Tschechien auf Sparkurs
Den Gürtel enger schnallen sollen künftig auch die Tschechen. Die Tschechische Republik ist verschuldet, eine Reform der öffentlichen Finanzen soll Linderung bringen. Sprich, ran an die Sozialleistungen. Das Reformpaket sieht eine Änderung der Altersgrenze für den Rentengang der Frauen von bisher 60 auf 63 Jahre vor. Die Zeit des Studiums soll künftig nur noch zu 80% auf die Rente angerechnet werden und nur bis zu sechs Jahren nach Vollendung des 18. Lebensjahres, das Erziehungsgeld sowie die Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall sollen gesenkt werden, um nur einige der geplanten Änderungen zu nennen. Den Bereich der Lohnfortzahlungen werden wir in unserem heutigen Forum Gesellschaft einer genaueren Betrachtung unterziehen. Herzlich willkommen dazu.
Erkrankt ein Arbeitnehmer und ist er infolge dessen arbeitsunfähig, so wird sein durchschnittliches Einkommen der vorangegangenen drei Monate ermittelt. Der Durchschnittwert wird durch die Anzahl der Kalendertage des betreffenden Quartals dividiert. Daraus ergibt sich der Tagessatz, der als Grundlage für die Berechnung des Krankengeldes dient. Soweit wird alles beim Alten bleiben.
Der Tagessatz orientiert sich zwar am durchschnittlichen Einkommen des Erkrankten, es gibt aber Höchstgrenzen: die erste liegt derzeit bei 480 Kronen, die zweite bei 690. Wer also ein durchschnittliches Gehalt bezieht, zahlt drauf. In der Vergangenheit sind diese Werte jährlich erhöht worden, unter Berücksichtigung der Inflationsrate. Wegen der hohen finanziellen Belastungen, die Tschechien für die Behebung der Hochwasserschäden im vergangenen Jahr zu tragen hatte, blieb die Erhöhung im vergangenen Jahr aus. Die Reform sieht vor, dass das auch so bleibt, und zwar mindestens bis Ende 2005. Aber zurück zu unserem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer: Von dem ermittelten Tagessatz bekam er in den ersten drei Tagen seiner Erkrankung bisher 50%, in den darauffolgenden Tagen 69% als Lohnfortzahlung ausgezahlt, und zwar bis zu einem Jahr. Jiri Hofman vom Ministerium für Arbeit und Soziales ist davon überzeugt, dass das bisherige System einer dringenden Erneuerung bedarf - aus mehreren Gründen, wie er sagt:
"Derzeit ist die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in einem Gesetz geregelt, das aus dem Jahr 1956 stammt. Es wurde zwar mehrere Male novelliert, aber es ist nicht mehr zeitgemäß. Wenigverdiener werden bevorteilt, weil der Unterschied zwischen normalem Lohn und dem Lohnausgleich bei Arbeitsunfähigkeit nur gering ausfällt. Besserverdiener sind im Nachteil. Das liegt an den Höchstgrenzen. Daneben birgt die bisherige Regelung aber noch andere Nachteile: Es ist relativ leicht, das System zu missbrauchen. Ärzte betrachten ihre Patienten als Kunden', als Einnahmequelle. Deshalb interessiert es sie auch nicht, ob der vermeintlich Kranke tatsächlich arbeitsunfähig ist. Und das, obwohl die Krankengelder das gesamte Krankenversicherungssystem belasten. Die Arbeitgeber selbst missbrauchen das System der Lohnfortzahlungen ebenfalls. Wenn die Auftragslage gerade schwierig ist oder die Firma nicht genug Geld hat, um fällige Löhne auszuzahlen. Uns sind sogar Fälle von Unternehmen bekannt geworden, die ausschließlich mit den Krankengeldern ihr Geld verdienen. So rutscht dieser Bereich der Sozialleistungen natürlich immer tiefer in die Roten Zahlen. Dem müssen wir Einhalt gebieten."
Konkrete Fälle von Missbrauch nennt Jiri Hofman nur ungern, da er befürchtet, dass er dadurch Nachahmer inspirieren könne. Ein Beispiel gibt er uns dennoch:
"Einen interessanten Fall gab es in dem Unternehmen Tatra in Koprivnice. 380 Mitarbeiter waren dort entlassen worden, 200 davon hatten sich binnen einer Woche arbeitsunfähig gemeldet. Als die Versicherungsanstalt dem behandelnden Arzt ankündigte, eine Kontrolle durchzuführen, waren 150 der 200 über Nacht plötzlich wieder gesund. An sich verstehe ich die Leute ja sogar. In dem Unternehmen Tatra lag das Durchschnittseinkommen bei 15 500 Kronen brutto monatlich. Der Lohnausgleich bei Arbeitsunfähigkeit betrug demnach 10 025 Kronen, das Arbeitslosengeld hingegen läge bei ganzen 5 700 Kronen, also bei etwas über der Hälfte. Wenn das System solche Möglichkeiten zulässt, ergreifen sie die Leute natürlich auch."
Was genau soll Abhilfe schaffen bei diesem Problem? Was ist bereits geschehen, welche Neuregelungen sind geplant? Jiri Hofman vom Ministerium für Arbeit und Soziales dazu:
"Zunächst haben wir die Lohnfortzahlungen deutlich gekürzt. In den ersten drei Tagen bekommt der Arbeitsunfähige nur 25% des Tagessatzes ausgezahlt, ab dem 4. Tag dann 65%. Das bedeutet natürlich weniger Geld für den Erkrankten. Ich hoffe, dass dies maximal für die nächsten zwei Jahre gelten wird und wir danach das geplante Gesetz verabschieden werden, damit die Sätze wieder erhöht, dem Missbrauch aber nichtsdestotrotz entgegen gewirkt werden kann. Das neue Gesetz sieht folgendes vor: Die Höhe der Zahlungen in den ersten Tagen wird 30%, in den Folgetagen 60 bis 70% des Nettoeinkommens betragen. Für die ersten 10 Arbeitstage wird allerdings künftig der Arbeitgeber aufkommen, erst danach wird die Sozialversicherungsanstalt die Zahlungen übernehmen."
Die Gewerkschaften zeigen sich mit diesen Änderungen nicht einverstanden. Sie wehren sich gegen die Kürzungen der Lohnfortzahlungen in den ersten drei Tagen der Arbeitsunfähigkeit und fordern, dass die Höchgrenzen ab 2004 wieder erhöht werden.
Die Krankenquote in der Tschechischen Republik sei im europäischen Vergleich deutlich zu hoch, argumentierte das Ministerium für Arbeit und Soziales, das hätten auch ausländische Investoren mancherorts zu bemängeln. Auseinandersetzungen mit den Gewerkschaften sieht Jiri Hofman relativ gelassen entgegen:
"Wir werden natürlich verhandeln müssen. Der Spielraum ist allerdings gering. Auch die Kollegen von den Gewerkschaften werden einsehen müssen, dass die Tschechische Republik im Begriff ist, der EU beizutreten und sie hinsichtlich der Arbeitskraft konkurrenzfähig bleiben muss. Allein deshalb ist es nicht denkbar, eine solch hohe Krankenquote zu tolerieren."
In Kraft treten soll das neue Gesetz am 1. Januar 2005.
Wir, liebe Hörerinnen und Hörer, hören uns bereits in 14 Tagen wieder. Beim nächsten Forum Gesellschaft. Bis dahin alles Gute für Sie.