Slowakische Präsidentenwahl und tschechische Hochschulproteste

Ivan Gasparovic und Vladimír Meciar (Foto: CTK)

Wie immer freitags informieren wir Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, auch dieses Mal über die tschechische Medienlandschaft. Heute fassen Melanie Agne und Daniel Satra zwei Themen zusammen, die in der tschechischen Presse für Schlagzeilen gesorgt haben: Die unerwartete Stimmenmehrheit von Vladimír Meciar auf dem Weg ins slowakische Präsidentenamt und Proteste an den Hochschulen Tschechiens.

Ivan Gasparovic und Vladimír Meciar  (Foto: CTK)
"Der slowakische Schock. Meciar gewinnt!" So titelte die auflagenstärkste tschechische Tageszeitung Mlada fronta Dnes am Montag. Was war passiert? Kurz zusammengefasst: Unerwartet hat Vladimír Meciar am Wochenende den ersten von zwei Wahlgängen für das Präsidentenamt gewonnen. Meciar war von 1994 bis 1998 Ministerpräsident in der Slowakischen Republik und ist in die tschechisch-slowakische Geschichte als Vorantreiber der staatlichen Teilung eingegangen. Der konservative Politiker hat am Sonntag den Favoriten der Regierungskoalition Eduard Kukan weit hinter sich gelassen. Nur sein ehemaliger Weggefährte Ivan Gasparovic, der sich im Streit von Meciars Oppositionspartei "Bewegung für eine demokratische Slowakei" (HZDS) getrennt hatte, ist noch im Rennen. Die Tageszeitung Hospodarské Noviny schreibt, wie es zu einer solchen Schlappe für die gemäßigten Regierungsparteien kommen konnte:

"Das Debakel bei den Präsidentenwahlen wird nach Meinung von Analytikern zu einer Schwächung der Regierungskoalition führen. Diese hat schon lange mit einem Rekordtief in der Gunst der Öffentlichkeit zu kämpfen, vor allem wegen der harten Sozialreform. Am Misserfolg trägt aber auch zum Teil die Uneinigkeit der vier Regierungsparteien Schuld, die sich nicht auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen konnten. Zum unerwarteten Fall von Eduard Kukan hat aber auch die geringe Wahlbeteiligung beigetragen. Nicht einmal die Hälfte der Wahlberechtigten ist an die Wahlurnen gekommen."

Die tschechische Tageszeitung Lidové Noviny lässt einen Kollegen aus der Slowakei zu Wort kommen: Lubos Palata, der stellvertretende Chefredakteur der slowakischen Tageszeitung Pravda, erklärt die Bedeutung eines Wahlsiegs von Meciar für den 5-Millionen-Einwohner-Staat aus internationaler Sicht:

"Meciar ist nach wie vor im Westen ein Symbol für einen unannehmbaren autokratischen Politiker, vergleichbar mit Lukaschenko und Milosevics. Und das wenigstens teilweise zu Recht."

Anders jedoch als sein Kontrahent Gasparovic, lasse Meciar seinen Blick nach wie vor stärker nach Osteuropa anstatt in Richtung Europäischen Union schweifen:

"Das hat zur Folge, dass die slowakische Staatskasse mit Meciar als Präsidenten zumindest in einem Bereich sparen kann: Einladungen zu Staatsbesuchen wird ein Präsident Meciar sehr ähnlich wie vor Jahren erhalten, als er noch Premier war. Also nur nach Moskau, Kiew oder Minsk. Aber auch von der Prager Burg wird Meciar - anders als zu Zeiten Havels - mit Sicherheit eine Einladung bekommen."

Denn auf der Prager Burg hat seit über einem Jahr der konservative Václav Klaus als tschechischer Präsident und ehemaliger Premierminister seinen Amtssitz. Sollte Meciar den Weg ins slowakische Präsidentenamt zu Ende gehen, treffen sich also alte Bekannte wieder, auf den gleichen politischen Trampelpfaden. Eine tschechisch-slowakische Übereinstimmung sieht auch Jan Machácek in seinem Kommentar für die Hospodarské Noviny:

"Das ist wohl typisch für unreife und halbwüchsige postkommunistische Wählerschaften. Im Westen gilt nämlich, dass derjenige, der politisch versagt hat und Misserfolge einstecken musste, keine zweite Chance bekommt. Hierzulande schreiben Wähler das Buch des Vergessens. Die Wirtschaftspolitik des Premierministers Václav Klaus endete in Fehlschlägen und einer Abwertung der Krone. Als Premier hat er die Bankenprivatisierung verschoben, sich gegen die Regulierung der Kapitalmärkte gewehrt, die Banken zur Finanzierung der Privatisierung gezwungen und so weiter. (...) Meciar hat die Privatisierung skrupellos für sein eigenes Wohl und das seiner Freunde ausgenutzt. De facto hat er den Geheimdienst 'privatisiert' und mit der Unterwelt verflochten."

Vor allem eine Übereinstimmung ist für Machácek herausragend: Beide - Klaus und Meciar - haben einen ausgeprägten Hang zur Macht. Über die beiden Machtpolitiker hat mit Radio Prag der tschechische Politologe Bohumil Dolezal gesprochen:

"Beide Politiker sind Populisten, und beide haben sozusagen autoritäre Sehnsüchte, die auch das, wie sie ihre Funktion ausüben beeinflussen werden. Das ist die Ähnlichkeit. Den Unterschied sieht man im Kolorit, denn in der tschechischen Republik ist der Präsident ein Wissenschaftler, das ist eine Tradition. In der Slowakei findet sich in der Person Meciar eher ein folkloristischer Charakter. Aber der autoritäre Hang ist auf beiden Seiten sehr ähnlich, und das kann potentiell in der Zukunft gefährlich werden."

Anders als in Deutschland, wo mit der Bundesversammlung ein eigenes Gremium das Staatsoberhaupt wählt, ist in Tschechien das Parlament mit der Präsidentenwahl betraut. In der Slowakei hingegen wählen die Bürger ihren Präsidenten direkt. Auch wenn die politischen Möglichkeiten des slowakischen Präsidenten formal gering sind, kann er Einfluss geltend machen: Er bestimmt alle Richter, auch die Verfassungsrichter, und hat die Bankaufsicht. Zudem könnte Meciar sich erneut mit dem Geheimdienst kurzschließen, wie die Hospodarské Noviny mutmaßt. Anders als Klaus hält der Politologe Dolezal Meciar für keinen besonders pfiffigen Taktiker. Außerdem ist mit dem zweiten Wahlgang am 17. April zwar die Präsidentschaft aber noch lange nicht der politische Kurs entschieden, so der Politologe.

"Ich bin der Meinung, dass man abwarten muss, was eigentlich der neu gewählte Präsident machen wird. Meiner Meinung nach wird es höchstwahrscheinlich Meciar schaffen. Mit Meciar gab es in der Vergangenheit sehr schlechte Erfahrungen, aber das war damals auch eine ganze andere Situation. Jetzt die Slowakei Mitglied der NATO und wird im Mai Mitglied der Europäischen Union. Damit entsteht ein ganz neuer Rahmen, in dem sich Meciar bewegen muss."

Soweit Bohumil Dolezal, und soweit auch das Thema Präsidentenwahl in der Slowakei. Wenden wir uns einem zweiten Ereignis zu:

Studenten und Hochschullehrer haben in der vergangenen Woche gemeinsam in Prag für mehr Geld an den Universitäten demonstriert. Nur 0,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts fließe in Tschechien in die Hochschulen, in EU-Staaten bekommen die Bildungseinrichtungen immerhin mit 1,5 Prozent fast das Doppelte, so die Beschwerde. Die Politiker haben die Proteste ohne mit der Wimper zu zucken ausgesessen. Petr Zídek erklärt in der Lidové Noviny warum:

"Die tschechischen Studenten haben bisher nicht begriffen, dass die Politik ein zynisches Spiel ist. Vom Staat kann nur derjenige etwas erzwingen, der es schafft glaubhaft die Gesellschaft zu gefährden. Ein Demonstrationszug von gerade einmal 2500 Menschen - also ungefähr 1 Prozent aller Hochschüler -, das Skandieren von Schlagworten und Luftballons werden Politiker sicher nicht aus ihrer Lethargie erwecken. Wenn die Studenten Erfolg haben wollen, müssen sie tatsächlich härter vorgehen, wie einige von ihnen versprechen. Ein langer Streik, eine Kommunikationsblockade und ein wenig Straßenkampf - das sind meist die Mittel, die Politiker aufhorchen lassen."

Neben einer Radikalisierung der Proteste, die der Kommentator eher mit einem Augenzwinkern fordert, sieht Zídek einen anderen, grundlegenderen Aspekt der Hochschulreform im Vordergrund:

"Wenn man über die Reform der Hochschulen spricht, muss man auch über Studiengebühren sprechen. Die würden nicht nur die Geldfrage lösen, sondern das würde auch die anarchistischen Strukturen auflösen. Derjenige, der sein eigenes Geld investiert, wird auch eher eine qualitative Gegenleistung einfordern. Die Veranstalter der Studentenproteste haben jedoch alles getan, um diesem Thema auszuweichen."

Milan Hamerský wirft in der Mlada fronta Dnes einen Blick auf die Akteure in der Debatte um Hochschulreformen. Er fasst zusammen:

"Es gibt mehrere Gruppen, die unterschiedliche Dinge fordern. Die Protestierenden fordern, dass mehr Geld in die Universitäten fließen soll. Die regierenden Sozialisten sprechen über das Wissen in einer Gesellschaft, mehr Geld haben sie aber auch nicht zur Verfügung. Und aus ideologischen Gründen blockieren sie das Einführen von Studiengebühren sowie andere unabkömmliche Veränderungen. Die Reformer, an ihrer Spitze der Soziologe Petr Mateju, halten das berechtigte Einführen einer Beteiligung der Studenten für den richtigen aber zweiten Schritt. Der erste Schritt war das Durchsetzen der von den Universitäten nur unter Zähneknirschen hingenommenen Umstrukturierung des Studiums in ein Bachelor-, Master- und Doktorstudium."

Alle Presse-Kommentare zusammen scheinen sich - wenn auch im Detail Unterschiede auffallen - einig: Eine Hochschulreform scheint unabkömmlich. Doch zuvor muss eine Auseinandersetzung die Fronten klären: Welche Forderungen, Vorstellungen und Bedürfnisse bringt welche Gruppe eigentlich mit. Die Hochschuldebatte steht offenbar noch ganz am Anfang.