Verhaltene Euphorie: Tschechisches Eishockeyteam mit erfahrenen Spielern, aber wenigen NHL-Stars

Es ist das größte Sportereignis in diesem Jahr hierzulande: die Eishockey-WM, die am Freitag startet. Das tschechische Team bestreitet seine Gruppen-Spiele in Prag, der zweite Spielort ist Ostrava / Ostrau. Was ist der Heimmannschaft zuzutrauen, und wie ist die Stimmung unter den Fans?

Die Spannung steigt: Am Freitag bestreitet die tschechische Eishockey-Nationalmannschaft ihr erstes Spiel bei der Heim-WM. Ginge es nach den Fans, dann sollten ihre Idole bei dem Turnier selbstverständlich mindestens eine Medaille, wenn nicht sogar Gold holen. Doch die letzten Ergebnisse der Kufencracks geben nicht so viel Anlass zu Hoffnungen. Und so sind die Gefühle gemischt. Das bestätigt auch Petr Kadeřábek von Radiožurnal Sport, dem Online-Sportsender des Tschechischen Rundfunks:

Petr Kadeřábek | Foto: Tschechischer Rundfunk

„Die Tschechen freuen sich sicher auf die WM. Das merkt man schon alleine, wenn man hier in die Kneipe geht. Überall wird über die WM und das Team gesprochen. Nicht sicher bin ich mir hingegen, ob die Fans auch wirklich einen Erfolg der tschechischen Nationalmannschaft erwarten. Das liegt am letzten Vorbereitungsturnier, bei dem in drei Spielen kein Sieg gelang. Und es liegt daran, dass drei Verstärkungen aus der NHL aus dem Kader gestrichen wurden. Ich denke aber, dass mit der ersten Begegnung, in der die Mannschaft auf Finnland trifft, die Freude noch steigen wird – vor allem wenn den Tschechen da ein Sieg gelingt.“

Finnland war neben Schweden und der Schweiz jedoch einer der drei Gegner, gegen die die Tschechen vergangene Woche bei den Hockey Games hierzulande verloren haben. Allerdings haben solche Vorbereitungsturniere im Eishockey nur begrenzte Aussagekraft. Und der tschechische Nationaltrainer, Radim Rulík, hatte für die drei Spiele eine unglaubliche Zahl von 37 Spielern berufen – das heißt, er testete intensiv.

Radim Rulík  | Foto: Ondřej Deml,  ČTK

Noch am Sonntag gab der Coach dann das Aufgebot für die Weltmeisterschaft bekannt. Auch die schlechten Ergebnisse bei den Hockey Games hätten die Wahl beeinflusst, gestand Rulík.

Auffällig ist, dass entgegen früherer tschechischer Kader relativ wenige Spieler aus der NHL im Aufgebot sind, also aus der stärksten Eishockeyliga der Welt. Dazu der Coach:

„In letzter Zeit ist die Zahl der tschechischen Spieler gesunken, die bei NHL-Teams in den ersten beiden Sturmreihen auflaufen. Andere Nationalmannschaften haben da eine größere Auswahl. In unserem WM-Kader überwiegen daher die Spieler aus Europa. Sie sollten sich mit Herz und Aufopferungsgabe präsentieren – ganz einfach das absolute Maximum bei der Heim-WM aus sich herausholen.“

David Kämpf | Foto: Kateřina Šulová,  ČTK

Konkret sind es bisher neun NHL-Profis, wobei Stürmer David Kämpf von den Toronto Maple Leafs erst am Donnerstag zum Team hinzugestoßen ist. Knapp zwei Drittel der tschechischen Spieler stehen also bei Vereinen in Europa unter Vertrag, zwölf von ihnen in der tschechischen Extraliga.

Petr Kadeřábek hält den Kader dennoch für ausgewogen.

„Ich finde das Team nicht so schwach. Zunächst hat es sehr gute Torhüter. Vielleicht gehören sie nicht zur absoluten Weltspitze, sie sind eher 1B als 1A. Aber alle drei sind ähnlich stark. Das könnte eine große Rolle spielen. Im Angriff besteht die Frage, zu welcher Form sich Dominik Kubalík aufschwingen kann. Er war der beste Torschütze bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr, als Tschechien sein schlechtestes WM-Ergebnis einfuhr. Wenn also das Spiel in den einzelnen Sturmreihen harmoniert und etwa Kubalík, Tomáš Sedlák oder vielleicht David Tomášek Tore beisteuern, dann ist auch ein Erfolg möglich“, so der Sportkommentator.

David Tomášek und Dominik Kubalík | Foto: Ondřej Deml,  ČTK

Einige Fachleute merken zum aktuellen tschechischen Kader auch an, dass entgegen früheren Weltmeisterschaften die Unterschiedsspieler aus der NHL fehlen würden. Das will Kadeřábek aber nur begrenzt gelten lassen:

„Die Frage ist, wer das sein könnte. Wenn man die NHL-Teams durchgeht und die Rolle der tschechischen Spieler in Augenschein nimmt, dann kann man eigentlich nur darauf warten, dass die Boston Bruins aus dem Kampf um den Stanley Cup ausscheiden – oder vielleicht noch die Carolina Hurricanes. In dem Fall könnten sich noch Martin Nečas oder David Pastrňák und Pavel Zacha dem Team anschließen. Das sind die einzigen tschechischen Unterschiedsspieler der NHL. Die anderen Tschechen werden ansonsten in den dritten oder vierten Sturmreihen aufgeboten – falls sie überhaupt spielen. Und nicht einmal von ihnen gibt es viele.“

Der Druck vor eigenem Publikum

Lukáš Sedlák | Foto: Václav Šálek,  ČTK

Seit 2010 wartet das tschechische Eishockeynationalteam schon auf einen weiteren WM-Titel. Die letzte Medaille – eine bronzene – gewann man vor zwei Jahren. Bisher wurden zehn Weltmeisterschaften in der Tschechoslowakei und in Tschechien ausgetragen. Bei den ersten acht reichte es immer zu einer Medaille. Doch bei den letzten beiden – 2004 und 2015 – ging das Heimteam jeweils leer aus. Der Druck auf Nationaltrainer Rulík und seine Schützlinge ist groß. Center Lukáš Sedlák rät seinen Mannschaftskollegen dazu, sich nicht verrückt machen zu lassen und von Spiel zu Spiel zu schauen…

„Für uns wird es wohl wichtig sein, die Entwicklung des Turniers mit zu durchlaufen und nicht an eine Platzierung am Ende zu denken. Man sollte sich nicht von schlechten oder guten Ergebnissen unter Stress setzen lassen, sondern sich immer auf die jeweilige Begegnung konzentrieren. Schließlich kann man nur ein Spiel pro Tag gewinnen, aber nicht die ganze WM“, sagt der Nationalspieler vom tschechischen Vize-Meister HC Dynamo Pardubice.

Im vergangenen Jahr in Riga war Tschechien schon im Viertelfinale gescheitert, durch eine Niederlage gegen die USA. Damit belegte das Team nur den achten Platz im Klassement – es war das schlechteste Abschneiden einer tschechischen oder tschechoslowakischen Nationalmannschaft seit der ersten WM-Teilnahme von 1930.

Radim Rulík | Foto: Ondřej Deml,  ČTK

Nach der historischen Pleite wurde der damalige, aus Finnland stammende Nationaltrainer Kari Jalonen abberufen. Sein Nachfolger wurde eben Radim Rulík. Der 58-jährige Coach hat auf Vereinsebene viel Erfahrung gesammelt und war zuletzt Trainer der tschechischen Junioren. Mit dem Nachwuchs holte er 2023 überraschend WM-Silber. Was ist er für ein Trainer, und wie sieht seine Spielphilosophie aus? Fachmann Kadeřábek:

„Er ist sehr streng und achtet darauf, dass die Spieler seine Anweisungen befolgen. Und dass sie miteinander auf dem Eis kommunizieren, das ist das Wichtigste. Er pflegt einen ganz anderen Stil als zuvor Kari Jalonen, der auf eine sehr verbissene Defensive vertraut hat – also auf das klassische finnische Eishockey, bei dem auf den Fehler des Gegners gewartet wird, man aber keinen eigenen Fehler zulassen will. Radim Rulík setzt hingegen darauf, dass die Spieler die gesamte Eisfläche ausnutzen und in Bewegung sind. Deswegen wird sich, meiner Meinung nach, das tschechische Team gerade vor eigenem Publikum mit attraktivem Spiel präsentieren. Und dafür hat er, denke ich, auch die richtigen Spieler.“

Foto: Kateřina Šulová,  ČTK

Und Rulík kann sich laut dem Kollegen aus dem Rundfunk zudem auf die richtigen Nebenmänner im Trainerteam stützen. Sie dürften ebenfalls ein entscheidender Faktor sein, um die Spieler entsprechend auf jede Begegnung und die Heimatmosphäre vorzubereiten, glaubt Petr Kadeřábek. Im Übrigen heißen die Gegner Tschechiens in der Gruppe A in Prag außer Finnland noch Kanada, die Schweiz, Österreich, Norwegen, Dänemark und Großbritannien.

Hungrige Mannschaften

Die WM im vergangenen Jahr hat gezeigt, dass auch vermeintlich kleine Eishockey-Nationen oben mitmischen können. Titelverteidiger ist zwar Kanada, also das erfolgreichste Land in dem Kufensport überhaupt. Aber Deutschland als Überraschungsteam gelang der Einzug ins Finale, und Lettland holte – nicht minder überraschend – Bronze.

Michal Dimitrov ist Eishockey-Kommentator des öffentlich-rechtlichen Tschechischen Fernsehens. Für die englischsprachigen Sendungen von Radio Prag International gab er folgende Einschätzung:

„Es gibt eine Menge hungriger Teams, die zuletzt keine Erfolge verbuchen konnten. Für mich ist Schweden der größte Titelaspirant. Denn die Tre Kronor haben seit 2018 keine Medaille mehr geholt, ganz zu schweigen von Gold. Sie sind wirklich hungrig. Natürlich muss man mit Finnland rechnen, mit Kanada und definitiv aber auch mit den Vereinigten Staaten von Amerika. Wenn man den Kader der USA, die in Ostrau spielen, und den Kanadas vergleicht, dann würde ich sagen, dass den Namen nach der US-amerikanische stärker ist.“

Foto: Václav Šálek,  ČTK

Die WM findet ohne Frage in einem Eishockey-verrückten Land statt. Auch wenn die größten Erfolge des tschechischen Teams schon einige Jahre zurückliegen, dürfte die Stimmung in den beiden Arenen hervorragend sein. Gespielt wird in der O2 Aréna in Prag, die für die WM Prague Arena heißt, und in der Ostrava Arena. Und Petr Kadeřábek bestätigt den Tipp seines Kollegen aus dem Fernsehen, wenn er sagt:

„Ich denke, es wird eine sehr spannende und schöne WM, die am Ende die Schweden gewinnen.“

Autor: Till Janzer
schlüsselwort:
abspielen