Unterschiedlicher Lebensstandard Prag/Regionen
Herzlich willkommen bei einer weiteren Ausgabe unserer Magazinsendung mit Themen aus Wirtschaft und Wissenschaft, am Mikrofon begrüßt Sie Rudi Hermann. Wer an einem regnerischen Samstag auf die Idee kommt, in einem der grossen Einkaufszentren, die am Stadtrand von Prag in den letzten Jahren entstanden sind, ein paar Einkäufe zu tätigen, gegebenenfalls im Hypermarkt den Wocheneinkauf zu erledigen, hat manchmal ein Problem. Obwohl diese Zentren riesige Parkflächen anbieten, kann es je nach dem recht schwierig sein, den Wagen überhaupt abzustellen und den Besorgungen nachzugehen. Manchmal heisst es gleich drei Mal Schlange stehen: Bei Einfahrt und Parkplatzsuche, dann im Laden an der Kasse und schliesslich wieder bei der Ausfahrt, weil schlicht allzu viele andere auch auf die Idee gekommen sind, Einkäufe zu erledigen. Und dabei gibt es in Prag inzwischen mehrere Areale, die nicht nur gigantische Hypermärkte anbieten, sondern auch eine Reihe weiterer grosser und mittlerer Ladengeschäfte.
Szenenwechsel aufs Land. Wer sich in der Hauptstadt an die zahlreichen Super- und Hypermärkte gewöhnt hat, die ein breites und meist stabiles Angebot haben, kommt sich wie in einer anderen Welt vor, besucht er in einem Dorf oder einer Kleinstadt auf dem Land einen Quartierladen, wie sie noch vor nicht allzu langer Zeit die Hauptquelle für die täglichen Einkäufe darstellten. Das Angebot erscheint winzig, dafür legt der Geschäftsführer den Stammkunden bestelltes Brot beiseite, spricht sie mit dem Namen an und tauscht beim Kassieren auch gleich die wichtigsten Neuigkeiten aus dem gesellschaftlichen Leben aus. Zwei Welten, die in Tschechien immer weiter auseinander zu driften scheinen. Den ökonomischen Unterschieden von Hauptstadt, Grossstädten und Regionen ist die heutige Sendung gewidmet, zu der wir guten Empfang wünschen.
Wer in Prag wohnt, wohnt und lebt zwar teurer als auf dem Land, verdient aber auch mehr. Das zumindest besagt die Statistik der Durchschnittslöhne. Denn in der Hauptstadt bewegt sich dieser Lohn auf der Höhe von 18396 Kronen, umgerechnet etwas mehr als 550 Euro, und mehr verdienen kann man in den Augen des Statistikers nirgends in der Tschechischen Republik. Dazu sei allerdings als Klammerbemerkung angefügt, dass der Durchschnittslohn wirklich nicht mehr als eine statistische Grösse ist, denn weder sagt er etwas darüber aus, wieviele Leute im Monat etwa so viel Geld verdienen, noch wieviel Prozent der Bevölkerung darüber und wieviel darunter liegen. Generell ist es so, dass etwa zwei Drittel der Bevölkerung unter der Höhe des statistischen Durchschnittslohns liegen. Doch nun zurück zur Statistik. Ist Prag am oberen Ende der Skala, so sieht es im Rest des Landes bescheidener aus. Der landesweite Durchschnittslohn liegt nach den letzten statistischen Angaben bei 14 740 Kronen monatlich, das ist schon nur noch etwa 450 Euro, und neben der Hauptstadt Prag gibt es gerade noch einen Landkreis, der knapp über dieser Grösse liegt. Es ist der mittelböhmische Landkreis, wo sich der Durchschnittslohn bei 14 761 Kronen bewegt. Die Vermutung liegt nahe, dass das wirtschaftliche Potenzial der Hauptstadt auch auf den umliegenden Landkreis Mittelböhmen ausstrahlt.
Alle anderen 12 Landkreise liegen jedoch unter dem Landesdurchschnitt. Damit haben wir hier die ähnliche Problematik, von der wir vorhin in Bezug auf die Aussagekraft des Durchschnittslohns gesprochen haben: Weit mehr Landkreise liegen unter dem Landesdurchschnitt, während einzig die Hauptstadt Prag diesen in die Höhe zieht. Ohne Prag sind die regionalen Unterschiede relativ klein: An der Spitze liegt Mittelböhmen mit den erwähnten 14 761 Kronen, das Schlusslicht ist der Landkreis Olomouc mit einem Durchschnittslohn von 12 428 Kronen. Und um noch etwas bei den Zahlen zu bleiben: Von den 13 Landkreisen ausser der Hauptstadt Prag verzeichnen deren vier, nämlich Olomouc, Pardubice, Karlsbad und Vysocina, einen Durchschnittslohn unter 13 000 Kronen. Sechs haben einen Durchschnittslohn, der sich zwischen 13 000 und 14 000 Kronen bewegt, und nur zwei liegen über 14 000 Kronen. Neben dem schon erwähnten Mittelböhmen handelt es sich um den mährisch-schlesischen Landkreis mit der regionalen Hauptstadt Ostrava.
Von den absoluten Zahlen nun zu den relativen. Was Tschechien von einem Beitritt zur Europäischen Union erwarten kann, und warum das Land seine administrative Struktur neu in grössere Landkreise als die bisherigen Bezirke gliedern musste, liegt darin, dass Regionen, die unter einer gewissen Vergleichsgrösse zum EU-Durschnitt liegen, Anspruch auf Fördermittel aus den zuständigen Töpfen in Brüssel haben. Hier sind nicht mehr nur die absoluten Zahlen im Sinne der Durchschnittslöhne massgeblich, sondern es geht um die sogenannte Kaufkraftparität. Das heisst darum, was für einen Warenkorb sich jemand mit dem jeweiligen Durchschnittslohn kaufen kann. Liegt eine Region unter dem Niveau von 75% gemessen am EU-Durchschnitt, kann sie solche Fördermittel beziehen. Das ist zumindest die jetzt geltende Regelung. Es ist aber nicht auszuschliessen, dass der Wert von 75% angepasst wird. Denn mit dem Beitritt von bis zu zehn neuen, meist im Vergleich zu den bestehenden EU-Ländern ärmeren Mitgliedern wird der Durchschnitt nach unten gedrückt und Regionen in Spanien, Portugal oder Griechenland, die jetzt Anspruch auf Zuschüsse haben, würden diesen verlieren.
Welches Bild erwartet uns nun, wenn wir den Vergleich Prag und Regionen nach Kaufkraftparität ziehen? Prag liegt, nach dieser Methode bewertet, bei 128% des EU-Durchschnitts und verzeichnet damit einen Lebensstandard, der nicht nur höher liegt als in diversen Regionen, deren Länder bereits EU-Mitglieder sind, sondern der mehr als doppelt so hoch liegt wie der Lebensstandard in der Tschechischen Republik allgemein. Denn dieser liegt nach Kaufkraftparität bei 60% des EU-Durchschnitts. Auf 58% kommt als zweitreichste Region Südböhmen. Und wo ist Mittelböhmen geblieben, mag jemand fragen, das doch bei den Durchschnittslöhnen an zweiter Stelle lag? Und weshalb ist der Unterschied von Prag und den Regionen so enorm, wo doch die Zahlen der Durchschnittslöhne wesentlich näher beieinander liegen?
Hier manifestiert sich gerade der Unterschied in der Betrachtungsweise zwischen Durchschnittslohn und Kaufkraftparität. Der Durchschnittslohn sagt nämlich noch nichts aus über das Preisniveau in einer Region. Dieses ist in Prag zwar höher als in anderen Regionen, doch proportional nicht um so viel, wie das Lohnniveau höher liegt. Das heisst, dass sich die Prager verhältnismässig mehr leisten können. Umgekehrt ist es in Mittelböhmen: Diese Region leidet an relativ hohen Preisen, die sich nach der Nachfrage der Hauptstadt richten, das aber bei tieferen Löhnen. Und entsprechend ist das Lohn-Preis-Verhältnis etwa in Südböhmen dann günstiger, auch wenn dort das Lohnniveau in absoluten Zahlen etwas tiefer liegt. Das landesweite Schlusslicht liegt aber auch bei dieser Betrachtungsmethode im Landkreis Olomouc, der nur auf 47% des EU-Durchschnitts beim Lebensstandard nach Kaufkraftparität kommt.
Wie können diese grossen Unterschiede zwischen Prag und dem Rest vermindert werden? Etwa dadurch, dass Investitionen vermehrt in die Regionen gelockt werden, dort die Arbeitslosigkeit reduzieren und das Volkseinkommen steigern. Trends in diese Richtung sind schon festzustellen, etwa mit den Grossinvestitionen von Philips in Ostmähren oder von Toyota und Peugeot in Mittelböhmen. Randregionen locken mit einem tieferen Lohnniveau, doch leiden sie an einer schlechteren Verkehrsinfrastruktur, und es liegt an den Investoren, pro und contra gegeneinander abzuwägen.