Präsidentenwahl: Ratlose Politiker bringen Wissenschaftler ins Spiel
Betrachtet man die politischen Debatten in Tschechien der letzten Tagen, könnte man sich die Frage stellen, was eine Präsidentin der Akademie der Wissenschaften, einen Universitätsrektor und einen anerkannten Philosophieprofessor mit der Politik verbindet? Die Frage ist nicht schwer zu beantworten. Sie alle waren, bzw. sie sind als mögliche Kompromisskandidaten bei der bevorstehenden Präsidentenwahl im Gespräch. Mehr über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik erfahren Sie mehr im folgenden Schauplatz von Silja Schultheis und Robert Schuster.
Seit vierzehn Tagen ist Tschechien offiziell ein Land ohne Staatsoberhaupt und wie es so aussieht, wird diese Situation mindestens noch zwei Wochen andauern. Dann wollen nämlich die 281 Abgeordneten und Senatoren einen dritten Anlauf unternehmen einen neuen Präsidenten zu wählen. Da es jedoch seit dem letzten Versuch zu keinen wesentlichen Kräfteverschiebungen im Parlament gekommen ist, kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch diesmal die Anstrengung nicht mit Erfolg gekrönt wird. Innerhalb der regierenden Drei-Parteien-Koalition aus Sozialdemokraten, Christdemokraten und Liberalen, die im Parlament über die notwendige Mehrheit verfügt, herrscht nämlich nach wie vor Uneinigkeit über die Nominierung eines gemeinsamen Bewerbers, der die volle Unterstützung aller ihrer Abgeordneten und Senatoren hätte. Auf der Suche nach diesem Herrn bzw. dieser Frau "Unbekannt" versuchten dabei die Spitzen der Koalitionsparteien in den vergangenen Tagen, einige bekannte Persönlichkeiten aus dem Wissenschafts- und Universitätsbereich zu einer Kandidatur zu überreden. Nach zwei Absagen, die von der Präsidentin der Akademie der Wissenschaften, Helena Illnerova, bzw. dem Rektor der Karlsuniversität, Ivan Wilhelm, kamen, scheinen sie nun doch fündig geworden zu sein. Der Philosophieprofessor Jan Sokol hat seine prinzipielle Bereitschaft erklärt sich der Wahl stellen zu wollen vorausgesetzt jedoch, er würde von allen drei Parteien unterstützt.
Wie lässt sich der Umstand erklären, dass Tschechiens Politiker in den vergangenen Tagen geradezu Jagd auf verschiedene Akademiker und Universitätsprofessoren machten mit dem Ziel, sie von einer Präsidentschaftskandidatur zu überzeugen? Steht da die ehrliche Absicht dahinter jemanden zu nominieren, der das Land gut im Ausland repräsentieren würde, oder ist das nicht eher der Versuch eine Persönlichkeit ins höchste Staatsamt zu hieven, die bisher abseits der politischen Entscheidungsabläufe stand, in der Erwartung, dass sie nicht allzu stark in die Tagespolitik eingreifen würde? Diese Frage stellte Radio Prag dem Soziologieprofessor und Zukunftsforscher Martin Potucek von der Prager Karlsuniversität. Potucek war übrigens im vergangenen Herbst ebenfalls als Präsidentschaftskandidat der Sozialdemokraten im Gespräch:
"Eigentlich geht es darum jemanden zu finden, der womöglich alle Kriterien für einen Präsidenten am besten erfüllen könnte. Ich würde das nicht unbedingt als "Jagd" auf Akademiker verstehen, sondern dahinter steht der ernst gemeinte Versuch jemanden zu finden, der das Land gut repräsentieren könnte. Es ist sicher kein leichtes Unterfangen eine Persönlichkeit ausfindig zu machen, die ohne weiteres in die Fußtapfen von Vaclav Havel steigen könnte. Auch deshalb müssen sich die Politiker den Vorwurf gefallen lassen, dass sie es verabsäumt haben sich rechzeitig auf einem geeigneten Nachfolger zu einigen. Die Folge dessen sind nun vielleicht jene ungewöhnlichen Entwicklungen, die wir in den letzten Tagen vernommen haben."
In der gegenwärtigen Situation, da sich die Parteien offensichtlich auf keinen geeigneten Kompromisskandidaten aus ihren eigenen Reihen einigen können, stellt sich aber auch eine grundsätzliche Frage: Sollen die nun heftig umworbenen Wissenschaftler nicht lediglich die Rolle von Lückenbüßern einnehmen? Professor Potucek ist da jedoch etwas weniger skeptisch und meint sogar, dass die Idee an sich einen gewissen Sinn ergibt und es dem Land vielleicht auch gut tun würde, wenn sich Persönlichkeiten aus dem akademischen Bereich stärker als bisher in das politische Leben Tschechiens einbringen würden, wie er im folgenden erläutert:
"Ich meine, dass ein guter Präsident auf keinen Fall politisch völlig unerfahren sein sollte. Das wäre sehr schlecht und deshalb meine ich auch, dass Erfolge auf dem Gebiet der Wissenschaft auch nicht automatisch ein erfolgreiches Wirken in der Politik garantieren. Auf der anderen Seite meine ich aber auch, dass schon ein rationeller Kern dahinter steck, mögliche Kandidaten im universitären Bereich zu suchen, weil das Staatsoberhaupt, und das tschechische insbesondere, im Stande sein sollte längerfristige Visionen zu formulieren, die abseits der tagespolitischen Kleinkriege stehen würden. Hier lagen z.B. die Stärken Havels und so ist es legitim und gut, wenn die Politiker nun nach jemandem Ausschau halten, der vergleichbare Fähigkeiten hätte, d.h. die Sachen komplexer und in größeren Zusammenhängen zu sehen. "
Der Soziologieprofessor Martin Potucek konnte, wie eingangs kurz erwähnt, im Herbst vergangenen Jahres selber die Erfahrung mit den spezifischen Mechanismen der tschechischen Politik machen. Als parteiunabhängiger Bewerber stellte er sich dem Votum der sozialdemokratischen Basis, die einen offiziellen Präsidentschaftskandidaten der Partei küren sollte. Dabei hatte er in Ex-Premier Milos Zeman, und den beiden früheren Justizministern Jaroslav Bures und Otakar Motejl drei ungemein starke Mitbewerber. Letztlich konnte Potucek lediglich 1400 Stimmen auf sich vereinen, was in etwa einem Zehntel der Stimmen entspricht, die der Sieger Milos Zeman erhielt. Was waren eigentlich die Beweggründe für die damalige Kandidatur Potuceks?
"Ich stehe beruflich in einem relativ engen Kontakt zum jetzigen Premierminister Vladimir Spidla der gleichzeitig auch Vorsitzender der sozialdemokratischen Partei ist und gehöre seit Jahren zu dessen Beraterstab. Zunächst arbeitete ich mit zusammen, als er noch Arbeits- und Sozialminister war. Das Angebot an der Abstimmung teilzunehmen ging von Spidla aus und ich habe es nach reichlicher Überlegung angenommen."
Nicht nur in Tschechien, sondern auch in anderen Ländern kommt es nicht allzu oft vor, dass ein Universitätsprofessor sich quasi in die Niederungen der heimischen Innenpolitik begibt und über einen direkten Kontakt zu den Bürgern versucht auf seine Positionen und Vorstellungen aufmerksam zu machen. Wie haben eigentlich die Wählerinnen und Wähler auf Potuceks Kandidatur reagiert? Es kann angenommen werden, dass es vor allem außerhalb der großen Städte gewisse Berührungsängste gegenüber dem "Professor aus Prag" hätte geben können? Martin Potucek stimmt dem indirekt zu, wie er im folgenden erläutert:
"Ich muss in erster Linie eingestehen, dass ich selber bei meiner Kandidatur einen wichtigen Punkt nicht ausreichend berücksichtigte, nämlich meinen geringen Bekanntheitsgrad. Da ich auch keinen Wahlkampf im klassischen Sinn des Wortes betrieben hatten, meine ich im Nachhinein schon, dass das eine gewisse Hürde war, die mich ein besseres Ergebnis kostete. Ansonsten würde ich rückblickend sagen, dass ich zwar von der Parteibasis gut aufgenommen wurde, andererseits sich aber viele die Frage stellten, "ja, wer ist eigentlich dieser Herr Professor Potucek?".
Mit einem stärkeren politischen Engagement von Wissenschaftlern hängt aber auch eine andere Frage eng zusammen: Lassen sich beide Tätigkeiten, also die wissenschaftliche und die politische mit einander vereinen? Müsste dann konsequenterweise die eine der anderen weichen und bestünde dann nicht das Risiko, dass man mit der Wahl in ein so hochpolitisches Amt, wie jenes des Präsidenten, während der folgenden fünf Jahre die Tuchfühlung mit der Entwicklung im eigenen Wissenschaftszweig verlieren könnte? Abschließend noch einmal die Meinung des Zukunftsforschers Martin Potucek:
"Ich spezialisiere mich auf den Bereich öffentliche Politik, auf Englisch nennt man das public policy. Das ist ein Wissenschaftszweig, der im Westen sehr entwickelt ist und langsam auch hier in Mitteleuropa Fuß zu fassen beginnt. Uns geht es darum, die politische Entscheidungsfindung auf eine objektivere Grundlage zu stellen, auf solide Analysen und Prognosen, d.h. ich habe meine Kandidatur nicht als Herausforderung für mich persönlich empfunden, sondern für das Fach als solches. Ich meine schon, dass m mein bisheriges Wirken mir schon gewisse Voraussetzungen mit sich bringt, damit ich auch in einem öffentlichen Amt bestehen könnte. Ich sah darin die Gelegenheit, all das, womit ich mich theoretisch in Artikeln oder Büchern befasste, in der Praxis umzusetzen. Ebenso hätte ich im Falle meiner Wahl versucht, mich nicht nur ausschließlich auf das Präsidentenamt zu konzentrieren, sondern hätte versucht auch die Verbindung zur Universität aufrecht zu halten und mit den Studenten weiterhin in Kontakt bleiben, mit ihnen über Themen zu diskutieren, die sowohl sie als auch mich interessieren."