Tschechische Konjunkturaussichten vor dem Hintergrund der EU

Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Mit einer offenen, exportorientierten Wirtschaft, wie sie Tschechien hat, sind die inländische Wirtschaft und die Weltwirtschaft verbundene Gefässe. Deshalb ist auch nicht anzunehmen, dass die gegenwärtige Konjunkturabflachung in der Europäischen Union und den USA spurlos an der tschechischen Wirtschaft vorbei gehen wird. Dabei hatte das Jahr mit zweistelligen Zuwachsraten in Aussenhandel, Industrieproduktion und Bauwesen sehr gut angefangen und Hoffnungen auf ein kräftiges Wachstum geweckt. Diese Hoffnungen müssen jetzt aber vielleicht wieder etwas zurückgenommen werden, denn die Auswirkungen der Wirtschaftslage in Westeuropa und den USA werden in Tschechien, wenn auch definitive Prognosen noch nicht möglich sind, wohl doch tiefere Spuren hinterlassen. Dieses Thema ist Gegenstand der folgenden Minuten, zu denen wir guten Empfang wünschen.

Geht man davon aus, dass die Industrieproduktion und das Bauwesen zwei wichtige Zugpferde für das Wirtschaftswachstum sind, dann hat das Jahr 2001 für Tschechien nicht schlecht begonnen. Im Januar verzeichneten beide Bereiche laut Angaben des Tschechischen statistischen Amtes zweistellige Zuwachsraten in der Höhe von rund 12 bis 14 %, und das Bauwesen erreichte zwischen Februar und April gar Raten von 16%. Die Industrieproduktion sackte im Februar zwar auf rund 6% ab, überschritt im März und April aber wieder die 10%-Grenze, ging im Mai dann aber wieder auf 6% zurück - Zahlen, die sich jeweils auf den vergleichbaren Vorjahreszeitraum beziehen. Während laut Analytikern die anhaltend hohen Wachstumsraten im Bauwesen die Situation reflektieren, dass nach wie vor hohe Auslandinvestitionen nach Tschechien strömen und die Bauunternehmen für Infrastrukturnetze sowie Bauten auf der Grünen Wiese in Schwung halten, dürfte die Industrieproduktion eher die Situation auf den Exportmärkten spiegeln. Und dort kam es nach einem ebenfalls günstig verlaufenen ersten Quartal in den nächsten Monaten zu einem deutlichen Abflachen der Wachstumsentwicklung. Noch im April lag der Exportzuwachs in laufenden Preisen gemessen am Vorjahresniveau bei 23.2%, doch schon im Mai reduzierte sich dieser Indikator auf 15.3% und im Juni auf gar nur 5.2%.

Die Gründe dafür dürften, wie Slavoj Czesany, Experte des tschechischen Statistischen Amtes, in einem Artikel für die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny ausführte, in der Entwicklung auf den wichtigsten Märkten des tschechischen Exportes liegen.

In den USA erwarten Analytiker eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums, das im Jahr 2000 mit 5 % kräftig ausgefallen war, in diesem Jahr auf bloss noch 1.5%, in der Europäischen Union soll die Konjunkturabschwächung zwar moderater ausfallen, aber immer noch von einer Wachstumsrate von 2,9% im Jahr 2000 auf 1,6 bis 2% zurückgehen. Dies dürfte, so Czesany, auch Auswirkungen auf die tschechische Wirtschaft haben. Wie stark diese ausfallen, hängt laut dem Autor des Artikels allerdings von einigen Faktoren ab, die derzeit noch nicht ausreichend eingeschätzt werden können. So werde entscheidend sein, ob die Wirtschaft der Eurozone schon im ersten Halbjahr 2001 die konjunkturelle Talsohle durchschritten hat, oder ob dies im zweiten Halbjahr 2001 oder gar erst im ersten Semester 2002 der Fall sein wird. Eine weitere Unbekannte bestehe darin, ob bei gegenwärtig anziehendem Wirtschaftswachstum in Tschechien die Belebung der Inlandnachfrage die rückläufige Konjunkturentwicklung auf den wichtigsten Aussenhandelsmärkten wenigstens teilweise auffangen kann. Und schliesslich bleibe abzuwarten, wie sich die grossen Privatisierungsvorhaben der Regierung im Telekom- und Energiebereich entwickeln werden in einer Situation, in der die Weltwirtschaft eher kontrahiert. Vorläufig gehen die Prognosen für Tschechien von einem Wirtschaftswachstum für 2001 in der Grössenordnung von etwa 3.5% aus. Ob diese Zahl nach unten korrigiert werden muss, wird auch davon abhängen, wann die erneute Belebung der Konjunktur in Westeuropa einsetzt.

Der Chefökonom der Bank Austria Creditanstalt, Pavel Sobisek, wies ebenfalls in einem Artikel für die Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny auf die Situation des tschechischen Aussenhandels hin. Während dieser im April noch den Anschein erweckte, von der weltweiten Konjunkturabflachung nicht betroffen zu sein, änderte sich das Bild in den folgenden Monaten radikal. Sobisek ist dabei nicht sehr optimistisch, dass sich das Blatt schnell wenden könnte. Er weist darauf hin, dass die Konjunkturprognosen für Deutschland und Frankreich für das letzte Quartal 2001 noch keine wesentliche Besserung andeuten, was auch den tschechischen Export betreffen werde.

Verminderter Export bedeutet laut Sobisek tendenziell eine Beeinträchtigung des Wirtschaftswachstums. Analysen seiner Bank auf Grund einer Langzeitbeobachtung der Ausfuhrdaten hätten ergeben, dass eine Verminderung des Tempos des Exportwachstums um 7% etwa einer Reduktion des Wachstums des Brutto-Inlandproduktes um 1 % bedeute. Ein Exportwachstum von 10% wirke sich auf das BIP-Wachstum neutral aus, und erst bei einem Wachstumstempo der Ausfuhren von über 10% schlage sich dies positiv auf das allgemeine Wirtschaftswachstum nieder. Dies ist zweifellos im ersten Quartal der Fall gewesen, als die Exporte gegenüber dem vergleichbarenVorjahreszeitraum um rund 24 % zunahmen, im zweiten Quartal hingegen fällt das Bild zwiespältiger aus.

Verlangsamt sich die Dynamik des Aussenhandels, könnte dies, so eine These, wenigstens den Negativsaldo der Handelsbilanz vermindern. Dem stimmt Sobisek mit Blick auf die Entwicklung von 2000 und 2001 zwar zu, meint aber, dass es sich nicht unbedingt um eine positive Entwicklung handle. Denn er weist darauf hin, dass zwischen Importen und der Leistungsfähigkeit der Exportindustrie im jetztigen Zeitpunkt, da Technologieimporte einen grossen Teil der Einfuhren ausmachen, eine Verbindung bestehe. Hohe Technologieimporten würden sich mittelfristig günstig auf die Steigerung von Produktivität und Konkurrenzfähigkeit des Exports auswirken, rückläufige Einfuhren würden hingegen darauf hindeuten, dass etwas zeitverschoben auch der Export wieder weniger leistungsfähig sein würde.

Der Analytiker der Bank Austria-Creditanstalt kommt zum Schluss, dass vor diesem Hintergrund die makroökonomische Entwicklung Tschechiens in einem nicht allzu rosigen Licht erscheine. Während der Einfluss auf die Leistungsbilanz wohl beschränkt bleibe, weil in der Vergleichsperiode im vergangenen Jahr hohe Rohstoffpreise auf das Handelsbilanzdefizit drückten, könnten die Auswirkungen auf die Entwicklung des Brutto-Inlandproduktes problematischer ausfallen. Ein Wachstum von 4% erscheine vor diesem Hintergrund als unrealistisch, und gar hinter eine Zuwachsziffer von 3% sei wohl noch ein Fragezeichen zu setzen.

Autor: Rudi Hermann
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