Staatspräsident Zeman – der tschechische „Anti-Merkel“?
Kaum war Miloš Zeman am vergangenen Wochenende aus Russland zurückgekehrt, brandete wieder einmal Kritik auf. Denn bei den Feierlichkeiten zum Kriegsende in Moskau hatte der tschechische Staatspräsident bewiesen, dass er nicht wie seine EU-Kollegen auf Distanz zu Putin gehen mag – ganz anders als Angela Merkel, wie tschechische Medien angemerkt haben. Was also denkt Zeman, und was sagen die Kritiker?
„Meiner Meinung nach lässt sich mit den Sanktionen nichts erreichen. Man muss nur Kuba als Beispiel nehmen. Dort werden die Sanktionen jetzt erst nach 50 Jahren aufgehoben, so lange hat es gedauert. Ich unterstütze das gegenseitige Verständnis des Menschen, die direkte Begegnung, die Wirtschaftskontakte, den Studentenaustausch, den Tourismus und so weiter. Das Beispiel Kuba beweist, dass mit einer Isolation niemandem geholfen wird.”
Weil Zemans europäische Kollegen meistenteils hinter den Sanktionen stehen, zeigte sich Putin erfreut über Zemans Sicht der Dinge. Er erklärte, es sei gut, dass es in Europa noch Politiker gebe, die eigene Standpunkte verträten.Laut Zeman kam das gemeinsame Gespräch im Kreml auch auf die Erfüllung des Abkommens von Minsk zur Waffenruhe in der Ostukraine. Putin habe ihm versichert, dass er die Einhaltung des Minsker Abkommens „bis auf den letzten Buchstaben“ befürworte und auf eine stärkere Dezentralisierung der Ukraine hoffe, so der tschechische Staatspräsident. Beharrlich bezeichnet Zeman den Konflikt in der Ostukraine als „Bürgerkrieg“. Im Interview für Radio Prag hatte er auch seine Ansicht zum Ukraine-Konflikt dargelegt:
„Im Hinblick auf die Ukraine bin ich für die vollständige Erfüllung des Minsker Abkommens. Dies schließt die Dezentralisierung der Ukraine ein, was Teil des Abkommens ist, und dass die Ukraine die komplette Kontrolle über ihre Grenze zu Russland im Osten des Landes wiedererlangt. Ich hoffe, dass die Regelungen von Minsk das beenden, was ich als Bürgerkrieg bezeichne, weil es ein Bürgerkrieg ist. Auch im Spanischen Bürgerkrieg kam es auf der einen Seite zu einer Intervention Deutschlands und Italiens und auf der anderen der Sowjetunion und vielleicht auch Frankreichs. Dennoch war es ein Bürgerkrieg. Wer die Lage in der Ukraine nicht als Bürgerkrieg versteht, begeht einen Fehler. Bei den Verhandlungen in Minsk standen sich schließlich Ukrainer gegenüber.“Zu besonderem Widerspruch hat ein Interview von Miloš Zeman für den russischen Radiosender Kommersant FM geführt. Schon in offiziellen Stellungnahmen hatte sich der Staatspräsident zur Behauptung verstiegen, der Konflikt in der Ukraine sei fast schon beendet, außer einigen Scharmützeln, wie er es nannte. In dem Interview ergänzte er, dass die Sanktionen gegen Russland bis Ende dieses Jahres aufgehoben werden könnten. Das hat Regierung und Opposition in Tschechien – mit Ausnahme der Kommunisten – zumindest irritiert, wenn nicht sogar verärgert. Innenminister Milan Chovanec von den Sozialdemokraten:
„Falls sich die Lage in der Ukraine nicht bessert und das vor allem dadurch, dass Russland beginnt, eine aktivere Rolle in dem Prozess zur Verhinderung eines Krieges und zur Lösung des Konfliktes zu spielen, dann werden die Sanktionen sicher nicht aufgehoben. Das heißt, Präsident Zeman zeigt sich in dieser Angelegenheit so mutig, wie ich es aber lieber nicht wäre.“Zbyněk Stanjura ist Fraktionsvorsitzender der Bürgerdemokraten. Der konservative Oppositionspolitiker betonte, dass die Sanktionen eine gesamteuropäische Angelegenheit seien:
„Ich glaube nicht, dass der tschechische Staatspräsident im Namen der gesamten Europäischen Union entscheiden wird. Was geschieht, hängt von den EU-Verhandlungen ab und von der Entwicklung in der Ukraine.“Einzig Premier Bohuslav Sobotka von den Sozialdemokraten ließ ein gewisses Verständnis für Zemans Ansichten durchscheinen. Dies mag allerdings auch Taktik gewesen sein, denn schließlich weiß der Regierungschef, dass der Staatspräsident ihm im schlimmsten Fall sogar gefährlich werden könnte.
„Ich stimme mit der Ansicht überein, dass die Sanktionen abgeschwächt oder sogar aufgehoben werden können, wenn es gelingt, die Minsker Abkommen zu erfüllen. Doch dies muss genauso von ukrainischer Seite geschehen wie von Seiten der Separatisten, die in Absprache mit Russland vorgehen“, so Sobotka.Aber auch die Beobachter der tschechischen Politik kritisieren einmal mehr Zeman. Der Politologe Jan Šír von der Prager Karlsuniversität hat dessen Besuch in Moskau analysiert. In den Inlandssendungen des Tschechischen Rundfunks verwies er auf die Diskrepanz zwischen dem Auftritt des tschechischen Staatspräsidenten am vergangenen Wochenende und dem der deutschen Bundeskanzlerin. Angela Merkel hatte sich bei der Pressekonferenz zusammen mit Putin vergleichsweise scharf geäußert:
„Ich bin heute in einer nicht einfachen Phase der deutsch-russischen Beziehungen nach Moskau gekommen. Durch die verbrecherische und völkerrechtswidrige Annexion der Krim und die militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine hat diese Zusammenarbeit einen schweren Rückschlag erlitten.“Und zur Umsetzung des Minsker Abkommens gab sich Merkel nach ihrem Gespräch mit Putin sehr bedeckt und längst nicht so optimistisch wie Miloš Zeman:
„Wir haben uns heute noch einmal gegenseitig versichert, dass das Minsker Maßnahmenpaket das ist, was wir haben, um die friedliche Lösung zu versuchen. Der Erfolg ist alles andere als sicher, aber wir haben nichts anderes. Und deshalb muss man daran weiterarbeiten.“
Politologe Šír weist darauf hin, dass die Europäische Union im März offiziell beschlossen hat, über eine Aufhebung der Sanktionen erst bei Erfüllung des Minsker Abkommens zu entscheiden. Von daher hat er wenig Verständnis für Zemans Vorstellungen.„Diese Vorstellungen lassen sich so interpretieren, dass sie eine eigene Politik Zemans sind, die sich weder mit der offiziellen Haltung der tschechischen Regierung noch den Absprachen innerhalb der EU deckt.“
Was bedeutet das aber für Tschechien innerhalb Europas? Jan Šír betont, dass Tschechien nicht vom Staatspräsidenten sondern vom Premier im Europäischen Rat vertreten wird.
„Diese Position jenseits der offiziellen Linie der Regierung kann dennoch dazu führen, dass Tschechien als schwieriger und schwer auszurechnender Partner in der EU angesehen wird“, so der Politologe.
Ein Kommentator des Nachrichtenservers Aktuálně.cz bezeichnete Zeman am Dienstag sogar als „Anti-Merkel“.