Schloss Stránov: nie belagert und nie erobert
Mehrmals haben die Filmemacher das märchenhafte Neorenaissanceschloss Stránov bereits als Kulisse genutzt – für Melodramen, Filmmärchen oder auch für einen Krimi. Gedreht wurde hier unter anderem der erste tschechische Krimi-Tonfilm aus dem Jahr 1933.
Die einst prunkvolle Neorenaissanceresidenz gehört erst seit einigen Jahren wieder den Erben der letzten Schlossbesitzer. Sie bemühen sich, das historische Areal wieder instand zu setzen. Während des Kommunismus residierte in dem architektonisch wertvollen Gebäude zuerst die Polizei, später war dort ein Kinderheim untergebracht. Mit dem historischen Areal wurde recht brutal verfahren, das Schloss wurde während der 1950er Jahre schrittweise geplündert, der einstige englische und französische Park verfielen in einem Maße, dass man heutzutage kaum erkennen kann, dass es hier früher eine Parkanlage gegeben hat.
Doch der Kastellan des Schlosses, Petr Rasken Chaloupka, versucht das Beste daraus zu machen. Er ist ein Multitalent: Er macht Führungen, denkt sich Veranstaltungen aus, die das Schloss beleben, und wenn es notwendig ist, schlüpft er auch in die Rolle eines Handwerkers. Vor allem aber kennt er sich in der Geschichte von Stránov gut aus.„Als erstes erwähnt wurde eine hölzerne Festung, die an diesem Ort stand, sie stammte aus dem Jahr 1429. Die Festung gehörte Bohuněk von Stránov, einem Anhänger der Hussiten. Er verkaufte die Festung einem anderen Hussitenanhänger, Jaroš von Sovojovice. Dieser ließ hier im Jahr 1463 dann eine Burg bauen, die befestigt war und Bastionen hatte. Aber die Burg wurde nie belagert und dadurch auch nie erobert. Es herrschten hier Ruhe und Behagen.“
In der Umgebung indes wüteten die Schlachten der Hussiten. Auch während des Dreißigjährigen Kriegs wurde in der Region hart gekämpft. Nur in Stránov sei es höchst friedlich gewesen, erzählt der Kastellan. Dabei habe es in der Region auch einige Räuberbanden gegeben. Unweit des heutigen Schlosses ließ sich einst einer der Mörder des heiligen Wenzel nieder und gründete dort das so genannte „Nový Stránov“, von dem heute nur noch eine Burgruine erhalten ist. Das Grundstück schenkte ihm Fürst Boleslav als Entlohnung für den Mord.Die von Jaroš erbaute gotische Burg gehörte in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts dem bekannten Adelsgeschlecht Berka von Dubá. Danach wechselte die Burg einige Mal den Besitzer. Die Slavatas oder die Biebersteins ließen die Burg in ein Renaissanceschloss umbauen. Der letzte Besitzer des Schlosses war Josef Šimonek. Petr Rasken Chaloupka:
„1917 kaufte der damalige Direktor der Pilsner Škoda-Werke, Josef Šimonek, das Schloss von der Familie Waldstein. Kurz vor der Gründung der Tschechoslowakei wurde Šimonek für seine Verdienste um die Industrieentwicklung in den Adeligenstand erhoben. Er wurde Baron. Es war damals der letzte Adeligentitel, den Kaiser Karl in Böhmen verliehen hat. Šimonek war nach 1918 Präsident der Škoda-Werke, er war auch Senator. Die Kommunisten haben das Schloss in den 1950er Jahren beschlagnahmt. Fünf Jahre lang nutzte die Polizei das Areal. Seit 1955 war ein Kinderheim im Schlossgebäude untergebracht. Der Vorhof gehörte damals einer landwirtschaftlichen Genossenschaft.“ Den Umbau des Schlosses im Neorenaissancestil hatte noch Marie von Waldstein und von Wartenberg um 1890 initiiert. Mit dem Bau beauftragte sie den Architekten Josef Schulz, der zuvor unter anderem das Prager Nationaltheater oder das Rudolfinum entworfen hatte.„Der Architekt der schönsten Neorenaissancebauten in Böhmen ist mit dem Schloss sehr großzügig umgegangen. Er schuf eine Art märchenhaftes Burg-Schloss mit zahlreichen kleinen Türmen, Arkaden und Balkons. Der englische Park wurde erneuert. Vor dem heutigen Vorhof befand sich ein französischer Park, und dort wurde Ende des 19. Jahrhunderts ein Zwinger errichtet. Im Zwinger wurden Bären gehalten. Die Gattin des Schuhproduzenten Baťa, der das Schloss oft besuchte, brachte einmal einen Löwen Namens Cesar als Geschenk mit. Angeblich soll es hier auch ein Krokodil gegeben haben, aber die Dorfbewohner zweifeln daran. Auf den erhalt gebliebenen Fotos sind jedenfalls nur Bären, Schakale und Affen zu sehen.“
Die Führung durch Stránov beginnt in der gotischen Kapelle. Von der ursprünglichen Einrichtung des Sakralraums ist nichts mehr erhalten geblieben, erzählt der Kastellan:„Den ursprünglichen Goldkelch aus der hiesigen Kirche musste einer der früheren Schlossbesitzer, Michal Slavata von Chlum, kurz nach der Schlacht am Weißen Berg verpfänden, also den kann man hier bestimmt nicht mehr finden. In der Kapelle und dem anliegenden Saal werden heutzutage Hochzeiten veranstaltet. Leider können wir hier kein Festmahl für die Hochzeitsgäste organisieren, denn im Schloss gibt es kein Restaurant, nur eine ganz kleine Kneipe. In der Kapelle mit dem anliegenden Saal veranstalten wir aber auch Konzerte, Treffen von historischen Fechtern sowie Theatervorstellungen. Es gab hier inzwischen auch Musikfestivals verschiedener Genres – von der Blasmusik über Country bis zu Reggae. Wir bemühen uns darum, das Schloss bekannter zu machen und mehr Besucher hierherzubringen. Sehr erfolgreich war voriges Jahr das so genannte ´Medovinobraní´ - also die ´Honigweinlese´, zu der rund 2000 Menschen nach Stránov gekommen sind.“
Das Schloss ist seit 2004 für die Öffentlichkeit geöffnet. Das ganze Areal wird allmählich in Stand gesetzt. Während des kommunistischen Regimes wurde mit dem historischen Bau nicht gerade sensibel umgegangen. So wurden beispielsweise in den ehemaligen Repräsentationsräumen Waschräume und Toiletten eingerichtet, die man heute noch sehen kann. Die Führung durch das märchenhafte Schloss Stránov werden wir in der nächsten Ausgabe des „Reiselands“ fortsetzen. Stránov hat übrigens einen großen Vorteil: es ist das ganze Jahr hindurch geöffnet, und zwar täglich außer montags.Fotos: Autorin