Tschechien, Russland und die beiden Weltkriege

Denkmal der tschechoslowakischen Legionäre in Russland (Foto: Archiv des Prager Historischen Militärinstituts)

In den vergangenen Wochen und Monaten wurde in Tschechien teils hitzig über die Befreiung Prags zu Ende des Zweiten Weltkriegs diskutiert. Ganz besonders ging es dabei um zwei Sowjetgeneräle: Iwan Stepanowitsch Konew und Andrej Andrejewitsch Wlassow – beides umstrittene Persönlichkeiten. Doch wie steht es ganz allgemein hierzulande um die Erinnerungskultur an die beiden Weltkriege?

Denkmal der tschechoslowakischen Legionäre in Russland  (Foto: Archiv des Prager Historischen Militärinstituts)

Iwan Stepanowitsch Konew  (2. von links). Foto: Archiv des russischen Verteidigungsministeriums,  Wikimedia Commons,  CC BY 4.0
Andrej Andrejewitsch Wlassow kämpfte bis kurz vor Kriegsende mit seiner Armee auf der Seite Hitlers. Doch im Mai 1945 trugen seine Truppen entscheidend dazu bei, Prag von den deutschen Besatzern zu befreien. Iwan Stepanowitsch Konew war allerdings derjenige, der zu kommunistischen Zeiten für die Befreiung geehrt wurde. Dabei marschierte er erst in die tschechoslowakische Hauptstadt ein, als alles vorbei war. Außerdem beteiligte sich Konew später an der Niederschlagung des Ungarischen Volksaufstandes. Deswegen hat sein Bild Risse bekommen. Und der Prager Stadtteil Dejvice will sein Konew-Denkmal gerne loswerden, wohingegen am Stadtrand ein Denkmal für die gefallenen Soldaten der Wlassow-Armee geplant wird.

Eduard Stehlík ist tschechischer Militärhistoriker. Er sagt, die vier Jahrzehnte kommunistischer Herrschaft würden bis heute die Interpretation der neueren tschechischen Geschichte beeinflussen:

Eduard Stehlík  (Foto: Michal Louč,  CC BY-SA 3.0)
„Obwohl 30 Jahre vergangen sind seit der Samtenen Revolution, wissen wir unglaublich wenig über unsere Geschichte. In den vergangenen Wochen gab es einige, die das Denkmal für General Konew in Prag-Dejvice verteidigt haben. Teilweise dieselben Leute lehnen vehement ein mögliches Denkmal für die Mitglieder der Wlassow-Armee ab, die bei der Befreiung Prags gefallen sind. Diese Gruppen erheben den Vorwurf, die Geschichte würde umgedeutet. Meiner Meinung nach ist das Problem viel grundlegender: Wir haben die wahre Geschichte unseres Landes noch gar nicht geschrieben.“

Ein interessantes Beispiel ist die Erinnerung an den Ersten Weltkrieg. Sie ist im Prinzip seit 1918 hierzulande geprägt gewesen von der Entstehung des eigenständigen tschechoslowakischen Staates. Anders als etwa in Deutschland oder Frankreich blieb für das Gedenken an die unsäglichen Leiden der Menschen in diesem Krieg nur wenig Platz. Das habe sich aber ab 2014 geändert, erläutert Stehlík, der beim Verteidigungsministerium außerdem für die Veteranen zuständig ist:

„Mit dem 100. Jahrestag seit Beginn des Ersten Weltkriegs hat sich zum Beispiel auch die Pflege von Gräbern aus diesem militärischen Konflikt radikal gewandelt. Das betrifft genauso die Denkmäler auf dem Land wie auch in den Städten – und zudem ausländische Kriegsgräber.“

Denkmal der tschechoslowakischen Legionäre in Wladiwostok
Die Diskussionen um Konew und Wlassow im vergangenen halben Jahr haben das Verhältnis zwischen Tschechien und Russland belastet.

„Vor allem in Bezug auf das Konew-Denkmal im Prager Stadtteil Dejvice bin ich der Meinung, dass Moskau von etwas ablenken will. Nämlich dass Tschechien in Russland auf große Probleme bei seinem Bemühen stößt, die Kriegsgräber tschechoslowakischer Legionäre aus der Zeit des Ersten Weltkriegs und des Russischen Bürgerkriegs von 1918 bis 1920 zu erneuern“, so der Militärhistoriker.

Bei den Legionären handelte es sich größtenteils um Überläufer aus der Armee der k. u. k. Monarchie. Diese kämpften für die Unabhängigkeit ihres Landes und später auf Seiten der Weißen Armee. Laut Stehlík wurde großzügig gespendet für die Rekultivierung ihrer Gräber in Russland. Mehr als 20 letzte Ruhestätten seien auch erneuert worden, so der Historiker.

Jaromír Mrňka  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Der russischen Seite gefällt das aber nicht, weil auch sie ihre eigene Geschichte nicht richtig kennt. Sie versucht, einige Kriegsverbrechen aus dem Bürgerkrieg, für die ihre eigenen Leute verantwortlich waren, auf die tschechoslowakischen Legionäre abzuwälzen“, sagte Stehlík.

Diese Art der Vergangenheitsbewältigung sei aber zu bequem, meint Eduard Stehlík. Historikerkollege Jaromír Mrňka vom Institut für das Studium totalitärer Regimes stimmt dem prinzipiell zu. Allerdings sieht er auf tschechischer Seite deutliche Fortschritte in der Aufarbeitung der Geschichte:

„Tschechien und Russland pflegen zwei unterschiedliche Erinnerungskulturen an den Zweiten Weltkrieg, die sich gegenseitig eher ausschließen. In Russland wurde die ursprünglich sowjetische Sichtweise konserviert. Das heißt, man fühlt sich als Befreier vom Faschismus und Garant der Nachkriegsordnung. In Tschechien wurde hingegen schon in den 1990er Jahren eine Debatte über viele der früheren Helden der Befreiung eröffnet. Es ging um eine Reihe Dinge, die von den Kommunisten gezielt verschwiegen worden waren.“