europäischen Union. Zudem wird bei jeder Ausgabe der überwiegende Teil der Auflage verkauft, was laut Frau Hnikova auch mit dem Vertriebssystem zusammenhängt. Von jeder Ausgabe wird nämlich eine andere Stückzahl gedruckt. Dabei spielen die einzelnen Verkäufer eine große Rolle: Bevor eine neue Ausgabe in Druck geht, geben die Verkäufer beim Verlag bereits die Stückzahl an, die sie ihrer Meinung nach an ihrem Standort verkaufen können. Die Auflage variiert somit zwischen 15.000 und 20.000 Stück.

Die außerordentlich wichtige Rolle der obdachlosen Verkäufer wurde bereits erwähnt. In diesem Zusammenhang gab es jedoch bis in die jüngste Vergangenheit in einige Problemfälle, wie Erika Hnikova im Folgenden erläutert:

"Wir hatten große Schwierigkeiten mit jenen Verkäufern, die keine offizielle Lizenz hatten und die Zeitschrift ohne Genehmigung weiter verkauften. Eine der vielen Maßnahmen in diesem Zusammenhang ist, dass die Verkäufer künftig schwarze Jacken mit dem markanten Logo von Novy prostor tragen werden, dazu rote Kappen und rote Taschen. Auch der Ausweis soll besser sichtbar werden. Daneben gibt es neuerdings auch Kontrollen an den jeweiligen Verkaufsstellen, wobei unter anderen auch überprüft wird, ob die Verkäufer nicht unter Alkoholeinfluss stehen. Niemand sollte jetzt also betrunken an seinem Stand stehen, und die Verkäufer sollen versuchen, so viel wie nur möglich zu verkaufen."

Nach welchen Kriterien werden die Verkäufer von "Novy prostor"? Wie hoch ist die Fluktuation? Dazu abschließend noch einmal Chefredakteurin Erika Hnikova:

"Die Zeitschrift Novy prostor sollte von Menschen verkauft werden, die sich in sozialer Notlage befinden. Es ist natürlich fraglich, wie man soziale Notlage definieren kann. Prinzipiell kann jeder zum Verkäufer von Novy prostor werden, der sich in einer Krisensituation befindet und sich an dem Zeitschriften-Projekt beteiligen will. Gegenwärtig sind wir sogar dabei, in Prag und in Brünn neue Verkäufer zu finden. Das heißt, wenn jemand daran Interesse hätte, kann er kommen, unterschreibt eine Erklärung, dass er sich in einer sozialen Notlage befindet - und kann gleich beginnen."