Private Fernsehsender buhlen mit Reality Shows um Zuschauergunst

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3,5 Millionen Tschechen, fast 40 Prozent der (erwachsenen) Gesamtbevölkerung, starrten am letzten Augustwochenende in gespannter Erwartung in die Röhre. Der Grund: Die beiden überregionalen Privatsender Prima und Nova strahlten ihre neuen Reality Shows aus - und brachten damit in großem Stil ein in Tschechien noch weitgehend unbekanntes Format unter die Leute. Es berichtet Silja Schultheis.

Sechs Jahre ist es mittlerweile her, seit der niederländische Sender Veronika als weltweit erster TV-Kanal erstmals die Sendung Big Brother ausstrahlte - und damit den europaweiten Durchbruch von Reality Shows in Gang setzte. Seitdem hat dieses Format in insgesamt 32 Ländern beträchtliche Einschaltquoten erzielt - und ist bei Kritikern heftig umstritten. Seit vergangenem Sonntag können auch tschechische Fernsehzuschauer den nach einem Roman von George Orwell benannten allgegenwärtigen "großen Bruder" in ihren Wohnzimmern empfangen. Bereits zwei Wochen zuvor begann der private Konkurrenzsender Prima mit der Ausstrahlung der Sendung Vyvoleni -was soviel wie auserwählt bedeutet. Beide Sender strahlen ihre Shows zeitgleich aus - und das natürlich in bewusster Konkurrenz um die Gunst der Zuschauer. Ein ganz normaler Vorgang im Medienzeitalter, möchte man meinen. Überraschen mag daran, dass auch seriöse Printmedien den Beginn beider Serien lange Zeit ankündigten und die Reality Shows ein gewaltiges Medienecho hervorriefen. Der Medienwissenschaftler Daniel Köppl, Chefredaktor der Wochenzeitschrift "Marketing und Medien", begründete dies gegenüber Radio Prag so:

"Es ist zum ersten Mal in der Tschechischen Republik, dass eine solche Realityshow im Fernsehen kommt, darum ist der "Boom der Kommunikation" der Medien so groß. Es kommt vom Prinzip der Public Relation: Beide Fernsehsender sind ziemlich stark, darum müssen die andern Medien darauf reagieren, was das Fernsehen macht."

Das Prinzip von Big Brother und ähnlichen Sendungen ist hinlänglich bekannt: Die Protagonisten leben - freiwillig - monatelang in einer künstlichen Umgebung, werden dabei Tag und Nacht von Kameras beobachtet. Wer dieser permanenten Kontrolle durch den "Großen Bruder" am längsten standhält, dem winken Millionengewinne. Dass solche Formate eine enorm hohe Einschaltquote erzielen, führt die Soziologin Irena Reifova vom Institut für Medien an der Prager Karlsuniversität auf eine weit verbreitete menschliche Eigenschaft zurück:

"Realityshows sind sicher unter anderem deshalb populär, weil sie dem menschlichen Voyeurismus gerecht werden sowie dem Wunsch, einen Blick in die Privatsphäre anderer zu werfen. Dies ist unabhängig vom jeweiligen Land und der jeweiligen Sendung. Wenn der Mensch jemanden heimlich beobachtet, ohne selbst dabei beobachtet zu werden, kann ihm das ein Gefühl von Macht geben."

Eine Erklärung, die zwar zutreffen mag, jedoch die Existenz von Reality Shows noch längst nicht rechtfertigt, meint Martin Schulz, freier Mitarbeiter bei Radio Free Europa/Radio Liberty:

"Diese reality shows, so beliebt sie auch sein mögen, sind zugleich eine unglaubliche Visitenkarte für die Nachfrage der Zuschauer. Natürlich ganz nach den Vorstellungen der Fernsehproduzenten. Der Kampf um die Zuschauer ist damit auf ein Niveau gelangt, wo manch einer gar nicht hingucken will und dies besser auch nicht tun sollte: in die unteren Etagen der menschlichen Natur."