„Spaltung der Gesellschaft als Strategie“ – Politologe Jelínek über Präsident Zeman
Als erster direkt vom Volk gewählter tschechischer Präsident wolle er nicht nur die „oberen Zehntausend“, sondern die gesamte Gesellschaft vertreten und einen. Das sagte Miloš Zeman, als er vor knapp zwei Jahren zum Staatsoberhaupt gewählt wurde. Heute scheint sich die tschechische Gesellschaft immer mehr von ihrem Präsidenten abzukehren – verärgert über dessen vulgäre Äußerungen und Sympathien für autoritäre Regimes. Provoziert Zeman bewusst, und darf er überhaupt außenpolitische Signale aussenden, die im Widerspruch zur Regierungspolitik stehen? Unter anderem darüber ein Gespräch mit dem Politologen Lukáš Jelínek.
„Miloš Zeman ist ein Politiker, der Ruhe nicht aushält. Er braucht die Einmischung in wichtige politische Angelegenheiten. Und wenn es solche Angelegenheiten nicht gibt, dann schafft er sie selbst. Er provoziert gerne, und es scheint, dass die Spaltung der Gesellschaft, zu der er gegenwärtig beiträgt, eine Art politische Strategie von ihm ist. Und das sogar um den Preis, dass er bei immer mehr Bürgern unbeliebt wird. Momentan befriedigt der Präsident wesentlich mehr seine persönlichen Interessen und Gelüste, als dass er die Interessen des Landes verteidigt oder die Gesellschaft eint, wie er in seiner Antrittsrede versprochen hatte.“
Die Kritik an Präsident Miloš Zeman zieht immer weitere Kreise: Am 17. November, dem Jahrestag der „Samtenen Revolution“, zeigten ihm Tausende Bürger demonstrativ die „rote Karte“. Jetzt mehren sich im Parlament die Stimmen derjenigen, die fordern, das Budget des Präsidenten für Auslandsreisen zu reduzieren. Hintergrund sind unter anderem Zemans umstrittene Reisen in autoritär regierte postsowjetische Staaten wie zuletzt Tadschikistan. Ist die Kritik berechtigt?„Es ist nur legitim, wenn Politiker und Öffentlichkeit den Stil des Präsidenten kritisieren und seine Ansichten, die er häufig der Welt kundtut, ohne dies vorher mit der Regierung abgesprochen zu haben. In innenpolitischen Fragen mag sich das noch dadurch rechtfertigen lassen, dass der Präsident direkt vom Volk gewählt ist. Aber in außenpolitischen Fragen ist der Präsident mehr oder weniger verpflichtet, die Politik der Regierung zu repräsentieren. Es sieht allerdings so aus, als ob die außenpolitische Linie des Präsidenten sich schon sehr bald klar von derjenigen der Regierung absetzen wird. Allein schon deshalb, weil Miloš Zeman eine Schwäche für autoritäre Regimes hat, wie wir sie etwa aus Zentralasien kennen, und für Großmachtallüren à la Russland oder China.“
Hat der Präsident ein Recht auf eine eigene außenpolitische Haltung? Auch in Deutschland wurde Bundespräsident Gauck dafür kritisiert, dass er zu stark seine eigene außenpolitische Vorstellung im Ausland kundtue...„Es besteht ein gewisser Widerspruch darin, wie die Rolle des Präsidenten von der Verfassung definiert und wie sie von der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Durch die Direktwahl des Präsidenten ist bei der Öffentlichkeit der Eindruck entstanden, der Präsident dürfe nun mehr ins politische Geschehen eingreifen. Das gestattet aber die Verfassung nicht. Diese schreibt dem Präsidenten mehr oder weniger die Rolle einer zeremoniellen Figur zu, die in hohem Maße die Politik der Regierung repräsentieren muss. Miloš Zeman hingegen äußert häufig bewusst seine persönliche Einstellung. Er ist eher ein exekutiver als ein zeremonieller Typ. Ihm fehlt die praktische Politik. Er war früher Regierungschef, das hat ihm viel Spaß gemacht. Er war Parteivorsitzender – auch das hat ihm Spaß gemacht. Wenn er heute nur noch Kränze niederlegen sollte, dann würde er sehr darunter leiden. Auf der anderen Seite: Wenn er nicht in der Lage ist, den Rahmen zu akzeptieren, der für das Präsidentenamt vorgesehen ist, dann muss über diesen Rahmen unbedingt diskutiert werden – in Politik, Medien und Gesellschaft.“
Miloš Zeman hat seine eigene Rolle immer damit legitimiert, dass er direkt vom Volk gewählt und nicht nur Präsident der „oberen Zehntausend“ ist. Jetzt kehren sich aber auch zunehmend seine eigenen Wähler von ihm ab. Provoziert Zeman bewusst?„Ich glaube, Miloš Zeman provoziert absichtlich und genießt sogar die Proteste, die sich jetzt gegen ihn erheben. Für ihn lebt es sich am besten in einer polarisierten Umgebung. Er baut darauf, dass er in Wahlen jeden Gegner besiegen kann. Daher stören ihn auch die derzeitigen Proteste nicht. Er hat höchstens unterschätzt, wie viele Leute gegen seinen Stil und vor allem gegen seine vulgäre Rhetorik protestieren. Es muss sogar die Präsidentenkanzlei überrascht haben, dass die Popularität Zemans binnen eines Monats um 21 Prozentpunkte gesunken ist. Man merkt, dass Zemans Berater jetzt bemüht sind, das Image des Präsidenten aufzupolieren. Aber die Frage ist, ob das gelingt. Denn die Tendenz Zemans, seine Gegner vor den Kopf zu stoßen und gegen sich aufzubringen, wird nicht verschwinden. Zumal die Proteste gegen ihn keinerlei Perspektive haben. Zeman wird schwerlich eines Tages die Konsequenz daraus ziehen und zurückzutreten. Im Gegenteil: Er wird die aufgebrachte öffentliche Meinung weiter genießen.“
Er selbst wird vielleicht nicht zurücktreten. Aber wäre es laut Verfassung möglich, dass er aus seinem Amt abberufen wird, weil er dem Land schadet?„Gegenwärtig ist eine Abberufung des Präsidenten praktisch unmöglich. Dafür müssten mehr als zwei Drittel der Abgeordneten eine Verfassungsbeschwerde einreichen. Diese Mehrheit wird sich nie finden. Und zum anderen ist das Verfassungsgericht äußerst vorsichtig in politischen Fällen. Im Übrigen glaube ich, es wäre auch nicht richtig ihn abzuberufen. Es sollte eher eine öffentliche Debatte darüber in Gang kommen, wie ein Präsident sich verhalten sollte und wie man eine Alternative finden könnte. Eine Person, die sich um einen so wichtigen Posten bewirbt, sollte eher sich darum bemühen, die Gesellschaft zu einen anstatt zu spalten. Leider haben wir in Tschechien aber viel mehr spaltende Politiker, und davon profitiert Miloš Zeman.“
Wie hat sich in Ihren Augen das politische Klima in Tschechien verändert, seit Miloš Zeman Präsident ist?„Zum Glück lässt sich das politische Klima nicht nur an der Person des Präsidenten messen. Die jetzige Regierung von Bohuslav Sobotka ist für tschechische Verhältnisse ziemlich beliebt bei der Bevölkerung. Die Bürger merken, dass die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nachlassen und eine behutsamere Sozialpolitik verfolgt wird. Die Gesellschaft ist ruhiger und stabiler. Der einzige spaltende Faktor ist Präsident Zeman. Das ist zwar unerfreulich, aber die Gesellschaft kann das aushalten. Im Gegenteil, ich denke manchmal: Wenn das Hauptproblem für die tschechische Gesellschaft ihr Präsident und dessen vulgäre Äußerungen sind, dann haben die Tschechen wohl keine anderen, ernsteren Probleme. Insofern ist Miloš Zeman zwar eine sehr unglückliche politische Figur und aufgrund seines Charakters offenbar nicht für das Präsidentenamt geeignet. Aber andererseits: Dass die tschechische Gesellschaft keine ernsthafteren Probleme hat, als sich mit ihrem Präsidenten zu beschäftigen, erleichtert die Situation.“