Tonda Blaník zieht die Strippen: Polit-Serie zwischen Fiktion und Wirklichkeit
Der Lobbyist – er hat wohl nirgends auf der Welt einen guten Ruf. In Tschechien allerdings ist der Begriff zum Synonym geworden für alles, was schief gelaufen ist seit der Samtenen Revolution. Blühende Korruption, dubiose Bauprojekte, versickerte Milliarden und hinter den Politikern halbseidene Strippenzieher wie Janoušek, Šlouf, Rittig oder Dalík. Man hätte längst den Überblick verloren, gäbe es da nicht Kancelář Blaník – das Büro Blaník. Seit einem Jahr liefert die Internetserie den schärfsten Kommentar zur Politik in Tschechien. Die Zuschauer sind begeistert.
Seine Arbeit sei nicht besonders kompliziert, sagt Drehbuchautor Tomáš Hodan. Man müsse nur die Zeitung aufmachen und das Beste heraussuchen. Etwa die Dauerbaustelle Blanka-Tunnel, in der seit 15 Jahren das Geld versickert. Den Vize-Premier, der nebenbei milliardenschwerer Unternehmer ist und Besitzer des größten Medienhauses. Oder den Staatspräsidenten, der mit dem ‚kleinen Maulwurf‘ nach China reist, um für die tschechische Wirtschaft zu werben. Die Idee zu Kancelář Blaník hatte Regisseur Marek Najbrt. Gedreht wird mit minimalem Aufwand im Büro der Prager Produktionsfirma, sechs Kreative sind für Buch und Dramaturgie verantwortlich. Robert Geisler heißt der zweite Drehbuchautor im Team.
„Manche dieser Fälle sind einfach so zum Lachen, auch wenn sie zugleich ungeheuerlich sind. Blaník musste einfach irgendwann entstehen. Es war gar nicht anders möglich. Die Realität ist meist so absurd, dass wir sie nur noch ein wenig dramatisieren müssen. Zum Beispiel Alexandr Novák. Ein korrupter Politiker, der wegen der Annahme von Bestechungsgeldern über 43 Millionen Kronen zu vier Jahren Haft verurteilt ist, wird aus der Haft entlassen, weil sich ein Motorradclub für ihn verbürgt. Das ist real. Das denken wir uns nicht aus.“Vor ein paar Wochen ist das passiert, und in der Fiktion hat natürlich Tonda Blaník den Coup mit den Motorradrockern ersonnen. Sein Name ist auch eine Anspielung auf die schlafenden Ritter von Blaník. Der Sage nach sollen sie auferstehen, wenn das Vaterland in höchster Not sei. Im April 2014 betrat also Tonda Blaník den Bildschirm.
„Eine Essenz aller Lobbyisten“
Ein reales Vorbild für die Figur gab es nicht, sagt Tomáš Hodan. Es waren viele.„Ich denke, er ist so eine Essenz aus all den verschiedenen Lobbyisten. Inspiriert ist er auch von einigen dieser Abhörprotokolle, die durch die Medien gingen. Ein konkretes Vorbild hat er nicht.“
Da ist – zum Beispiel – Roman Janoušek. Vor drei Jahren tauchten die Aufnahmen seiner Gespräche mit dem ehemaligen Prager Oberbürgermeister Pavel Bém auf. Sie offenbarten, dass Bém während seiner Amtszeit bis 2010 nur eine Marionette war. Die Fäden zog das Schattenkabinett von Roman Janoušek. Dessen Firma residierte im Blaník-Palais auf dem Wenzelsplatz – und gab Tonda seinen Namen, sagt Robert Geisler.
„Wenn man sich diese Abhörprotokolle durchliest und diese Rhetorik ansieht, wie sie miteinander sprechen, wenn es keine offizielle Rede ist, dann verrät das sehr viel darüber, wie diese Leute denken.“
Wichtig ist vor allem, dass die Kasse stimmt. Geschäft ist Geschäft, so lautet daher auch das Credo von Tonda Blaník. Dennoch ist er keine platte Karikatur, was vielleicht auch den Erfolg der Serie ausmacht. Sie ist inzwischen preisgekrönt, die Klickzahlen liegen bei mehreren Hunderttausend pro Folge. Nach 40 Episoden und Dutzenden Rückblenden wissen die Zuschauer, dass selbst Tonda Blaník einmal Werte hatte. Tomáš Hodan:„Er hatte welche, aber er hat sie verloren. Ich denke, das ist auch ein ziemlicher Spaß für Marek Daniel, der ihn spielt. Dass diese Figur eben nicht an der Oberfläche bleibt. Es ist nicht nur Satire. Wir spielen auch damit, dass Tonda Blaník während der Samtenen Revolution in der Studentenbewegung war, dass er Havel kannte und dann aber nach und nach alle Werte verloren hat. Manchmal sagt er, er könnte es durchaus schaffen, anständig zu sein, doch wozu? Das sei doch für den Arsch.“
Ideale gingen schnell verloren
Als die Kommunistische Partei einen Auftrag für Tonda Blaník hat, regt sich der kurz auf. Dann sagt er zu, denn: Der Kunde ist König. Von jeder politischen Ideologie hat sich der Lobbyist schon Mitte der 1990er Jahre verabschiedet, sagt Robert Geisler.„Er ist ein Sinnbild unserer Generation, die dank der Samtenen Revolution ungefähr fünf Jahre in einer Art Euphorie verbracht hat. Mit Einführung der Kuponprivatisierung änderte sich das allmählich. Es kamen die ‚Paten‘, es begann diese Unterwanderung des Staates, der Banken, der Besitztümer und der Firmen. Tonda Blaník ist Bild dieser Entwicklung. Er hat mit Idealen angefangen. Aber dann hat er gemerkt: Eine Milliarde ist eine Milliarde. Und er hat angefangen, die Dinge mit völlig anderen Augen zu sehen.“
Die Macher von Kancelář Blaník schreiben kurzerhand die Geschichte um. So wird Tonda Blaník zum Erfinder der umstrittenen Kuponprivatisierung. Anfang der 1990er sollten die Staatsbetriebe in Kleinstanteilen an Bürger veräußert werden. Tatsächlich brachte der Geschäftsmann Viktor Kožený tausende Anleger um ihr Erspartes. Dass auch die Politik nur ein Geschäft ist, hat Tonda Blaník spätestens 1998 gelernt. Tomáš Hodan:„Ich denke, die grundlegende Sache, die sich Tonda ‚ausgedacht‘ hat, ist der Oppositionsvertrag. Der war auch seine Idee, und da hat er gemerkt, dass es am besten ist, wenn man sich alles aufteilt und sich jeder nimmt, was er braucht“.
Vier Jahre lang bestand das Abkommen zwischen der Regierung unter Premier Miloš Zeman und der Opposition unter Václav Klaus. Eine Hypothek für die junge Demokratie. Die Lobbyisten, sie konnten eben nur so stark werden, weil die Politik so schwach war. Robert Geisler:„In Tschechien ist die Politik dieser wirtschaftlichen Sichtweise extrem stark untergeordnet. Der wiederum geht es aber nicht darum, ein funktionierendes Wirtschaftssystem zu errichten, sondern alle staatlichen Quellen auszuschöpfen, die verfügbar sind. Darum hat der Lobbyist bei uns einen pejorativen Charakter, denn er verschiebt das Geld nur in seine eigenen Taschen. Diese Leute haben eben kein Wirtschaftswunder aufgezogen, Firmen aufgebaut oder Arbeit für die Leute geschaffen. Das hat keinen interessiert.“
„Eine Art Halbdemokratie“
Das Denken von 40 Jahren Kommunismus wird noch jahrzehntelang nachwirken, glaubt Robert Geisler. Die Demokratie ist lange nicht gefestigt. Und die öffentlichen Kontrollmechanismen funktionieren nicht, sagt Tomáš Hodan.„Ein Janoušek konnte neben Bém existieren. Zwar wurde jahrelang darüber gesprochen – Bém hat immer wieder gesagt, dass er keinen Herrn Janoušek kenne und ihn nur einmal Mal beim Golfspielen getroffen habe. Oder während der Amtszeit von Premier Topolanik, da bewegte sich neben ihm ein gewisser Marek Dalík. Der erzählte in einem Interview, dass in seiner Garage sieben Cabrios stehen. Er ging in teuren Hemden herum, und niemand wusste, was er eigentlich treibt, außer dass er um den Premier herumgeschlichen ist.“
Janoušek wie auch Dalík sitzen inzwischen im Gefängnis. Prozesse gegen ehemalige „Geschäftsleute“, Berater, Lobbyisten, aber auch Politiker wie Alexandr Novák und David Rath sind an der Tagesordnung. Doch die Urteile fallen meist milde aus. Eine Rückkehr ins Geschäft – nicht ausgeschlossen. Und das sei der Unterschied von Tschechien zu gefestigten Demokratien, sagt Robert Geisler.„Wir haben so eine Art Halbdemokratie. Es ist nicht verboten, darüber zu sprechen, es ist nicht verboten, darüber zu schreiben. Alles ist bekannt. Aber die Justiz ist einfach nicht leistungsfähig.“
Ein ganzes System, das auf die schiefe Bahn geraten ist, das ist die tiefgreifende Kritik, die hinter der Figur des pervertierten Lobbyisten steht.„Ich bin ein Schwein – doch es geht mir gut“, sagt Tonda Blaník. Bei so viel Zynismus hat es die Macher nicht erstaunt, dass das öffentlich-rechtliche Fernsehen die Serie dankend abgelehnt hat. Böse sind Hodan und Geisler darüber nicht – im Internet können sie weitaus schneller auf das aktuelle Geschehen reagieren. Sie müssen nur Tag für Tag die Zeitung aufschlagen.