Schloss Stránov: Phönix aus der Asche

Schloss Stránov (Foto: Martina Schneibergová)

Das Schloss hat die Filmemacher schon in den 1930er Jahren gelockt. Das unweit von Mladá Boleslav gelegene Stránov ist ein märchenhafter Bau mit zahlreichen Türmchen, Arkaden und Balkonen. In diesem Stil wurde das ursprüngliche Renaissanceschloss Ende des 19. Jahrhunderts vom Architekten des Prager Nationaltheater, Josef Schulz, umgebaut. Die einst prunkvolle Residenz gehört erst seit einigen Jahren wieder den Erben der letzten Schlossbesitzer. Sie versuchen, das historische Areal, das während des Kommunismus zum Teil geplündert wurde, wieder in Stand zu setzen.

Schloss Stránov
Schloss Stránov gehörte seit 1917 Familie Šimonek. 1950 wurde das ganze Schlossareal vom Staat beschlagnahmt. Zuerst hatte dort die Polizei ihren Sitz, später wurde ein Kinderheim in dem historischen Gebäude untergebracht. Von der ursprünglichen Einrichtung des Schlosses ist nur recht wenig erhalten geblieben. Von rund 700 Stücken des Originalmobiliars wurden den Erben der letzten Schlossbesitzer an die 40 Gegenstände zurückgegeben. Auch von der früheren Bildergalerie habe man kaum etwas wieder gefunden, erzählt der Kastellan des Schlosses, Petr Rasken Chaloupka.

„Dies ist eigentlich die Galerie, jedoch nur mit zwei Gemälden. Vor kurzem besuchte uns der ehemalige Hausmeister vom Kinderheim, das hier früher untergebracht war. Er erzählte, dass noch vor rund zehn Jahren mehrere Gemälde auf dem Dachboden aufbewahrt wurden, aber die sind inzwischen verschwunden. Wir haben hier nur eine Kopie eines Gemäldes von Petr Brandl. Interessant daran ist, dass es von einem Luftgewehr zerschossen ist. Wahrscheinlich wurde das Gemälde in den 1950er Jahren als Zielscheibe benutzt. Das Originalbild hängt in der Nationalgalerie. Das zweite Gemälde ist das so genannte Epitaph. Es stellt Karl von Bieberstein dar, der 1590 gestorben ist. Das ist das älteste und auch einzige Gemälde, das wir hier haben.“

Schloss Stránov
Aus dem Raum führt eine Tür auf einen Balkon, von dem aus man sich die Umgebung des Schlosses anschauen kann. Man kann sich vorstellen, dass sich die heute hohen Bäume einst hinter der Burgmauer befanden. Die Reste der Burgmauer wurden in den 1970er Jahren beseitigt, erzählt der Kastellan. Der gotische Turm wurde abgerissen genauso wie die gotischen Tore. Die Brücke sei zerfallen, das Freilichttheater unter dem Schloss sei in eine Müllhalde verwandelt worden. Die wertvollen Bäume aus dem englischen Park habe man zu Brennholz verarbeitet. Der Park ist inzwischen völlig verwildert, aber eine Freilichtbühne kann man sich in dem heute recht dichten Wald doch noch vorstellen.



Historische Puppen im Schloss Stránov
Wie in einem historischen Spielzeugladen sieht es in zwei Zimmern im ersten Stock des Schlosses aus. Zahlreiche historische Puppen und Kinderwagen sind hier ausgestellt. Sie stammen alle aus einer Privatsammlung. Die Hobbysammlerin, die inzwischen rund 300 Kinderwagen aus allen Epochen gesammelt hat, hat nur eine Wohnung, und in die passt ihre Sammlung nicht mehr hinein. Und so stellt sie einen Teil davon in Stránov aus. In einem anderen Raum sind einige Gegenstände ausgestellt, die der Familie Šimonek gehörten und in den 1950er Jahren gerettet wurden: Fotos, Spielzeug und sogar das Hochzeitskleid der Mutter des heutigen Besitzers.

Als das Kinderheim im Schloss untergebracht wurde, wurden in den einstigen kleineren Salons Zimmer für die Kinder eingerichtet. Auf das Parkett klebte man ein Linoleum, die Wände wurden mit Emaillelack gestrichen, alle Türen herausgerissen und durch Vorhänge ersetzt. Ein größerer Salon wurde in Badezimmer und Toiletten verwandelt, erzählt Petr Rasken Chaloupka.

Salon wurde in Badezimmer und Toiletten verwandelt
„Das ist der Weiße Salon. Hier fangen die Franzosen oder Briten meistens erst an zu fotografieren, denn so etwas haben die Touristen noch in keinem Schloss gesehen. Unter diesem Boden liegt Parkett, und heute steht hier eine Reihe von Toiletten. Wir wissen aber nicht, wie der Salon ursprünglich ausgesehen hat. Das Interieur hat man entweder nicht fotografiert oder haben wir die Fotos noch nicht gefunden. Die Besitzer selbst haben nur sieben Fotos vom ganzen Schloss.“

Im ehemaligen Speisesaal sind momentan einige historische Motorräder aus der Sammlung des Schlossbesitzers Jiří Šimonek ausgestellt. Ursprünglich sollten die Motorräder vor dem Schloss stehen, was sich jedoch nicht bewährt hatte, erzählt der Kastellan. Der Saal, der der größte Raum im Schloss ist, hat seinen Worten zufolge eine hervorragende Akustik, und so soll er künftig als Konzertsaal dienen. Aus dem ehemaligen Speisesaal geht es weiter in den letzten verbliebenen Turm. Bei gutem Wetter sieht man viel weiter als nur in den Hof vor dem Schloss. Der Kastellan zeigt auf die Gebäude:

Schloss Stránov
„Einer der Rebellen wurde gepeitscht, und als er zusammenbrach, drangen die Leute ins Schloss rein und fingen an, es zu demolieren. Am Abend trafen die Soldaten ein. Die Rebellen wurden gezählt und vors Gericht geschickt. Die Schäden wurden beziffert. Es hieß, die Leute hätten den Gemüsegarten vernichtet, die Tür von der Kanzlei rausgerissen, zwei Rasiermesser, 15 Löffel und einige Pfund Kerzen gestohlen und 434 Glasscheiben zerschlagen. Die Schäden sollten sie bezahlen. Die Frauen bekamen einige Schläge mit der Rute, die Männer mit dem Stock. Die härteste Strafe, zu der jemand von den Rebellen verurteilt wurde, waren zwei Wochen bei Brot und Wasser. Und dies ist die blutigste Geschichte aus Stránov, einer Burg, die über Artilleriebastionen, Wehrtürme, Graben verfügte. Hier herrschten Ruhe und Behagen, nie wurde hier gekämpft. Das Schloss fiel erst 1950. Damals wurde es ohne einen einzigen Schuss erobert.“

Englischer Park
„Dort gab es früher die Befestigung der mittelalterlichen Burg. Später standen hier vorne die Wirtschaftsgebäude: der Gutshof, Pferdeställe, eine Scheune. Erst dahinter erstreckte sich einst der französische Park. Ein englischer Park mit vielen Gartenlauben wurde um das Schloss herum errichtet. Von den ursprünglichen steinernen Bänken sind hier noch einige Bruchstücke zu sehen. Ein vor dem Schloss stehender Speicher wurde in der Barockzeit in die St.-Wenzel-Kirche umgebaut. Der Kirchenturm ist wiederum ein umgebauter Wasserturm.“

Alles hatte ursprünglich eine andere Funktion, scheint es. Sogar das Türmchen an der Sakristei soll vorher ein Wehrturm in der Vorburg gewesen sein.

Schloss Stránov
Mit Stránov ist auch eine berühmte Persönlichkeit verbunden, erzählt der Kastellan etwas geheimnisvoll in einem weiteren Schlosszimmer:

„Dieser Raum diente einst als das Schlafzimmer von Alžběta Lidmila z Lisova. Das war die Urenkelin des dänischen Astronomen Tycho Brahe. Sie hatte hier nach 1650 gelebt. Sie beschrieb ihr Leben hier in einer Chronik, die vor kurzem erschienen ist. Hier brachte sie wahrscheinlich drei ihrer 15 Kinder zur Welt. In der Chronik schrieb sie nämlich, dass sie in einem Zimmer über der Brücke entbunden hatte. Das ist das einzige, was man in der Chronik über Stránov erfährt.“



Schloss Stránov
Brahes Urenkelin soll nach Worten von Petr Rasken Chaloupka eine gebildete und interessante Dame gewesen sein. Sie schrieb tschechisch sowie deutsch und beherrschte wahrscheinlich auch die lateinische Sprache. Neben den 15 Kindern kümmerte sie sich zudem um den Alltagsbetrieb im Schloss. Ihr Mann stammte aus einer brandenburgischen Adelsfamilie. Sie hießen ursprünglich von Lissau, aber haben ihren Namen bald in das tschechische „z Lisova“ geändert. Der Mann von Alžběta Lidmila z Lisova war kaiserlicher Kämmerer und reiste oft nach Prag oder Wien. Der Kastellan:

Denkmal von Miroslav Tyrš
„Sie musste sich um die ganze Wirtschaft kümmern. In ihrer Chronik findet man nicht nur Kochrezepte, sondern auch verschiedene gut gemeinte praktische Ratschläge. Interessant war die Beziehung der Adelsfamilie zu der hiesigen Bevölkerung. Zur Taufe ihrer Kinder lud Alžběta nicht nur Leute aus der Umgebung des Kaisers, sondern auch einige arme Leute aus dem Dorf ein. Bei ihrem ersten Besuch in Wien wollte sie die kaiserliche Bibliothek sehen. Sie suchte dort höchstwahrscheinlich nach Informationen über den Urgroßvater Tycho Brahe. Denn sie stellte Memoiren für ihre Familie zusammen.“

Auch wenn sich in der Umgebung von Stránov Schlachten während der hussitischen Zeit sowie später während des Dreißigjährigen Krieges abspielten, Stránov selbst wurde nie belagert und nie erobert. Doch immerhin eine kleine Rebellion hat das Schloss erlebt, und ein Dorflehrer hatte sie ausführlich beschrieben. 1808 standen die Bewohner von Stránov gegen die gewaltsamen Rekrutenaushebungen auf, erzählt der Kastellan.

Schloss Stránov
„Einer der Rebellen wurde gepeitscht, und als er zusammenbrach, drangen die Leute ins Schloss rein und fingen an, es zu demolieren. Am Abend trafen die Soldaten ein. Die Rebellen wurden gezählt und vors Gericht geschickt. Die Schäden wurden beziffert. Es hieß, die Leute hätten den Gemüsegarten vernichtet, die Tür von der Kanzlei rausgerissen, zwei Rasiermesser, 15 Löffel und einige Pfund Kerzen gestohlen und 434 Glasscheiben zerschlagen. Die Schäden sollten sie bezahlen. Die Frauen bekamen einige Schläge mit der Rute, die Männer mit dem Stock. Die härteste Strafe, zu der jemand von den Rebellen verurteilt wurde, waren zwei Wochen bei Brot und Wasser. Und dies ist die blutigste Geschichte aus Stránov, einer Burg, die über Artilleriebastionen, Wehrtürme, Graben verfügte. Hier herrschten Ruhe und Behagen, nie wurde hier gekämpft. Das Schloss fiel erst 1950. Damals wurde es ohne einen einzigen Schuss erobert.“

Das während des Kommunismus verstaatlichte und ausgeplünderte Schloss gehört seit einigen Jahren wieder der Familie Šimonek. Das ganze Areal wird schrittweise in Stand gesetzt. Geöffnet ist das Schloss das ganze Jahr hindurch außer montags.

Fotos: Autorin

10
50.370649520000
14.853687290000
default
50.370649520000
14.853687290000