Reaktionen auf den Kopenhagener EU-Gipfel

Beherrschendes Thema in den Kommentarspalten der tschechischen Presse war in den vergangenen Tagen der Kopenhagener EU-Gipfel vor einer Woche. Die Reaktionen auf das Hauptergebnis des Gipfeltreffens - die Erweiterung der Europäischen Union um 10 weitere Staaten im Jahr 2004 - stehen daher auch im Mittelpunkt unserer heutigen Sendung. Am Mikrophon begrüßen Sie Katrin Sliva und Silja Schultheis.

Hören Sie zunächst einen Auszug aus der auflagenstarken Tageszeitung Mlada fronta dnes:

"Ein neues Europa ist geboren, verkündete der dänische Premier Anders Fogh Rasmussen am 13. Dezember zum Abschluss des zweitägigen EU-Gipfels. Er hat kein bisschen übertrieben. Dieses Datum wird zweifelsohne als historisch in die Chroniken eingehen. Nur 13 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall des Sowjetimperiums konnte Europa endlich wieder die Länder aufnehmen, die historisch und zivilisatorisch seit langem zu ihm gehören. Eben in jenem monumentalen Umbruch einer ganzen Ära muss man die Bedeutung des Kopenhagener Gipfels sehen."

Und weiter heißt es:

"Gerade wir Tschechen sollten uns über diesen geschichtlichen Umbruch von ganzem Herzen freuen. Und denen danken, die sich um die Erweiterung verdient gemacht haben. Das gehört sich nicht nur, sondern würde auch die Hoffnung wecken, dass wir zumindest manchmal Anerkennung zollen können. Vielleicht wäre es auch ein Beweis dafür, dass wir imstande sind zu beurteilen, was wesentlich und was zweitrangig ist für unser Schicksal."

Ein Thema, dem sich die tschechische Presse im Zusammenhang mit dem EU-Gipfel sehr ausführlich widmete, war die Rolle der tschechischen Unterhändler bei den EU-Beitrittsverhandlungen. Über die von ihnen ausgehandelten Beitrittsbedingungen war wenige Tage nach dem EU-Gipfel im tschechischen Abgeordnetenhaus eine erhitzte Debatte entbrannt. IN deren Rahmen warf die Opposition aus demokratischer Bürgerpartei und Kommunisten dem Kabinett vor, die schlechtesten Bedingungen aller zehn Beitrittskandidaten ausgehandelt zu haben.

Die Zeitung Lidove noviny nimmt die tschechischen EU-Unterhändler in Schutz und schreibt:

"Eine gewisse Unnachgiebigkeit zahlt sich in der Europäischen Union aus. Die tschechischen Unterhändler haben das verstanden. Im tagtäglichen Betrieb der EU geht es nicht um Visionen, Reflexionen und Philosophie. Und - wenn es Ernst wird - geht es auch nicht um Worte. Sondern um Geld. Um Vorteile. Um Macht. In Kopenhagen haben ganz sicher die Unterhändler gewonnen. Sie haben 183 Millionen Euro mehr ausgehandelt. Und das trotz eines starken europäischen Drucks. Und wer hat insgesamt gewonnen? Hoffentlich die tschechischen Bürger. Denn am 1. Mai 2004 werden sie mit allergrößter Wahr- scheinlichkeit Bürger der entwickelten westlichen Welt."

Auch die Zeitung Mlada fronta dnes hält die Kritik an den Unterhändlern für ungerecht und führt aus:

"Zum Sündenbock für das unerfreuliche Ergebnis dürfen nicht die Unterhändler gemacht worden. Sie konnten sich nur innerhalb des Rahmens bewegen, der ihnen vorgegeben war. Und der politische Auftrag war eindeutig: es gibt keine Alternative zum Beitritt, beitreten müssen wir um jeden Preis. Das ist zwar eine sehr umstrittene Behauptung. Dennoch hätte sie nicht unbedingt eine Verhandlungsniederlage zur Folge haben müssen, wenn der Beitritt in der tschechischen politischen Szene tatsächlich als gesamtnationales Interesse formuliert und verfolgt worden wäre. Stattdessen wurde die EU in der Manier schlechtester politischer Traditionen zum Heiligen erhoben, und ebenso unser Beitritt. In einer solchen Atmosphäre wurden die Beitrittsverhandlungen nicht zur politischen Agenda des ganzen Volkes, sondern zur politischen Karte."

Als parteipolitischen Machtkampf bewertet auch die Zeitung Pravo die Kritik an den tschechischen EU-Unterhändlern und führt diesen Gedanken aus:

"Im eigenen Lande ist niemand ein Prophet, sagt ein altes Sprichwort. Für Tschechien trifft dies ganz sicher vor. Während die Brüsseler Unterhändler ihre tschechischen Partner als harte Gegenspieler bezeichneten, wurden sie zuhause neben Gratulationen mit Vorwürfen der Opposition überhäuft, dass sie in Brüssel nicht ein größeres Stück aus dem Kuchen erkämpft hätten. Darin sind wir freilich keine Ausnahme. Auch in den anderen Kandidatenländern zählten die, die von einem Erfolg sprachen, zu den Regierungsparteien, während die Opposition umgekehrt die negativen Seiten hervorhob."

Die Zeitung Hospodarske novinyüberlegt, wie sich die in Kopenhagen beschlossene EU-Erweiterung wohl auf die tschechische Politik auswirkt und kritisiert zunächst deren provinzielle Ausrichtung:

"Die tschechische Politik ist häufig von Kurzsichtigkeit geprägt und richtet den Blick nur auf die nächste Zukunft. Es täte Not, sich in einem breiteren Kontext über die Folgen der auf dem Kopenhagener Gipfel getroffenen Entscheidung Gedanken zu machen. Die europäische Politik als Ganzes und die Politik der einzelnen europäischen Länder sind so stark miteinander verbunden, dass Provinzialität höchst schädlich sein kann. Die tschechische und die europäische Politik werden sich miteinander vermischen. Und daher wird es umso wichtiger sein zu wissen, wer in welchem Gebiet in der EU unser Verbündeter sein kann. Davon, wie die tschechische Politik die Regeln der EU beherrschen wird, wird abhängen, ob der ganze Staat in der Lage ist, die Gelegenheit zu nutzen, die sich ihm mit dem EU-Beitritt bietet."

Abschließend noch ein Kommentar aus der Zeitschrift Respekt, die daran erinnert, dass die definitive Entscheidung über den tschechischen EU-Beitritt noch nicht gefallen ist:

"Die Einladung in die Union ist noch nicht automatisch gleichbedeutend mit einer Mitgliedschaft. Bislang haben hauptsächlich Diplomaten und Beamte die Verhandlungen geführt. Jetzt aber sind unsere tschechischen Politiker an der Reihe, die bis zum nächsten Juni, wenn hier das Referendum über den Beitritt abgehalten wird, ihre Verhandlungsergebnisse auch vor den Bürgern verteidigen müssen."