„Sofort melden!“ - Repatriierung nach Kriegsende mit Hilfe des Tschechoslowakischen Rundfunks

KZ-Häftlinge (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)

Gleich nach Ende des Zweiten Weltkriegs begann in ganz Europa eine massenhafte Repatriierung. Millionen Menschen, die an der Front, in Konzentrationslagern, Gefängnissen, im Zwangsarbeitseinsatz oder in der Emigration gewesen waren und überlebt hatten, wollten nach Hause zurückkehren. Millionen Andere versuchten zu erfahren, wo ihre vermissten Angehörigen, Verwandten oder Bekannten waren. Eine besondere Rolle fiel dabei dem Rundfunk zu, er war zu dieser Zeit der schnellste und oft auch einzige Informationskanal.

KZ-Häftlinge  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
Der Zweite Weltkrieg ist zu Ende. Mehr als 20 Millionen Menschen zählen zu den „Displaced Persons“: ehemalige KZ-Häftlinge, Zwangsarbeiter, Partisanen, Flüchtlinge von der Front. Manche von ihnen sterben entkräftet in den ersten Tagen des Friedens. Auch Hunderttausende Tschechen und Slowaken sind noch irgendwo im Ausland. Sie wissen nicht, wer von ihren Nächsten am Leben geblieben ist, und ihre Nächsten wissen nicht, ob sie noch leben und wo sie sich aufhalten. Die Informationen laufen beim Tschechoslowakischen Rundfunk in Prag zusammen, obwohl seit dem 5. Mai 1945 noch hart um ihn gekämpft wird. Ganz spontan entstehen spezielle Repatriierungssendungen unter der Leitung von F. K. Zeman. Der Rundfunkredakteur erinnerte sich 1965 an diese Sendungen:

„Unmittelbar nach dem 5. Mai 1945 kamen bereits Befreite aus den KZ oder geflüchtete Zwangsarbeiter auf verschiedene Weise nach Prag. Sie hatten Informationen über ehemalige Mithäftlinge, die entweder noch am Leben oder gestorben waren, und sie baten uns, dies zu melden. Wir sendeten deshalb jeden Tag mehrere Hunderte von Berichten darüber, wer wo wen zum letzten Mal gesehen hat, wer von wem gesucht wird und wann wo welcher Zug aus einem KZ ankommt. Wir haben damals meiner Schätzung nach etwa insgesamt 200.000 Suchmeldungen gesendet und viele Tausende weitere private Meldungen.“

F. K. Zeman  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Von den Repatriierungssendungen sind leider keine Aufnahmen erhalten. Doch die Texte, die verlesen wurden, befinden sich immer noch im Archiv des Tschechischen Rundfunks. Es waren vorwiegend handgeschriebene Zettel, die jeden Tag Hunderte Leute in den Rundfunk brachten. Aber auch lange Verzeichnisse der Vermissten wurden veröffentlicht. Auf den Zetteln stehen Anmerkungen der Sprecher und grün geschriebene Instruktionen von F. K. Zeman. Auf einigen von ihnen ist vermerkt: Sofort senden, ungeachtet des Programms! Zudem wurden allgemeine Aufrufe bekannt gemacht, wie zum Beispiel:

„Wir bitten alle Bürger, den Repatriierungsbehörden mit Treibstoffen wie Erdöl, Benzin, Petroleum, Öl und Generatorholz zu helfen. Damit ermöglichen Sie, die Rückkehr von Tschechoslowaken aus den Konzentrationslagern zu beschleunigen.“

Liste der Repatriierten aus Österreich  (Foto: Bronislava Janečková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Zugleich wenden wir uns an die Inhaber von fahrtüchtigen Personen- und Lastwagen: Verleihen sie diese bitte für den Transport der Repatriierten aus Deutschland! Ihre Heimkehr verläuft mit Ihrer Hilfe schneller, und manche Leben werden so gerettet.“

„Prager Krankenhäuser bitten um die Hilfe bei der Beförderung von Verletzten. Melden sie sich im Krankenhaus Vinohrady!“

„Die Tischlerzunft ruft ihre Mitglieder auf, die Herstellung von Särgen für gefallene Helden der Revolution und Opfer des Nazi-Terrors sofort aufzunehmen!“

Foto: Bronislava Janečková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks
Etwa 700.000 tschechoslowakische Staatsbürger waren in den ersten Monaten nach dem Krieg von den Repatriierungsmaßnahmen betroffen. Jeder musste nicht nur seinen Wohnort nachweisen, sondern auch seine Loyalität gegenüber dem Staat. Das heißt, er und seine Kinder mussten Tschechisch können, er durfte nicht Mitglied einer nationalsozialistischen Organisation oder sonstwie gegen die Tschechoslowakische Republik tätig gewesen sein. Deutsche und Ungarn mussten nachweisen, dass sie Gegner des Nazi-Regimes gewesen waren, sonst wurden sie von der Repatriierung ausgeschlossen.

KZ-Gefangene aus Theresienstadt  (Foto: United States Holocaust Memorial Museum)
Der Staat musste zugleich - aufgrund internationaler Übereinkünfte - die Heimkehr fremder Staatsbürger aus der Tschechoslowakei gewährleisten. Ihre Zahl wurde auf 1,2 Millionen geschätzt. Dazu gehörten Flüchtlinge verschiedener Nationen, demobilisierte Soldaten alliierter Armeen und ehemalige KZ-Gefangene, vor allem aus Terezín / Theresienstadt und von Lagern auf dem Sudetengebiet. Doch dies war eine schwierige Aufgabe. Es mangelte an Beförderungsmöglichkeiten, aber auch an Lebensmitteln und gesundheitlicher Versorgung. In einem ein Eintrag der Repatriierungsbehörden hieß es:

„Täglich kommen 6000 Menschen nach Prag. Sie haben das Recht, hier sieben Nächte zu verbringen, es herrscht aber absoluter Platzmangel. Es ist nicht möglich, sie auf den Bahnhöfen und Straßen zu lassen. Ein weiterer Transport aus Theresienstadt mit 1000 Menschen ist gemeldet. Die russische Militärverwaltung lehnt es ab, sie anzunehmen. Im Schulgebäude Podskalská sind Franzosen einquartiert, am Malteserplatz Italiener. Für englische und amerikanische Gefangene wird ein Lager in Prag-Pohořelec errichtet. Die Flüchtlinge konzentrieren sich bereits in solcher Masse, dass es nötig ist, weitere Transporte einstweilig zu stoppen.“

Texte mit Anmerkungen von F. K. Zeman  (Foto: Bronislava Janečková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Der Tschechoslowakische Rundfunk half auch bei der Rückführung von ausländischen „Displaced Persons“. So erinnerte F. K. Zeman im Jahre 1965:

„Wir haben damals nicht nur Tausende Mitteilungen für Tschechen und Slowaken gesendet. Auch Briefe und Telegramme aus Frankreich, England, Italien oder den Niederlanden erreichten in großer Zahl den Rundfunk in Prag. Ihre Absender wollten etwas über das Schicksal ihrer verschleppten Verwandten erfahren. Wir kamen ihnen gerne entgegen, denn uns war bewusst, dass es um das gleiche Kriegsleiden ging. Damals war man entschlossen, die Gräuel des Krieges hinter sich zu lassen.“

Zerstörung der Gemeinde Lidice
Die Ankunft von Transporten aus den Konzentrationslagern gehörte zu den besonders bewegenden Momenten. Ende Mai 1945 erreichten elf Lastwagen aus Ravensbrück Prag. Sie brachten 200 befreite Häftlinge, darunter auch einige Frauen aus dem Ort Lidice, der von den Nazis nach dem Attentat auf Reinhard Heydrich zerstört worden. Die Frauen waren nach der Zerstörung der Gemeinde am 10. Juni 1942 verschleppt worden. Eine von ihnen war Marie Jedličková. Ein Reporter des Rundfunks berichtete, sie suche ihren Sohn, der acht Jahre alt sein soll. Es dauerte dann noch länger als ein Jahr, bis sich die grausame Wahrheit herausstellte: Die Nazis hatten den Sohn zusammen mit anderen Kindern in Polen ermordet.

Mit einem Zug aus England kehrten auch jüdische Kinder zurück, die Nicolas Winton zu Kriegsbeginn in Sicherheit gebracht hatte. 669 jüdische Kinder aus der Tschechoslowakei erhielten so Asyl in britischen Familien, was ihnen das Leben rettete. Doch nach dem Krieg gab es meist niemanden mehr, der auf die Kinder wartete. Hana Marešová hatte allerdings Glück. Ihren Eltern war es gelungen, rechtzeitig vor dem Holocaust zu fliehen.

„Mein Vater wurde als Chemiker gleich nach dem Krieg vorzugsweise repatriiert. Meine Mutter und ich sind ihm erst am 1. November 1945 gefolgt. Ich erinnere mich daran, dass auf dem Prager Hauptbahnhof eine Reihe von Tischen stand und uns die Schwestern des Roten Kreuzes dort Würstchen anboten. Ich habe mich damals an diesen Würstchen so überfressen, dass ich sie bis heute nicht mehr essen kann.“

Sehr kompliziert war die Repatriierung aus den sowjetisch besetzten Teilen Europas. Such- und Verbindungsoffiziere gelangten nur unter Schwierigkeiten in diese Gebiete. Nach einer Schätzung des Innenministeriums vom Juni 1945 befanden sich dort etwa 150.000 tschechoslowakische Staatsbürger. Um die politischen Verhandlungen mit den sowjetischen Organen nicht zu behindern, galt im Rundfunk die strikte Anweisung, dazu keine Berichte zu senden. Aber vielen Tausenden weiteren Familien ermöglichte die damalige Sendung, ihr Schicksal leichter zu tragen. Manchmal reichte dazu ein einziger Satz.