Stanislav Komarek: Kaplans Traum

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Im Herbst wurde der Roman "Kaplans Traum" des tschechischen Autoren Stanislav Komarek ins Deutsche übersetzt und beim Rowohlt-Verlag in Berlin herausgegeben. Aus der Geschichte um einen jungen Wissenschaftler und seinen Weg zur Erkenntnis wird am kommenden Dienstag in Köln und am Freitag in Konstanz der Autor lesen und mit dem Publikum darüber diskutieren. Aus diesem Anlass hat Bara Prochazkova mit Stanislav Komarek über seinen Roman gesprochen.

Ein junger begeisterter Wissenschaftler aus Prag der 1980er Jahre, Viktor Kaplan, kann dem Ruf des Orients nicht mehr widerstehen. Er emigriert aus der Tschechoslowakei nach Wien und vertieft sich in die Studien über eine osmanische Elitentruppe, die Janitscharen. Ein Stipendium einer Stiftung führt ihn zum Forschungsaufenthalt nach Istanbul. Dort trifft er persönlich auf das spirituelle Erbe der Janitscharen und stellt fest, dass ihre Zentrale sich ausgerechnet im Zentrum der westlichen Welt, in New York, befindet. Dort endet auch der Weg von Viktor Kaplan. Wie viel autobiografische Spuren findet man in dieser Geschichte? Dazu der Autor Stanislav Komarek:

Stanislav Komarek
"Es sind nur Splitter. Man kann nur sehr mühsam unterscheiden, was Dichtung und was Wahrheit ist. Die Wahrheit der Belletristik ist etwas anderes als die Wahrheit einer Landkarte oder einer Beschreibung einer Pflanze. Dort muss alles stimmen. In einem Roman stimmt sicherlich die gesamte Atmosphäre. Die meisten Einzelheiten und vor allem alle Institutionen sind frei erfunden. Jedoch habe ich die anderem Momente, wie zum Beispiel die Beschreibung von Istanbul oder die tschechischen Exilanten in Wien nach meinem besten Wissen und Gewissen wiedergegeben."

Stanislav Komarek wurde in 1958 in Böhmen geboren und studierte Biologie in Prag. Die 80er Jahre verbrachte er im Exil in Wien und auf zahlreichen Reisen in Europa sowie im Nahen und Mittleren Osten. Seine ersten wissenschaftlichen Sammelreisen führten ihn auf den Balkan, dort hat er sich zuerst mit den Tieren beschäftigt - und später auch mit den Menschen. Das Interesse an dem Islam und an anderen kulturellen Kreisen war ein Ergebnis der Forschungsreisen von Stanislav Komarek. Der Hauptheld des Romans kommt in den 80er Jahren nach Wien, seit 1983 hat dort in der vierten Emigrantenwelle auch Stanislav Komarek gelebt. Damals hat er sich einen Vorsatz gegeben: er werde mit seinen Landsleuten nicht mehr Zeit verbringen, als diese Gruppe von der Wiener Bevölkerung prozentuell ausmacht. Diesen Anteil hat auch die Beschreibung im Roman, wo der Leser auf einige Schicksale von Emigranten trifft. Dazu sagt Stanislav Komarek: "Die Emigration schneidet beide Extreme, der Durchschnittsmann und die Durchschnittsfrau bleiben zu Hause."

Der Roman "Kaplans Traum" ist ein Bildungsroman, es sind viele Parallelen zum Grimmelshausens Simplicissimus sichtbar. Jedoch hat Stanislav Komarek den Simplicissimus erst nach dem Verfassen seines Werkes gelesen, wie er selber zugibt. Sein Romanheld erlebt also auch eine gewisse persönliche Entwicklung:

"Die Bewegung vom Hauptdarsteller Kaplan ist zwar eine Entwicklung, aber in einigen Momenten könnte man sagen, dass es sogar eine Devolution ist. Die Veränderung ist nicht immer nur zum Besseren, in einigen Zügen auch zum Schlechteren. Am Ende unterschreibt er den Vertrag mit der Opshellstieschen Stiftung. Damit wird er von den Männerbunden, die nach Macht streben, verschluckt."

"Kaplans Traum" beschreibt das Schicksal des Menschen und die Wege, denen sich das menschliche Schicksal bedient. So wie im wirklichen Leben, finden die Leser auch im Roman mehrere Ebenen. Eine Ebene stellen die unterschiedlichen Gesellschaften dar, die nebeneinander existieren und sich gegenseitig nicht ausschließen. Die türkische, die eigentlich zu weit entfernt ist, die sozialistische, die hinter dem Eisernen Vorhang eingesperrt bleibt, und schließlich der österreichische Kapitalismus. Stanislav Komarek hatte mit allen beschriebenen Ländern eine persönliche Erfahrung, im Wiener Exil verbrachte er acht Jahre, in die Türkei ist er regelmäßig zu Forschungsaufenthalten gefahren.

Eine weitere Ebene sind zwei Kinder, die im Roman auftauchen und wieder verschwinden - der kleine Viktor, ein Sohn der Hauptperson, und der kleine Judas. Stanislav Komarek sagt dazu, dass jedes Kind ein potentieller Held ist, aber meistens wird es als solcher nicht erkannt. Während Viktor ein ganz normaler Junge aus getrennter Ehe ist, weist Judas besondere Fähigkeiten auf:

"Die einzelnen Szenen, wo er auftaucht, sind Szenen von deuterokanonischen Evangelien. Das hat nur ein einziger Literaturkritiker hier in Prag richtig interpretiert. Es sind genau die Szenen, die die Kindheit Jesu darstellen, die aber nicht in den biblischen Kanon aufgenommen wurden. Die islamische Tradition hat sie jedoch als echt begriffen. Es handelt sich um Momente, wo der kleine Jesus, schon in der Wiege spricht und wo er zum Beispiel Vogelstatuen aus Lehm lebendig macht. Es gibt noch eine dritte Szene im Buch und zwar die Diskussion mit den Schriftgelehrten, die an der Universität stattfindet."

Eine weitere Ebene im Roman ist die Begegnung mit der Wiener Bürokratie. Auch dazu haben Stanislav Komarek persönliche Erfahrungen inspiriert und er ließ den Haupthelden gegen die Bürokratie ankämpfen:

"Das ist die Eigenschaft der Bürokratie weltweit. Die österreichische Bürokratie fällt zweifelsohne in die Gruppe der alten, erfahrenen und etablierten Bürokratien. Wir in Tschechien müssen noch drei, vier Jahre warten, bis wir diese Vollkommenheit erreicht haben. Den Fortschritt kann man natürlich nicht bremsen. Was die Beschreibung der Bürokratie im Roman betrifft, so ist sie gar nicht übertrieben."

Der Hauptdarsteller Viktor Kaplan strebt nach Erkenntnis, zum Schluss findet er einen Weg. Stanislav Komarek fasst die Hautpaussage seines Bildungsromans zusammen:

"Was die Weltsicht betrifft, ist sie ziemlich pessimistisch. Jede Zielstrebigkeit, die in sich keine innere Bremse hat, führt zu zweifelhaften Dingen. Das sagt auch der Spruch von Buddha, dass jede Art von Begierde auch immer eine Quelle des Schmerzes beziehungsweise des Todes sei. Das wird dort irgendwie deutlich. Die Welt ist ein Witz, aber ich würde sagen, zum Teil ein schlechter."

Stanislav Komarek unterrichtet an der naturwissenschaftlichen Fakultät der Karlsuniversität und publiziert Essays. "Kaplans Traum" ist sein erster Roman, in der tschechischen Sprache ist es 2002 erschienen. Den Gedanken, diese Geschichte zu verfassen, hatte Komarek bereits 1988, es kamen jedoch bewegende gesellschaftliche Veränderungen dazwischen, wie er selber sagt:

"Romane schreibt man natürlich in den ruhigen und wenig bewegten Geschichtsperioden. In den bewegteren lebt man."

Tauchen Sie in den Traum von Viktor Kaplan und begleiten Sie ihn auf dem Weg der Erkenntnis vom österreichischen Flüchtlingslager, über Wien und Istanbul, bis nach New York. Das Buch "Kaplans Traum" ist beim Rowohlt-Verlag in Berlin herausgegeben worden.