Im Auftrag der USA: Die tschechoslowakischen Sendungen von RFE
Vor 60 Jahren begann Radio Freies Europa (RFE) mit seinen ständigen Sendungen in den damaligen Ostblock. Sitz von Radio Free Europe, so der englische Name, wurde München. Die USA hatten den Sender als Instrument des Kalten Krieges eingerichtet und die kommunistischen Regierungen antworteten mit dem Einsatz von Störsendern. Radio Freies Europa sendete von Anfang an auf Tschechisch und Slowakisch, das Programm gestalteten Exilanten aus der Tschechoslowakei. Mehr nun zum Kalten Krieg im Äther und den Beginn der Sendungen von Radio Freies Europa in einem weiteren Kapitel aus der tschechischen Geschichte.
Tigrid leitete 1951 die tschechoslowakische Redaktion von RFE in München. Am 1. Mai desselben Jahres hatte gerade mit dem tschechoslowakischen Programm die regelmäßige Ausstrahlung des amerikanischen Senders begonnen. Gesendet wurde aus Biblis über Kurzwelle sowie aus Holzkirchen über Mittelwelle. Radio Freies Europa bot ein Programm über den ganzen Tag. Pavel Tigrid, der 2003 gestorben ist, sagte in einer der Sendungen:
„Wir werden Ihnen erzählen, was es alles Neues und Interessantes in der Wissenschaft gibt, in der Technik, in der Volkswirtschaft, in den Gewerkschaften, in den Sozialwissenschaften, in der Literatur, im Theater, in der bildenden Kunst und im Film. Jeden Abend werden wir Ihnen aus Büchern vorlesen, die in der Tschechoslowakei verboten sind.“
Die Idee, mit Radiosendungen den Eisernen Vorhang zu durchdringen, entsteht bereits 1949. Es ist der Beginn des Kalten Krieges, Europa hat sich in Blöcke geteilt, und die Tschechoslowakei gehört zum sowjetischen Einflussbereich. Die Regierung in Washington übernimmt die Leitung und Finanzierung des Senders. Noch vor Start der regelmäßigen Sendungen wird 1950 bereits probeweise ausgestrahlt, es sind halbstündige Programme für die Tschechoslowakei. Produziert wird das Programm zunächst noch in New York, und die Bänder werden dann nach Frankfurt geflogen. Erst am erwähnten 1. Mai 1951 meldet sich RFE erstmals aus München. Der damalige Leiter von Radio Freies Europa, Ferdinand Peroutka, spricht die Hörerschaft in der Tschechoslowakei mit folgenden Worten über die kommunistischen Machthaber an:
„Sie werden alle Waffen besitzen und die gesamte Polizei, und wir haben nur das Mittel des Wortes. Doch selbst wenn sie materiell die Übermacht haben, sind sie unruhig. (…) Aber hier im Exil ist die ganze tschechoslowakische Tradition vereint: die alte Weise, wie der tschechische und der slowakische Mensch immer empfunden und gedacht haben. Nun, dann lasst unser bloßes Wort mit ihrer Gewalt in den Wettbewerb treten.“
Nach dem Beginn der ständigen Sendungen in die Tschechoslowakei erweitert RFE recht schnell sein Zielgebiet: Hinzu kommen Polen, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. 1953 beginnen die Amerikaner unter dem späteren Namen Radio Liberty auch in die Sowjetunion zu senden. Anfang der 60er Jahre werden beide Radiostationen vereinigt.
„Es meldet sich die Stimme der freien Tschechoslowakei, die Radiostation Freies Europa. Zu ihnen spricht Tibor Dolina“, so meldete sich der Radiosprecher Tibor Molek über Jahrzehnte aus München.
Das Pseudonym Dolina legte sich der Slowake zu, um seine Familie zu Hause nicht zu gefährden. Auch er wurde vom Flüchtling zum Radiomitarbeiter. Anders als Peroutka und Tigrid, die beide bereits gestorben sind, kann er seine Geschichte noch selbst erzählen. Es ist die Geschichte einer dramatischen Flucht. Tibor Molek studierte Jura in Bratislava, bis ihn die kommunistischen Kader von der Universität warfen. Als Oppositioneller drohte ihm Haft und so entschloss er sich mit vier Freunden einschließlich seiner späteren Frau Anka zur Flucht außer Landes. Der Plan war, das Flüsschen Morava / March an der Grenze zu Österreich zu durchschwimmen. Das sollte während des Wachwechsels geschehen. Der Stichtag war der 13. Januar 1952, wie Tibor Molek gegenüber Radio Prag schilderte:
„Weil das Wasser so kalt und so tief war, haben wir Schwierigkeiten bekommen beim Schwimmen und es hat länger gedauert. Die Soldaten kamen und fingen an zu schießen. Einen haben sie erschossen, einer bekam einen Herzinfarkt durch die Kälte. Zu dritt - zwei Männer und eine Frau – sind wir aber doch nach Österreich gekommen.“
Das Trio versteckte sich über Nacht in einem Dorf. Erst am nächsten Tag gelangte man in die amerikanische Zone von Wien und meldete sich als Flüchtlinge.„Dann wurde ich nach Linz und nach Wels transportiert, wo Lager waren. Und da haben wir schon gehört, dass Radio Free Europe – also Radio Freies Europa – gegründet wurde. Dann bin ich wieder schwarz nach Deutschland, die Grenze war für uns ja eine Leichtigkeit. Die schlimme Grenze war die zwischen der Tschechoslowakei und Österreich gewesen. Ich habe Prüfungen gemacht und wurde angestellt, als einer der Ersten. Und dadurch war ich seelisch zufrieden, dass ich etwas für die Freiheit unseres Volkes tun kann – der Kampf gegen den Kommunismus.“
Molek lebt im Übrigen bis heute in München, wo er 1952 seine Arbeit bei Radio Freies Europa aufgenommen hatte. Ebenfalls in der bayerischen Landeshauptstadt geblieben ist sein tschechischer Kollege Vladimír Beneš, heute 87 Jahre alt. Er war bereits 1948 geflohen:
„Ich bin im Jahr 1951 zu Radio Freies Europa gekommen, kurz nach Start der Sendungen. Ich war in einem Lager vor allem für Studenten in Ludwigsburg. Als der Sender anfing zu senden und verschiedene Leute brauchte, sind sie auch in die Lager gekommen, haben gefragt und eine Probe gemacht, ob sich jemand als Sprecher eignet.“
Vladimír Beneš eignete sich zwar nicht als Sprecher, doch er wurde in der Produktion beschäftigt. Von Anfang an versuchten die kommunistischen Regierungen mit Störsendern gegen Radio Freies Europa vorzugehen. Die Amerikaner bemühten sich wiederum, möglichst viele Frequenzen anzubieten. Vladimír Beneš:„Es wurde damit gerechnet, dass die Mittelwelle am angenehmsten und am besten zum empfangen war für die Zuhörer. Aber man stellte fest, dass die Mittelwelle gestört wurde und die Leute nichts davon hatten. Und da bot sich an, auch die Kurzwelle zu nutzen. So wurden etwa acht Kurzwellensender gebaut. Und selbstverständlich konnte man die Wellenlänge leichter verändern. Das war so ein Spiel.“
Ab 1954 hatten die Behörden in der Tschechoslowakei zunehmend Erfolg, den Empfang in den großen Städten zu stören. Auf dem Land aber war der Empfang weiter möglich. Erst 1988, in den Zeiten von Perestrojka und Glasnost, entfernte die Führung in Prag die Störsender und ließ auch die Sendungen von Radio Freies Europa zu.
Noch längst nicht erforscht ist die Bedeutung von Radio Freies Europa beim Sturz des Kommunismus. Tschechische und slowakische Politiker können sie nicht genug würdigen. Was sagen aber die Historiker. Oldřich Tůma ist Leiter des Instituts für Zeitgeschichte an der tschechischen Akademie der Wissenschaften. Bei einer Konferenz in Prag fasste Tůma vergangene Woche den derzeitigen Stand zusammen:
„Mit Sicherheit können wir sagen, dass ausländische Radiosendungen und vor allem die von Radio Freies Europa über lange Zeit von einem wichtigen Teil der tschechoslowakischen Bevölkerung gehört wurden. Ich würde sagen von einem Drittel. Aber zu weiteren Kreisen gelangte der Inhalt der Sendungen auf indirektem Weg. Da käme man auf 80 oder 90 Prozent der Öffentlichkeit. Die ausländischen Radiosendungen haben nie unmittelbar oppositionelle Handlungen ausgelöst. Aber ihre Bedeutung liegt vorrangig darin, dass andauernd unabhängige Informationen eine breite Öffentlichkeit erreichten. In dieser Hinsicht waren die ausländischen Sendungen ein bedeutender Gegner des kommunistischen Regimes. Und es war ein wichtiger Faktor, um zu verhindern, dass das Regime sein Ziel erreichen konnte, ein Informationsmonopol zu bilden.“
Kein Wunder, dass Radio Freies Europa auch Ziel der kommunistischen Geheimdienste war. 1981 wurde sogar ein Anschlag auf die tschechoslowakische Redaktion in München verübt, drei Beschäftigte wurden dabei verletzt. Nicht einmal während der Reformbewegung des Prager Frühlings im Jahr 1968 trauten sich die Angestellten, in ihre Heimat zu fahren. Vladimír Beneš:„Das war speziell für die Mitarbeiter des Senders nicht möglich. Wir waren die Feinde Nummer eins, das hat niemand gewagt. Die anderen Flüchtlinge schon, sie haben gesagt, dass sie es probieren. Erst 1989 bin ich zum ersten Mal nach Tschechien gefahren.“
Aber auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sendete Radio Freies Europa weiter auf Tschechisch und Slowakisch. Erst Kostengründe bedeuteten dann im Jahr 2002 das Ende. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Sender seinen Sitz bereits nach Prag verlagert. Heute liegen die Zielländer vor allem im arabischen Raum.