Rockband trifft auf Oma-Chor: Wie ein Kulturprojekt Tschechien begeistert

30. April 2012 - Vor einem Open-Air-Konzert

Musik kennt keine Grenzen. Sie kann auch Brücken bauen – zwischen den Völkern, aber auch zwischen den Generationen, also zwischen Jung und Alt. Dieses Potential der Musik zu nutzen, hat sich im Jahr 2010 die gemeinnützige Organisation Elpida entschlossen. Sie bietet in ganz Prag Beratungen und Fortbildungskurse für Senioren an. Nun touren junge Musiker gemeinsam mit einem Chor älterer Damen durchs Land: die Rockband „Please the Trees“ und der „Elpida-Frauenchor“.

Václav Havelka
Am Anfang stand eine cross-mediale Kampagne. Elpida wollte landesweit eine öffentliche Diskussion anregen, mit der Aufforderung: „Sprechen wir über das Alter“. Ziel war, das negative Bild von tschechischen Senioren, das Politiker und Medien oft transportieren, zu korrigieren. Auf großformatigen Billboards und Postern wurde auf die schwindende Altersakzeptanz junger Menschen verwiesen. Dabei waren neben den Gesichtern anonymer SeniorInnen auch die einiger bekannter junger Künstlerinnen und Künstler zu sehen. Darunter auch das Gesicht von Václav Havelka, dem Frontmann der Gruppe „Please the Trees“.

Havelka hatte die Band 2006 gegründet und binnen kurzer Zeit in der tschechischen Indie-Rockszene etabliert. Drei Alben hat das Quartett bereits herausgebracht und es hat internationale Erfahrung gesammelt, so unter anderem bei Auftritten in den USA. In Übersee hat sich Havelka auch viel Inspiration für die Songs gesammelt, die meist in seiner Regie entstehen. Bei der erwähnten Kampagne wollte er allerdings nicht auf gestylten Fotoaufnahmen einfach nur so sein Gesicht präsentieren, sagt der Bandleader:

Please the Trees
„Ich habe prinzipiell keine Ambitionen, mein Gesicht zur Schau zu stellen. Als es aber doch dazu kam, wollte ich dies mit etwas Sinnvollem verbinden - ohne jeden kommerziellen Hintergrund also.“

Seine Idee war, die Solidarität zwischen den Generationen mit etwas mehr Inhalt zu füllen – und das in dem Bereich, in dem er sich auskennt: in der Musik. Spontan sein ihm dann eingefallen, die besagte Kampagne mit einem Gemeinschaftskonzert seiner Band und einem Seniorenchor abzuschließen. Der Chor musste aber zunächst im Elpida-Zentrum aus Freiwilligen aufgebaut werden. Das gelang dann auch.

Das Konzert fand in der Prager Kirche Simon und Juda statt und wurde zum Event. Zusammen mit der Gruppe „Please the Trees“ trat ein mit 20 Seniorinnen besetzter Chor auf, Durchschnittsalter 70 Jahre. Es soll auch männliche Freiwillige gegeben haben. Die hätten aber nach der zweiten Probe aufgegeben, sagt Bronislava Hilliová, Leiterin des Elpida-Zentrums. Hauptmotivation für die Frauen war wohl, die Angst vor öffentlichen Auftritten zu überwinden:

Fernsehinterview mit Bronislava Hilliová vor einem Open-Air-Konzert
„Auch der Kontakt mit den jungen Musikern, die sich in einem anderen Umfeld bewegen, bereitet den Frauen Genugtuung. Die Seniorinnen haben früher auch nicht die Musik gehört, die ´Please the Trees´ spielen. Obendrein haben sie nie Englisch gelernt und sind auch nie auf einer Bühne gestanden.“

Am Anfang notierten sich die Chordamen mühsam die phonetische Umschrift der englischen Songtexte von Please the Trees, um sie so gut wie möglich wiederzugeben. Václav Havelka schrieb aber speziell für die Seniorinnen auch drei tschechische Titel, damit sie den Gesang intensiver erleben. Im Lauf der Zeit ist den Seniorinnen auch das Musikgenre selbst sozusagen ins Blut übergegangen. Zum Beispiel der siebzigjährigen Irena Holovská. Sie besuchte im Elpida-Zenrum einen PC-Kurs. Die neue Herausforderung im Chor rief bei ihr unter anderem auch Erinnerungen an frühere Zeiten hervor:

„Als Kind habe ich gerne zu Hause mit meiner Mutter und Schwester dreistimmig gesungen. Das erste Konzert mit der Please the Trees hat mich absolut begeistert. Als danach eine Zeitlang nichts mehr passierte und in unserem Chor nur Volkslieder gesungen wurden, habe ich lieber auf einen Sprachkurs umgesattelt. Seit die Zusammenarbeit mit Václav Havelka und seiner Band wieder erneuert wurde, nehme ich regelmäßig an den Proben und Konzerten teil.“

Irena Holovská
Auch im Rampenlicht der Öffentlichkeit zu stehen, macht ihr kein Problem:

„Früher hatte ich oft Lampenfieber, jetzt aber nicht mehr. Das liegt vielleicht am Alter. Jedes Mal, wenn wir ein Konzert haben, gibt das mir viel Energie und macht Riesenspaß!“

Das erste Konzert in der Kirche Simon und Juda war nämlich nicht das letzte. Die Resonanz in der Öffentlichkeit war so positiv gewesen, dass das Projekt ein paar Monate später auf eine nächste Ebene gehoben wurde. Ziel war nun, eine gemeinsame Konzerttournee durch sechs große Städte Tschechiens zu veranstalten. Dies gelang Ende 2011, Anfang 2012 und war erneut ein großer Erfolg. Die Konzerte fanden absichtlich in angesagten Musikklubs statt, in denen sich junge Menschen treffen. In einigen Städten sei es sogar „Spitze“ gewesen, schwärmt Stáňa Pucholtová, ein weiteres Mitglied des Chors:

„Die besten Konzerte hatten wir in Olmütz, Budweis und Hradec Králové. Wir mussten mehrere Zugaben spielen. Das war echt rührend, es war Balsam für die Seele.“

Opener der Konzerte war in der Regel das Lied „Půlnoční“ (Mitternachtsmesse) aus dem erfolgreichen tschechischen Film „Alois Nebel“. Das Stück hatte im vergangenen Jahr besonders bei den Jugendlichen punkten können. Bei den Konzerten wurde es von den Autoren des Stücks, Dušan Neuwerth oder Jaromír Šejdík, gesungen, die als Gaststars auftraten.

30. April 2012 - Vor einem Open-Air-Konzert
Dass kein Meister vom Himmel gefallen ist, wissen die Elpida-Damen dank ihrer Lebenserfahrungen sehr gut. Ihr Engagement im Chor haben sie daher von Anfang an ernst genommen, um zu zeigen, dass man auch im höheren Alter noch etwas Neues lernen kann. Mit Václav Havelka und auch mit der jungen Chorleiterin Zuzana Seibertová, die Operngesang an der Musikhochschule in Bratislava studiert, trifft man sich jeden Freitagvormittag zu Proben.

Das Projekt funktioniert also, und die Beteiligten stecken sich kontinuierlich neue Ziele. Bandleader Havelka freut sich sehr über die harmonische „Vernetzung“ der Generationen bei den gemeinsamen Produktionen:

„Für mich ist es das größte Glück, dass es so gut gelungen ist. Man sollte lebenslang ungeachtet des Alters nach einer Motivation suchen, persönliches Glück zu erreichen. Ich selbst habe das Gefühl, durch die Musik und die Zusammenarbeit mit dem Elpida-Chor eine positive Energie auf die Umgebung übertragen zu können. Das hat mich von Anfang an innerlich erfüllt.“

30. April 2012 - Open-Air-Konzert
Ganz selbstverständlich sei es allerdings nicht gewesen - wegen der Gefahr, dass der Grundgedanke durch eine potenzielle Kommerzialisierung verloren gehen könnte. Hierzulande tendiere man auch im Wohltätigkeitsbereich dazu, den Leuten etwas vorzugaukeln, anstatt ihnen aus innerer Überzeugung heraus etwas Substantielles zu vermitteln, so Havelka. Das ist aber in diesem Fall offenbar nicht passiert. Noch vor dem Beginn der Konzerttournee haben sich alle Beteiligten darauf geeinigt, aus dem eventuellen Ertrag weitere Aktivitäten des Elpida-Zentrums zu finanzieren.

Von dem positiven Effekt sind mittlerweile viele überzeugt. Ebenso davon, dass die Verbindung des scheinbar Unverbindbaren – Rockmusik und Senioren der Alterkategorie 65 plus - gut ankommen kann. Nicht von ungefähr bekommen Please the Trees immer mehr Einladungen, zusammen mit dem Elpida-Frauenchor, so sein offizieller Name, aufzutreten. Für die kommenden Monate ist der Terminkalender des musikalischen Gemeinschaftsprojektes voll. Selbst bei den vier größten Musikfestivals in Tschechien, sind Auftritte geplant: bei United Islands of Prague, United Colours of Ostrava, dem Open Air Festival Trutnov und Rock for People in Hradec Králové. Václav Havelka:

„Ich freue mich sehr. Wir alle sind entschlossen, viel Energie in die Vorbereitung zu investieren. Ebenso freue ich mich darauf, dass es auch unseren Damen neue Erfahrungen bringen wird.“