Tschechische Eishockeyidole: Der bescheidene Martinec bereut nur die fehlende NHL-Karriere

Vladimír Martinec (Foto: ČTK)

Das tschechische Eishockey steht vor einem großen Jubiläum. Am 8. November wird der Tschechische Eishockeyverband (ČSLH) den 100. Jahrestag seines Bestehens feiern. Radio Prag bringt dazu eine Serie, in der wir herausragende Vertreter der tschechischen Eishockeyschule verschiedener Epochen vorstellen. Heute: Vladimír Martinec.

Teil 2: Vladimír Martinec (Jahrgang 1949)

Vladimír Martinec 1977  (Foto: ČTK)
Vladimír Martinec zählt zu den erfolgreichsten europäischen Eishockeyspielern. In seiner Glanzzeit, den 1970er Jahren, war er ein gefürchteter Torjäger. Er erzielte insgesamt 343 Tore in der höchsten Liga der damaligen Tschechoslowakei, 126 in der 1. Bundesliga sowie 155 Länderspieltore. Die meisten davon, wie gesagt, im achten Jahrzehnt des vergangenen Jahrhunderts, in dem er auch an allen drei Weltmeistertiteln (1972, 1976, 1977) der tschechoslowakischen Nationalmannschaft beteiligt war. Ganz besonders gern erinnert er sich an das Jahr 1976:

„Unsere Ära erreichte ihren Höhepunkt im Jahr 1976, denn damals konnten wir innerhalb eines halben Jahres gleich dreimal ein sehr gutes Ergebnis erzielen. Das begann mit den Olympischen Winterspielen in Innsbruck, wo uns nur sechs Minuten vom Olympiasieg getrennt haben. Danach folgte die Weltmeisterschaft in Katowice, bei der wir mit großem Vorsprung den Titel holten. Bei jener WM haben wir überdies in der kanadischen Wertung, die von mir gewonnen wurde, die ersten drei Plätze belegt. Und schließlich standen wir auch noch beim Canada Cup im Finale, obwohl dort keiner mit uns gerechnet hatte.“

Als Vladimír Martinec am 22. Dezember 1949 im ostböhmischen Lomnice nad Popelkou geboren wurde, konnte auch niemand damit rechnen, dass aus dem kleinen „Vlaďa“ eines Tages ein großer Eishockeystar wird – ein pfiffiger Schlittschuhläufer und gewiefter Techniker mit großem Torinstinkt. Seine Karriere begann er 1967 bei Tesla Pardubice. Über viele Jahre spielte er für diesen Club, nur in der Saison 1978/79, als er seinen Wehrdienst ableisten musste, streifte er den Dress von Dukla Jihlava über. Bis 1981 spielte er für Pardubice, bevor er in die Bundesrepublik Deutschland wechselte und vier Jahre lang beim ESV Kaufbeuren spielte. Eine Zeit, an die er sich ebenso gern erinnert:

Vladimír Martinec  (Foto: ČTK)
„Ich war dort sehr zufrieden. Das war noch die Zeit in der Geschichte des oberbayrischen Vereins, in der er noch fester Bestandteil der 1. Bundesliga war und keine Befürchtungen vor dem Abstieg haben musste. 1984 kamen wir sogar bis ins Halbfinale, in dem uns Landshut schon beim Aufwärmen empfindlich getroffen hat: Mir wurde nach einem harten Schuss der kleine Finger gebrochen, Bohuslav Šťastný hatte auf einmal Probleme mit dem Rücken und zu allem Überfluss erhielt Didi Hegen im Spiel eine weitere Zehn-Minuten-Strafe, nach der er eine Begegnung pausieren musste. In jenem Jahr standen wir kurz vor dem Einzug ins Finale.“

Die vier Jahre in Kaufbeuren haben ihm viel gegeben, so Vladimír Martinec. Er möchte keinen Tag davon missen. Nachdem aber 1989 in der damaligen Tschechoslowakei die politische Wende eingetreten war und junge Stars wie Jaromír Jágr, Robert Holík oder Robert Reichel auf einmal ohne Probleme in der besten Liga der Welt, der nordamerikanischen NHL spielen konnten, da sei auch er etwas nachdenklich geworden, sagte mir Martinec. Vor allem bereue er noch heute, einen wesentlichen Schritt in seiner Karriere ausgelassen zu haben:

„Ich hätte im Jahr 1981 mit Ivan Hlinka nach Vancouver gehen sollen. Ich habe mir aber damals gesagt: Ich gehe nirgendwo hin! Auf alle Fälle nicht soweit weg von zu Hause, denn ich war um meine Familie besorgt. Zudem hatte ich einen Bammel vor dem Fliegen, die englische Sprache konnte ich nicht, ich hatte einfach Angst vor diesem Schritt.“

Mit einem kräftigen Schuss Schalk in den Augen fügte Martinec aber gleich hinzu:

„Das klingt jetzt vielleicht etwas ironisch, wenn ich sage: Wenn ich wenigstens einen englischen Akzent in meiner Stimme gehabt hätte, stünde ich jetzt auch ganz woanders. Dann wäre ich heute ein anerkannter Trainer.“

Vladimír Martinec  (Foto: ČTK)
Vladimír Martinec ist in seiner gesamten Sportkarriere als Persönlichkeit – sowohl als Spieler als auch als Trainer – immer der ruhige und bescheidene Bursche von nebenan geblieben, der sich nie in den Vordergrund gedrängt hat. Diese Eigenschaft, die man auch bei vielen seiner einstigen Mitstreiter feststellen konnte, sei übrigens auch ein Grund mit dafür gewesen, dass die Spieler seiner Nachkriegsgeneration in den 1970er Jahren so erfolgreich waren, meint Martinec:

„Ich denke, wir haben damals nicht so im Mittelpunkt gestanden. Es war jedenfalls nicht so wie in der heutigen Zeit, in der sich fast alles um die Spieler dreht. Die Mehrzahl der aktuellen Spieler will ständig im Rampenlicht stehen. Das war damals nicht unser Credo und ich denke, dass hat auch einen Großteil dazu beigetragen, dass wir in den 70er Jahren so erfolgreich waren.“

Bei den ehemaligen Akteuren seiner Generation steht Martinec mit dieser Feststellung nicht allein. Der heute 58-Jährige sieht jedoch noch mehr Unterschiede im Verhalten der Cracks von heute gegenüber denen von früher:

„Heute machen die Spieler eine Tragödie daraus, wenn sie verlieren. Wenn wir seinerzeit verloren haben, sind wir trotzdem noch gemeinsam auf ein Bier gegangen. Und wenn wir gewonnen haben, dann erst recht. Das ist halt Sport: Wenn ein Gegner besser war als wir, dann haben wir das nach der Partie auch sportlich fair anerkannt und uns gesagt: Da ließ sich heute nichts machen, aber das Leben geht weiter. Das Brot wird davon auch nicht teurer oder billiger, wir aber schauen nur nach vorn. Mit dieser Einstellung haben wir halt gespielt.“

So wie jede andere Sportart auch, so hat sich natürlich auch das Eishockey in den zurückliegenden 30 Jahren weiterentwickelt. Es ist alles viel kommerzieller und ebenso kostenintensiver geworden. Und wo viel Geld im Spiel ist, da ist mittlerweile auch eine Berufsgruppe mit im Boot, der Martinec nicht unbedingt wohl gesonnen gegenüber steht:

„Was traurig ist, das ist der große Einfluss der Spielerberater. Sie bieten die bei ihnen unter Vertrag stehenden Spieler nicht nur zum Kauf an, sondern sie preisen oft auch einen durchschnittlichen Crack als kommenden Superstar an. Wenn dann für die sportliche Leitung eines Clubs ein solcher Spieler noch ein unbeschriebenes Blatt ist, dann passieren auch solche Dinge, dass dieser Spieler innerhalb von sieben Jahren auch sieben Mal den Verein wechselt. Das ist aber nicht der Fehler des Spielers oder seines Beraters, sondern der Fehler der jeweiligen Clubführung, die nicht in der Lage ist, einzuschätzen, dass dieser Spieler für ihr Team ungeeignet ist und eigentlich woanders hingehört.“

100 Jahre des Tschechischen Eishockeyverbands
Seine ganz eigene Sichtweise hat Vladimír Martinec auch darüber, wer heutzutage ein erfolgreicher oder ein weniger erfolgreicher Trainer ist. Seine Sichtweise machte er mir anhand seiner eigenen Trainerkarriere klar:

„Wenn ich zurückschaue in die Annalen meiner Trainertätigkeit, dann kann ich festhalten: Mit Pardubice bin ich zwei Mal Landesmeister geworden, sieben Mal war ich als Assistenztrainer bei einer Weltmeisterschaft und habe in dieser Funktion mitgeholfen, drei WM-Titel zu erringen. Auch 1998, beim historischen Olympiasieg in Nagano, war ich als Co-Trainer dabei. Ich habe also durchaus etwas vorzuweisen. Heutzutage aber ist nicht selten auch der ein guter und erfolgreicher Trainer, der noch keinen einzigen Titel errungen hat. Ich denke dann immer, dass es für manchen heute wichtiger ist, sich mit den Journalisten gut zu stellen, als wirklich erfolgreich zu arbeiten. Es sind in der Tat oft die Journalisten, die jemandem zum Erfolgstrainer oder zum Versager stempeln.“

Aber auch damit hat sich Vladimír Martinec, der heute als Sportdirektor beim HC Moeller Pardubice der Chefverantwortliche für die Nachwuchsarbeit ist, längst abgefunden. Er muss niemandem mehr etwas beweisen, sondern ist bestrebt, einen Großteil seines riesigen Erfahrungsschatzes an die jüngere Generation weiter zu geben. Und er ist ebenso stolz darauf, dass es sein Sohn Tomáš in der deutschen DEL nicht nur zu einem guten Stürmer, sondern sogar bis hin zu einem deutschen Nationalspieler gebracht hat.

Autor: Lothar Martin
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