Tschechisch-österreichische Beziehungen
Von Kathrin Bock.
In den letzten Wochen sorgten die tschechisch- österreichischen Beziehungen für einigen Wirbel. Scharfe Worte fielen auf beiden Seiten und es scheint, dass die tschechisch- österreichischen Beziehungen auf einem Tiefstand angekommen sind. Nun, die derzeitigen Meinungsaustäusche zwischen Prag und Wien sollen Grund für uns sein, im heutigen Geschichtskapitel einen Blick auf die lange gemeinsame Geschichte der beiden Ländern zu werfen.
Es ist schwierig, einen genauen Zeitpunkt festzulegen, wann eigentlich die tschechisch-österreischen Beziehungen begonnen haben, denn lange Zeit existierte weder ein tschechischer noch ein österreichischer Staat. Erstmals gehörten Landstriche, die heute zu Tschechien bzw. Österreich gehören, im 7. Jahrhundert nach Christus zu einem Staat, zum Reich des Samo, das im Bereich des heutigen Mähren lag und nach Böhmen, die Slowkakei und Österreich hineinreichte.
Die Österreicher betrachten das Jahr 996 als das Gründungsjahr ihres Staates, bei den Tschechen ist es etwas schwieiriger, im 9. Jahrhundert existierte bereits das Grossmährische Reich, im 10. Jahrhundert begannen dann die böhmischen Fürsten ihre Macht auszuweiten. Zu einem ersten diplomatischen Zusammentreffen zwischen Vertretern aus Böhmen und einem Habsburger Herrscher kam es allerdings erst einige Jahrhunderte später, genauer gesagt im Jahre 1212. Damals erhielt der mährische Markgraf Vladislav vom deutsche Kaiser Friedrich II. eine Auszeichnung für seine Unterstützung. Zeuge dieses Augenblicks war auch Rudolf von Habsburg, ein damals eher zweitrangiger Herrscher.
Das 13. Jahrhunderte brachte dann einen regen Kontakt zwischen den beiden Ländern - genauer gesagt kam es zu zahlreichen kleineren und grösseren Kriegszügen ins Nachbarland, deren einziges Ziel die Erweiterung der eigenen Macht und Grenzen war. Im 13. Jahrhundert waren dabei die Tschechen erfolgreicher. 1236 marschierten die Soldaten Vaclavs I. in Wien ein. Nach dem Tode Vaclav I. 1252 trat sein Sohn Premysl Otakar II. das Erbe an. Der deutsche Kaiser bestätigte Premysl Otakar den Besitz des Herzogtums Österreichs, zudem gehörte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts die Steiermark und Kärnten zum Böhmischen Königreich. Doch nichts ist von ewiger Dauer, auch nicht die Grenzen des böhmischen Königreiches - ein Krieg brach zwischen dem böhmischen König Premysl Otakar und dem Habsburger Rudolf aus. 1278 kam es zu einem letzten Gefecht zwischen den beiden Herrschern: die Schlacht auf dem Marchfeld brachte Rudolf von Habsburg den Sieg und Premysl Otakar den Tod. Mit diesem Sieg über den böhmischen König begann der Aufstieg der Habsburger zu einem der einflussreichsten Herrschergeschlechter in Europa. Über Österreich, die Steiermark und Kärnten herrschten von nun an die Habsburger.
Ein weiterer Rudolf von Habsburg war dann 1306 der erste Habsburger auf dem böhmischen Königsthron, er wurde allerdings nach nur einigen Monaten Herrschaft von Johann von Luxemburg abgesetzt. Damit begann in den Böhmischen Ländern die über 100jährige Herrschaft der Luxemburger. An deren Ende standen die Hussitenkriege. Die Hussitenheere verwüsteten nicht nur weite Teile der Böhmischen Länder, sondern fielen auch in die Nachbarstaaten ein, unter anderem nach Österreich.
Nach der Beendigung der Hussitenkriege versuchte ein weiterer Habsburger die Herrschaft über die Böhmischen Länder zu gewinnen und dieses ohne grosse Gewalt. 1437 wurde Albrecht von Habsburg zum Böhmischen König gekrönt, doch er verstarb bereits zwei Jahre später.
Die tschechisch-österreichischen Beziehungen bestanden im Mittelalter nicht nur aus Kriegszügen und kriegerischen Auseinandersetzungen. Eine grosse Rolle spielte bei dem Bestreben, Macht, Einfluss und Grenzen zu erweitern, auch die Heiratspolitik. So manch ein Habsburger hatte eine böhmische Braut und böhmische Herrscher suchten Bräute aus dem Geschlecht der Habsburger. Die Heiratspolitik spielte auch eine Rolle bei der Wahl Albrechts zum böhmischen König, denn er war mit der Tochter des letzten Luxemburgers auf dem böhmischen Thron verheiratet. Auch bei der Krönung Ferdinands II. von Habsburg 1526 zum böhmischen König war die Verwandtschaft der Herrrscherhäuser von Bedeutung. In Prag suchte man nach dem Aussterben des herrschenden Geschlechts einen neuen König und fand Ferdinand, der war nämlich mit der Urenkelin jenes Albrechts und seiner Luxemburger Gattin verheiratet. Und so bestiegen die Habsburger zum dritten Mal den böhmischen Thron und diesmal mit Erfolg und ohne Blutvergiessen. Während die Böhmen nur einige Jahrzehnte in Österreich regiert hatten, verweilten die Habsburger nun für knapp drei Jahrhunderte auf dem böhmischen Thron.
Auch wenn Tschechen und Österreicher nun zu einem Reich gehörten, bedeutet dies noch längst nicht, dass sie nun in Ruhe und Frieden nebeneinanderlebten - im Gegenteil. Zu einer ersten grossen Auseinandersetzung kam es 1618. Damals kämpften böhmische Protestanten gegen das katholische Habsburger Heer. 1620 unterlagen die Böhmer, was verheerende Folgen hatte: das Tschechische und die Tschechen wurden aus allen Bereichen verdrängt. Als zu Beginn des 19. Jahrhunderts erneut das tschechische Nationalbewusstsein erwachte, spielte es wieder eine Rolle, ob man Tschechisch oder Deutsch sprach. Die Spannungen zwischen Wien und Prag wuchsen - die Tschechen forderten die Gleichstellung des böhmischen Königreiches in der Monarchie, mehr Rechte für sich und ihre Sprache.
Ende des 19. Jahrhunderts standen Konflikte zwischen Tschechen und Österreichern sozusagen auf der Tagesordnung. Sei es in Wien oder Prag, auf Strassen, in Kneipen oder im Wiener Reichsrat, immer wieder kam es zu mündlichen und handgreiflichen Auseinandersetzungen. Gründe schien es genug zu geben - immer sahen sich die einen durch die anderen benachteiligt oder bedroht, sahen die einen die anderen bevorzugt. Politiker auf beiden Seiten versuchten eine Lösung des Problems zu finden - vergeblich.
Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte auch das Ende der Habsburger Monarchie. Am 28. Oktober 1918 entstand die selbständige Tschechoslowakei, südlicher Nachbar war nun das sog. Deutschösterreich. Dessen Bewohner trauerten zum Grossteil dem Verlust der Habsburger Monarchie nach - den Tschechen wurde vorgeworfen, Totengräber des geliebten Reiches gewesen zu sein. Ein denkbar schlechter Start für den Beginn diplomatischer Beziehungen zwischen zwei neuen Staaten. Zudem brachte die Teilung des alten Reiches und die Entstehung neuer Staaten viele Probleme mit sich - vor allem das der Grenzziehung. Theoretisch gab es zwar eine Grenze, doch jahrhundertelang hatte sie kaum eine Rolle gespielt. Gestritten wurde auch über die Staatszugehörigkeit der in der Tschechoslowakei verbliebenen deutschsprechenden Bewohner. So erklärte die österreichische Nationalversammlung am 22. November 1918 die von Deutschen besiedelten Gebiete in Böhmen und Mähren zum Bestandteil Deutschösterreichs. Als im Januar 1919 in Paris die Friedenverhandlungen begannen legten die Tschechen ihre Grenzforderungen vor: Neben Gmünd sollten weitere Gebiete im Süden des Landes den Tschechen zu gesprochen werden. Als im September 1919 der Friedensvertrag unterzeichnet wurde, hatten die Tschechen z.T. Erfolg - die neue Grenze im Süden brachte der Tschechoslowakei 300 km2 mit 20.000 Bewohnern.
Nach den ersten Konflikten begannen sich die Beziehungen zwischen Wien und Prag bald zu normalisieren. Bereits 1920 wurde der erste Handeslvertrag unterzeichnet, 1921 folgte ein Staatsvertrag, in dem die Grenze anerkannt wurde. Nach der Machtergreifung Hitlers im Deutschen Reich kam es zu einer recht regen Diplomatie zwischen Prag und Wien. Der tschechoslowakische Regierungschef Milan Hodza reiste wiederholt nach Wien, um für sein Projekt einer engeren wirtschaftlichen und politischen Zusammenarbeit der Donaustaaten zu werben. Damit wollte der tschechoslowakische Politiker einen Gegenpol zur wachsenden Macht des Deutschen Reiches bilden. Hodza scheiterte mit seinen Bemühungen. Im März 1938 erfolgte der Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich, tausende von Österreichern flohen daraufhin in die Tschechoslowakei, wo sie aber nur für kurze Zeit Schutz vor Hitler fanden. Ein Jahr später, im März 1939 wurde das Protektorat Böhmen und Mähren ausgerufen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Beziehungen zwischen den beiden wiederentstandenen Staaten schwer belastet. Aus der Tschechoslowakei wurden die deutschsprechenden Bewohner vertrieben - die in Südmähren und Südböhmen lebenden wurden zumeist nach Österreich vertrieben. Am blutigsten war die wilde Vertreibung der deutschen Bewohner aus Brno- Brünn Ende Mai 1945. Diese wurden zu Fuss Richtung Süden zur österreichischen Grenze getrieben. Wie viele Dutzende oder Hunderte dabei ums Leben kamen ist bis heute ungeklärt. Es dauerte lange Jahre, bis Wien und Prag diplomatische Beziehungen zueinander aufnahmen. 1955 erkannte die tschechoslowakische Regierung den österreichischen Staatsvertrag und damit die Neutralität Österreichs an. Erst knapp 20 Jahre später unterzeichneten tschechoslowakische und österreichische Politiker einen gemeinsamen Vertrag: Am 21. Dezember 1973 wurde in Wien der Vertrag über die Staatsgrenze abgeschlossen. Ein Jahr später, am 19. Dezember 1974, unterzeichneten die Aussenminister der beiden Staaten einen Vertrag über finanzielle und eigentumsrechtliche Fragen, die vor und vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden waren. Die Verhandlungen, die zur Unterzeichnung dieses Vertrags führten, der sozusagen Fragen der Vergangenheit abschliessen sollte, hatten anderthalb Jahre gedauert.
Und damit sind wir schon am Ende unseres kurzen geschichtlichen Überblicks über die österreichischen- tschechischen Beziehungen, bei dem leider längst nicht alle Aspekte berücksichtigt werden konnten.