Nach nur zweimonatiger Amtszeit steht die vom sozialdemokratischen Ministerpräsident Vladimír Spidla geführte sozialliberale Regierung in Tschechien vor ihrer ersten Zerreißprobe. Ausgelöst wurde die Regierungskrise durch die am vergangenen Freitag im Parlament gescheiterte Abstimmung über die Finanzierung zur Beseitigung der Hochwasserschäden. Dem Drei-Parteien-Kabinett fehlte eine einzige Stimme zur Durchsetzung ihres Finanzierungsentwurfs, der im wesentlichen auf Steuererhöhungen beruhte. Zu den Hintergründen der Regierungskrise und ihre möglichen Auswirkungen Näheres von Lothar Martin.
Als die nach den Abgeordnetenhauswahlen gebildete neue tschechische Regierung Mitte Juli in ihrer politischen Ausrichtung und Zusammensetzung feststand, war jedem klar, dass es sich um ein ziemlich brüchiges Bündnis handelt. Denn die aus den Sozialdemokraten (CSSD), Christdemokraten (KDU-CSL) und der liberalen Freiheitsunion (US-DEU) bestehende Drei-Parteien-Koalition verfügt im Parlament nur über die hauchdünne Mehrheit von 101 zu 99 Stimmen. Die Bündnisdisziplin war und ist demnach das oberste Gebot zur Durchsetzung der Regierungspolitik. Doch ausgerechnet am als Unglückstermin geltenden "Freitag, den 13.", erwies sich diese Voraussetzung als Trugschluss. Die schon während der Koalitionsverhandlungen querdenkende liberale Abgeordnete, die Ex-Vorsitzende der Freiheitsunion Hana Marvanová, ließ das von der Regierung geschnürte Steuerpaket zur finanziellen Überwindung der Flutkatastrophe durch ihre Nein-Stimme im Abgeordnetenhaus scheitern. Ihre Stimme war entscheidend, da der Sozialdemokrat Jan Kavan fehlte: Der frühere Außenminister leitete in New York als neuer Vorsitzender der UN-Vollversammlung eine Sitzung.
Vladimir Spidla (Foto: CTK)
Der Eklat, der dem ohnehin unter Druck stehenden Spidla-Kabinett weiteres Ansehen insbesondere unter den Hochwassergeschädigten kostete, soll nun Konsequenzen haben. Der Premier selbst schloss am Sonntag nicht aus, dass die Sozialdemokraten und die Christdemokraten auch ohne die US-DEU weiterregieren werden. Eine solche Minderheitsregierung stünde angesichts der schwierigen Abschlussverhandlungen mit der EU und der verheerenden Flutschäden unter noch größerem Druck. Und sie wäre immer wieder auf Unterstützung aus den Reihen der Opposition angewiesen. Die konservative Bürgerpartei (ODS) hat jede Unterstützung bereits verweigert, die orthodoxen Kommunisten (KSCM) deuteten diese "unter bestimmten Umständen" an. Am wahrscheinlichsten galt aber, dass die dann ausscheidende Freiheitsunion von der Oppositionsbank aus ihre ehemaligen Partner unterstützt.
Cyril Svoboda - Vorsitzende der KDU-CSL (Foto: CTK)
Erste Verhandlungen zwischen den Regierungsparteien zur Lösung der Krise blieben am Sonntag ergebnislos. Die Christdemokraten sprachen sich für den Verbleib der US-DEU in der Koalition aus. Als "Kompromissvorschlag" kursierte, dass die Liberalen zwei ihrer drei Sitze im Kabinett abgeben müssen. Die Partei soll damit für ihre "undisziplinierte" Abgeordnete Hana Marvanová "bestraft" werden. Wie wichtig es aber ist, alsbald eine Entscheidung über das künftige Erscheinungsbild der Regierung zu fällen, weiß auch Kabinettschef Vladimír Spidla: "Die grundlegende Überlegung geht dahin, die Regierung so schnell als möglich zu stabilisieren, denn in der jetzigen Zeit nach dem Hochwasser können wir es uns nicht erlauben, allzu lange zu zögern. Es gibt die Variante, dass wir ohne die Freiheitsunion weiterregieren, eine andere ist die Umbesetzung des Kabinetts. Der Vorgang bleibt kompliziert und ist noch nicht abgeschlossen."
Diese Überlegungen des Premiers stehen seit Montagmittag allerdings in einem neuen Licht, da zu diesem Zeitpunkt alle drei liberalen Minister ihren Rücktritt eingereicht hatten. Spidla obliegt es nun, diese Entscheidung anzunehmen und sein Regierungsteam umzubesetzen oder eine andere Lösung zu finden. Neuwahlen hatte der Ministerpräsident jedoch ausgeschlossen. Ob er sie, anders als in Österreich, wird verhindern können, hängt nun von seinem politischen Geschick und der Fähigkeit der Koalitionspartner ab, das drohende Szenario mit einer "einvernehmlichen Lösung" abzuwenden.