„Stunde der Wahrheit“: Studenten und Uni-Angestellte fordern mehr Geld für tschechische Hochschulen
Am Montag sind in Prag Studierende und Universitätsbedienstete auf die Straße gegangen. Sie forderten mehr Geld für die Hochschulen hierzulande. Denn diese sind dem Protestbündnis „Hodina pravdy“ (Stunde der Wahrheit) zufolge drastisch unterfinanziert. Die Folge dessen ist unter anderem eine Abwanderung der Akademiker in andere Berufe oder ins Ausland. Den Forderungen nach einer Anhebung des Hochschuletats will das tschechische Bildungsministerium aber nur bedingt nachkommen.
„Mehr Geld in die Bildung“ – diesen Ruf skandierten am Montag mehrere Hundert Menschen auf dem Prager Jan-Palach-Platz. Bei der Kundgebung vor dem Hauptgebäude der Philosophischen Fakultät der Karlsuniversität waren nicht nur Studierende aus der tschechischen Hauptstadt zugegen. So hatte sich etwa die Studentin Adéla nach Prag aufgemacht:
„Ich studiere Soziale Arbeit an der Universität in Hradec Králové. Mit unserem Fachgebiet geht es in letzter Zeit nur bergab, und vermutlich wird es bald ganz gestrichen.“
Nina Wanča hat die Kundgebung mitorganisiert. Sie ist Dozentin im Bereich Informatik und Buchwesen an der Karlsuniversität und sagte der Reporterin des Tschechischen Rundfunks:
„Ich will gute Arbeitsbedingungen. Denn dann hat man ganz andere Möglichkeiten und kann sich für die Lehre innovative Ansätze ausdenken. Wenn man sich aber darüber den Kopf zerbrechen muss, wie man seine Rechnungen bezahlen kann, kommen auch keine neuen Ideen.“
Und tatsächlich verdienen akademische Angestellte mit einem Doktortitel in Tschechien mitunter nur so viel wie Kassierer an der Supermarktkasse. Dies gilt nicht nur, aber vor allem in den Geisteswissenschaften.
Der Uni-Angestellten Wanča zufolge wurde der Zeitpunkt des Protests bewusst gewählt. Denn in dieser Woche startet die tschechische Regierung ihre Verhandlungen über den Staatshaushalt für das kommende Jahr. Die versammelten Protestierenden forderten elf Milliarden Kronen (445 Millionen Euro) mehr für die tschechischen Hochschulen und Universitäten und einen Stabilisierungsplan der Finanzen bis 2030. Dass eine Anhebung des Etats nötig sei, findet auch Milena Králíčková, die Rektorin der Karlsuniversität, die sich am Montag unter die Demonstranten mischte:
„Die Folgen der Unterfinanzierung sehen wir leider schon jetzt. Auf den Plakaten konnte man heute vom Brain Drain lesen. Und es stimmt, dass einige Spitzenakademiker und Spitzenakademikerinnen bereits ins Ausland gehen – etwa an Universitäten, die nicht weit entfernt sind, wie die in Wien oder Bayern. Aber nicht nur das Ausland ist das Ziel. Im Falle der geisteswissenschaftlichen Fächer wandern viele Dozenten etwa an die Mittelschulen ab. Ursache für diese Entwicklung ist die Unterfinanzierung.“
Vom Jan-Palach-Platz setzte sich die Menschenmenge in Bewegung. Die protestierenden Studenten und Dozenten zogen am Regierungsamt und dem Finanzministerium vorbei zum Bildungsministerium. Dort sprach Radka Wildová zur versammelten Menge. Sie ist die Leiterin des Referats für Hochschulen, Wissenschaft und Forschung. Ihre Ankündigung, dass Bildungsminister Mikuláš Bek (Stan) sechs Milliarden Kronen (243 Millionen Euro) mehr für die Hochschulen aushandeln wolle, stieß bei den Protestierenden allerdings auf wenig Begeisterung:
Diese Summe würde nicht ausreichen, rief die Menge in Richtung Podium. Abseits der Demonstration bekräftigte Radka Wildová im Interview für den Tschechischen Rundfunk dann aber noch einmal die Pläne des Bildungsministers. Sechs Milliarden Kronen mehr sollen ausgehandelt werden. Aber warum ist die eingeforderte Summe nicht höher?
„Der Minister wird sehen, was überhaupt möglich ist. Deshalb geht er nicht mit einer Forderung von zehn oder zwölf Milliarden Kronen in die Verhandlungen, wie das die protestierenden Studenten und Akademiker gefordert haben. Denn diese Summe hält er für komplett irreal.“
Die Demonstration am Montag stand unter dem Motto „Systemkollaps“. Befürchtet Radka Wildová solch einen Kollaps, wenn es nicht zu der Anhebung der Gelder kommen sollte?
„Ich fürchte mich vielmehr vor diesen Wörtern wie ‚Kollaps‘, ‚Ende‘ und ‚Untergang‘. Diese Begriffe verwende ich nicht. Aber ich verstehe, dass sie in übertriebener Form und als gehobener Zeigefinger eingesetzt werden.“
Ob und um wie viele Milliarden Kronen der Bildungsetat angehoben wird, das wird erst der Haushaltsentwurf der Regierung zeigen. Was hingegen fast schon sicher scheint: Die Studierenden und das Lehrpersonal werden wohl bald wieder auf die Straße gehen. Die Kundgebung und der Protestzug am Montag waren im Übrigen bereits die dritte derartige Zusammenkunft. Unter dem Motto „Hodina pravdy“ (Stunde der Wahrheit) hatten im vergangenen Jahr zunächst die Angestellten in den geisteswissenschaftlichen Fächern zu Protesten aufgerufen. Zuletzt hatten sich aber auch technisch und naturwissenschaftlich ausgerichtete Hochschulen beteiligt. Der Demonstration am Montag schlossen sich über 20 Fakultäten an.