Prag war Schauplatz der Bahn-Europameisterschaft der behinderten Radrennfahrer

Championnat d'Europe cycliste des handicapés

Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer an Hochleistungssport denken, dann assoziieren Sie damit vielleicht beinharten Konkurrenzdruck, oder Sie haben Athleten vor Augen, die sich bis an die Grenzen der Belastbarkeit trainieren. Vielleicht mit einem etwas maßvolleren Umgang mit dem eigenen Körper, jedoch durchaus ebenso professionell, agieren jene behinderten Radfahrer, die von 14. bis 17 September in Prag die Bahn-Europameisterschaft bestritten, bevor anschließend in der Nähe der nordböhmischen Stadt Teplice / Teplitz noch die Straßenrennen auf dem Programm standen. Wir wollen Ihnen heute einen Rückblick auf die Prager Bahnbewerbe bieten, viel mehr aber einen kleinen Einblick in die immer professioneller werdende Welt des Behindertensports. Und Ihnen dabei auch einige der außergewöhnlichen Athletinnen und Athleten vorstellen, für die ihre Behinderung so gar kein Hindernis ist für die begeisterte Ausübung ihrer Disziplin. In das Prager Velodrom namens Trebesin begleitet Sie Gerald Schubert im nun folgenden "Schauplatz":

Europameisterschaft für behinderte Radsportler
Im Prager Stadtviertel Strasnice, inmitten eines beschaulichen Wohnviertels aus Einfamilienhäusern und kleinen Villen, liegt das Velodrom Trebesin, eine nicht besonders große, aber sehr schön gebaute und gepflegte Radrennbahn. Dem Besucher, der die Freiluftarena Anfang vergangener Woche betrat, bot sich zunächst genau das Bild, das man sich von einer Sportanlage im Hochbetrieb internationaler Wettkämpfe auch erwartet: Athletinnen und Athleten wärmen sich auf, Trainer geben ihren Schützlingen letzte Ratschläge, Masseure und Mechaniker kümmern sich um Mensch und Gerät, und auf der Bahn flitzen in atemberaubender Geschwindigkeit die Rennräder vorbei. Die Atmosphäre ist von solch professioneller Geschäftigkeit, dass man vielleicht erst beim zweiten Hinsehen merkt, um welche Sportler es sich hier handelt: Es sind behinderte Athleten - junge Leute mit amputierten Gliedmaßen, Blinde und Spastiker. Eines haben aber alle gemeinsam: Eine überaus professionelle und gleichzeitig freudige Herangehensweise an ihren Sport.

Adelbert Komer, Trainer der Deutschen Mannschaft, erklärt, welche Disziplinen hier in Prag, bei den Offenen Rad-Europameisterschaften der Behinderten, vertreten sind:

"Zunächst gibt es die Tandems, das sind die Bewerbe für Blinde und Sehbehinderte. Dann kommen die LC-Klassen, das sind die Amputierten-Klassen. Und außerdem noch vier Spastiker-Klassen, von denen zwei hier auf der Bahn fahren. Dazu kommen noch die Handbiker und Dreiradfahrer, die dann in Teplice beim Straßenrennen und beim Einzelzeitfahren an der Start gehen. Bei einem Handbike handelt es sich um einen Rollstuhl, der umgebaut ist für - ja, man kann ruhig sagen für Hochgeschwindigkeiten. Also das ist dann wie ein Rennbike, wo die Sportler eben mit den Händen kurbeln."

Das Prinzip bei den Tandem-Teams ist klar: Vorne sitzt ein sehender Sportler, oder eine sehende Sportlerin, hinten tritt ein Sehbehinderter in die Pedale. Die Fahrer mit Amputationen wiederum sind je nach Art und Schwere ihrer Behinderung in verschiedene Klassen aufgeteilt. Wie sich die Voraussetzungen der spastischen Teilnehmer darstellen, das haben wir den deutschen Teamarzt Georg Huber gefragt:

"Die Sportler mit spastischen Behinderungen gibt es in zwei Kategorien: Die einen sind durch ihre Cerebralparese, also durch eine Schädigung, die entweder durch einen Unfall hervorgerufen sein kann oder schon von Geburt an besteht, in ihrer Koordination verhindert. Diese Beeinträchtigung kann so stark sein, dass sie nicht einmal auf einem normalen Fahrrad, sondern nur auf einem Dreirad fahren können. Diese Sportler sind auf der Radrennbahnbahn nicht am Start, sondern nur beim Zeitfahren, und bei einzelnen Wettbewerben, die auf gesperrten Straßen stattfinden können. Die zweite Gruppierung, das sind diejenigen, die koordinativ eingeschränkt sind, aber durch diese schöne Drehbewegung, die sie mit dem Fahrrad ausführen können, eine hohe Qualität entwickeln. Damit können sie auch ihre Einschränkung, die sie sonst beim Gehen oder bei ihren Bewegungen überhaupt haben, sehr gut überwinden, und für ihre doch eingeschränkte Funktion hohe Qualität erzielen."

Insgesamt Achtunddreißig Nationen gehen hier an den Start, davon zwölf auch aus nichteuropäischen Staaten. Der Grund für deren Teilnahme an den Europameisterschaften ist einfach: Mannschaften aus Asien und Übersee hätten sonst zu wenig Möglichkeiten, sich in internationalen Bewerben zu messen und zu präsentieren, meint der deutsche Trainer Adelbert Komer. Und am Ende, da gibt es dann stets zwei Wertungen: Eine allgemeine, und eben eine Europäische, die dann auch das offizielle Ergebnis der Europameisterschaften ist.


Der Tag unseres Besuches ist der zweite Renntag. Einige Ergebnisse stehen schon fest, andere Bewerbe sind erst im Stadium der Vorausscheidungen. Das deutsche Team ist mit 50 Personen das größte im gesamten Teilnehmerfeld. Acht Betreuer und Funktionäre haben 42 Sportler nach Prag begleitet. Einer davon ist Achim Moll, der mit seinem Piloten in der Kategorie der Tandemfahrer antritt:

"Wir sind heute schon die tausend Meter gefahren und haben in der europäischen Wertung den zweiten Platz gemacht - insgesamt den dritten. Und jetzt bin ich kaputt."

Achim Moll ist übrigens, wie alle anderen Teilnehmer hier auch, nebenbei berufstätig, und zwar als Masseur und Physiotherapeut. Reine Profis gibt es hier keine:

"Ich arbeite 35 Stunden in der Woche. Und trainieren? Immer am Feierabend. Bis zu 18 Stunden in der Woche. Je nachdem, wie ich eben dazu komme."

Das viele Training ist auch unter behinderten Sportlern zur unbedingten Voraussetzung geworden, will man in den Bewerben erfolgreich sein. Längst geht es hier um sehr professionelle Wettkämpfe, die auch mit entsprechendem Ehrgeiz bestritten werden. Alfred Kaiblinger aus dem österreichischen Team, er tritt in der Kategorie der Beinamputierten an, kann das nur bestätigen:

"Die Professionalisierung ist auf jeden Fall spätestens mit Sidney eingetreten, mit den dortigen Paralympics, die perfekt organisiert waren, und wo auch alle Sportler eine Top-Vorbereitung hatten. Die Australier zum Beispiel waren ein halbes Jahr von der Arbeit freigestellt, um sich vorzubereiten. Da war ein Leistungssprung, der war gewaltig. Und jetzt muss eben jede Nation versuchen, den halbwegs wettzumachen."


Machen wir nun einen Blick zu den deutschen Damen: Dort ging am Tag unseres Besuchs ebenfalls ein Tandem-Team an den Start: Michaela Fuchs und Fabienne Bernauer. Gleich nach dem Rennen ist Pilotin Bernauer noch nicht sicher, wie es eigentlich ausgegangen ist:

Behinderter Radsportler
"Wir sind gerade tausend Meter Tandem gefahren. Es war okay. Wir wissen aber noch nicht, ob wir zweite oder dritte geworden sind. Jetzt warten wir auf die genaue Zeit, bis wir es schwarz auf weiß haben."

Gereicht hat es letztlich für Platz drei, doch bei der Siegerehrung war von Enttäuschung keine Spur. Bronzemedaillengewinnerin Michaela Fuchs hat übrigens gerade ein Studium der Heilpädagogik absolviert und ist nun auf Jobsuche. Ihr Optimismus, eine Stelle zu finden, in der sie Arbeit und Sport auch weiterhin miteinander verbinden kann, ist jedoch nicht besonders groß:

"Also das kombinieren zu können wäre total schön, ist würde es mir wünschen. Aber ich glaube es nicht. Es ist einfach schwierig. Die Leute glauben nicht, dass ich es trotz meiner Behinderung drauf hätte, solche Sachen zu machen. Also es wäre schön, aber es ist eher unwahrscheinlich."


Manche der Teilnehmer hier bei der Versehrten-Rad-Europameisterschaft in Prag sind von Geburt an behindert. Andere haben einen Unfall erlitten und sich erst danach dem Radsport gewidmet, um sich neue Horizonte zu erschließen. Und wieder andere waren auch schon vor ihrem Unfall sportlich aktiv - manche sogar an der Weltspitze. Georg Huber, Teamarzt der deutschen Mannschaft:

"Hier startet ein Spanier, der noch 2000 gegen Lance Armstrong die Königsetappe bei der Tour de France gewonnen hat. Javier Ochoa. Er war eben damals ein Supersportler, als Profi. Dann hatte er einen Unfall, den er nicht selbst verschuldet hat, sondern er ist beim Training mit seinem Bruder überfahren worden. Jetzt hat er erkannt, dass seine Leistungsfähigkeit, die er sich als Radfahrer ehemals erarbeitet hat, ihm auch aus seiner schweren Schädigung herausgeholfen hat. Er wollte hier erreichen, dass er eine Medaille gewinnt, die er dann seinem leider verstorbenen Bruder widmet. Aber er widmet sie sich auch selbst. Weil er jetzt sieht, dass er, natürlich nicht als Profi, aber mit einer gut erlernten Leistungsfähigkeit als Radrennfahrer, hier wieder eine neue Heimat gefunden hat."

Die tschechischen Veranstalter wurden übrigens von den Teilnehmern und Funktionären durchwegs gelobt. Alles hier sei sehr gut organisiert, und trotz des angesprochenen Leistungsdrucks haben die meisten auch noch Zeit gefunden, einen Stadtbummel durch Prag zu machen. Im Vordergrund stehen aber auch hier die Wettkämpfe. Denn immerhin geht es auch um die Qualifikation für die Paralympics, in Athen 2004.