Tschechiens Beitrag zur Zusammenarbeit der europäischen Justizbehörden

Foto: Europäische Kommission

In der heutigen Ausgabe unserer Sendereihe Schauplatz befasst sich Robert Schuster mit der europäischen Zusammenarbeit im Bereich der Justizpolitik, die vor allem durch den vor kurzem auch in Tschechien in Kraft getretenen europäischen Haftbefehl neue Impulse bekam.

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Der Beitritt der Tschechischen Republik zur Europäischen Union im Mai diesen Jahres brachte dem Land nicht nur die Eingliederung in einen der weltweit größten Wirtschaftsräume oder die Teilnahme am Projekt der europäischen politischen Union. Weniger bekannt ist, dass Tschechien nach dem 1. Mai auch in einem anderen wichtigen Feld an die 15 Mitgliedsländer der alten Union etwas näher herangerückt ist, nämlich im Bereich der Justizpolitik.

Gemäß der Vorgaben des Europäischen Rates soll es in der 25er Gemeinschaft künftig möglich sein, nicht nur die Dauer der Erledigung verschiedener Rechtshilfeanfragen deutlich zu verkürzen, sondern auch die Abläufe in den Justizsystemen der einzelnen Länder besser zu koordinieren. Aus diesem Grund wurde vor zwei Jahren die europäische Justizbehörde Eurojust, mit Sitz im niederländischen Den Haag ins Leben gerufen. Wenn auch die ursprünglichen Aufgaben von Eurojust nur auf die besagte Koordinierungstätigkeit beschränkt blieben, gehen mittlerweile die Vorstellungen über das Potential von Eurojust viel weiter. Einige Europaexperten sehen heute in der europäischen Justizbehörde bereits die Vorstufe für die Errichtung einer selbstständigen europäischen Staatsanwaltschaft, was dem Einigungsprozess auf dem alten Kontinent zweifelsohne einen neuen Schub verleihen würde.

Soweit die Visionen für die Zukunft. Spricht man über dieses Thema mit den zuständigen Politikern, ergibt sich ein gänzlich anderes Bild. Zwar wird die engstmögliche Zusammenarbeit im Justizbereich in Europa, vor allem im Kampf gegen die organisierte Kriminalität befürwortet, gleichzeitig waren aber die Nationalstaaten bislang nur äußerst ungern bereit in diesem Zusammenhang auf irgendwelche ihrer bisherigen Kompetenzen zu verzichten.

Über die Gründe, warum auf europäischer Ebene gerade bei der Zusammenarbeit im Justizbereich zwischen Theorie und politischem Alltag eine relativ große Kluft besteht, unterhielten wir uns im folgenden mit dem Staatsanwalt Pavel Zeman, der seit Mai diesen Jahres Tschechiens Vertreter bei Eurojust in Den Haag ist.

"Die Zusammenarbeit auf dem Feld der Justiz stellt innerhalb der Europäischen Union ein neues Feld dar. Bislang war die Unterzeichnung des Schengener Abkommens die wichtigste Maßnahme in diesem Bereich, obwohl das Schengener Abkommen immer noch ein Abkommen auf internationaler Ebene ist. Lange Zeit ist man bei der internationalen Justizzusammenarbeit nach den Verträgen des Europarats verfahren. Der erste Versuch einer Konvention über die Zusammenarbeit in Strafsachen auf Unionsebene stammt aus dem Jahr 2000 - bislang aber wurde sie nicht von einer ausreichenden Zahl von Mitgliedsländern ratifiziert. Die Europäische Union geht gegenwärtig den Weg einer Harmonisierung bestimmter Bereiche des Strafrechts und zu diesem Zweck stützt sie sich auf Beschlüsse oder Rahmenbeschlüsse des Rats, die jedoch im Rahmen des Dritten Pfeilers keine unmittelbare Verbindlichkeit aufweisen. Weil das Recht Strafen zu verhängen ein Ausdruck der inneren Souveränität eines Landes ist, überrascht es nicht, dass die Mitgliedsstaaten sich nur ungern und langsam von einigen ihrer Privilegien in diesem Bereich trennen."

Ein wichtiges Instrument, dass die Arbeit der Justizbehörden in den Nationalstaaten erleichtern soll, ist der vor kurzem auch in Tschechien verabschiedete europäische Haftbefehl. Er soll in erster Linie die Auslieferung von Personen erleichtern, die im einen oder anderen Mitgliedsland beschuldigt oder bereits verurteilt wurden. Bislang verlief dieses Auslieferungsverfahren sehr langsam und war sehr schwerfällig. In erster Instanz musste nämlich ein Gericht entscheiden, ob der Antrag auf Auslieferung zulässig ist. In zweiter Instanz lag dann die Entscheidung, ob einem solchen Antrag stattgegeben wird oder nicht, beim Justizministerium. Das Ganze dauerte in der Regel anderthalb Jahre und einige komplizierte Fälle konnten sich über mehrere Jahre hinweg in die Länge ziehen. Die dadurch betroffene Person musste diese Zeit, bevor eine endgültige Entscheidung getroffen wurde, in der Regel in Untersuchungshaft verbringen.

Der europäische Haftbefehl hingegen setzt hier ganz andere Maßstäbe, wie Pavel Zeman gegenüber Radio Prag erklärt:

"Das Neue am europäischen Haftbefehl ist, dass die Notwendigkeit, dass im Justizministerium über die Auslieferung einer Person zu entschieden werden muss, gänzlich wegfällt. Gleichzeitig wurde auch eine Frist festgelegt, in der die Gerichte entscheiden müssen. Diese liegt bei sechzig Tagen und kann höchstens um weitere dreißig Tage verlängert werden. Nach der Entscheidung des Gerichts hat dann die Auslieferung binnen zehn Tage zu erfolgen, wodurch es bei dem ganzen Prozess zu starken Verkürzungen der Verfahrensdauer kommt. Tschechien hat bislang keine direkte Erfahrung mit dem europäischen Haftbefehl, aber von meinen Kollegen in der Eurojust-Behörde weiß ich, dass das in der Praxis sehr gut funktioniert."

Dennoch verlief der Ratifizierungsprozess hierzulande nicht ohne Komplikationen. Die Regierung brachte die entsprechende Gesetzesinitiative noch im Herbst vergangenen Jahres ins Parlament ein, damit die Vorlage noch rechtzeitig vor dem Beitritt des Landes zur Union die legislativen Hürden nehmen kann. Doch schon bei den ersten Anhörungen in den Ausschüssen zeigten sich erste Schwierigkeiten, die - wie sich später herausstellte - für die ganze Initiative kein gutes Omen waren. Während die rechtsliberale Opposition massiv gegen die Vorlage ins Feld zog und das mit dem Argument verband, dass ein Land in erster Linie die Pflicht habe seine Bürger vor einer Auslieferung ins Ausland zu schützen, hatte die Mitte-Links-Koalition des damaligen Premiers Vladimir Spidla angesichts der knappen Mehrheitsverhältnisse im Abgeordnetenhaus oft die eigene Regierungsmehrheit nicht zur Verfügung. Als dann letztlich die Vorlage die Abgeordneten und Senatoren passierte, meldete sich Präsident Vaclav Klaus zu Wort und legte gegen den europäischen Haftbefehl sein Veto ein. Die Begründung des Staatsoberhaupts glich der jener Partei, die er früher geführt hat, der oppositionellen Bürgerdemokraten. Klaus vertrat die Meinung, dass das Gesetz nicht ausreichend zwischen einfachen Verdächtigen und tatsächlich überführten Verbrechern unterscheiden würde.

Somit musste die erste Parlamentskammer erneut über das Gesetz abstimmen und die Zitterpartie rund um den europäischen Haftbefehl konnte daher erst Ende September, als die Abgeordneten das Veto des Präsidenten überstimmten, beendet werden. Dennoch unterscheidet sich die in Tschechien verabschiedete Fassung des Gesetzes wesentlich von jener der übrigen EU-Länder. Hierzulande soll sich der europäische Haftbefehl nur auf Straftaten beziehen, die nach dem 1. November 2004 verübt wurden, was nach den Worten Pavel Zemans nicht ganz im Einklang mit der ursprünglichen Rahmenentscheidung des Rates ist.

Was wäre jedoch passiert, wenn der europäische Haftbefehl in Tschechien nicht ratifiziert worden wäre? Dazu meint Tschechiens Vertreter bei Eurojust, Pavel Zeman, abschließend:

Es ist schwer zu sagen, was passieren würde, wenn der europäische Haftbefehl von Tschechien nicht angenommen worden wäre. Ich denke, dass sich Tschechien mit dem Beitritt zur Europäischen Union dazu verpflichtet hat die bestehende Gesetzeslage in der Union zu respektieren. Wenn also der Haftbefehl nicht angenommen worden wäre, hätte das Land damit gegen seine Verpflichtungen verstoßen. Wie die Union in diesem Fall reagiert hätte, ist nicht abzusehen. Aber rein praktisch gesehen hätte Tschechien die Möglichkeit verloren Auslieferungsverfahren schneller abzuwickeln. Ich war überrascht, wie stark die anderen Mitgliedsländer der EU die Probleme bei der Verabschiedung des europäischen Haftbefehls in Tschechien verfolgten. Ich wurde auf verschiedenen informellen Treffen auch oft gefragt, wo die Gründe für diese Schwierigkeiten liegen und warum der Präsident gegen das Gesetz sein Veto einlegte. Ehrlicherweise muss man aber sagen, dass es auch in anderen Mitgliedsländern sehr lebendige Debatten über den europäischen Haftbefehl gab, vor allem im Hinblick auf die Bestimmung eigene Staatsbürger ins Ausland auszuliefern."