„Versteckspiel und offenes Geheimnis“ – Prof. Demetz über seinen Jugendfreund, den Dichter H. W. Kolben
Vergangene Woche wurde im Prager Literaturhaus deutschsprachiger Autoren ein Sammelband mit Gedichten des Prager Dichters Hans Werner Kolben vorgestellt. Der Dichter stammte aus der Industriellenfamilie Kolben. Das Familienunternehmen ist heute jedem hierzulande unter dem Namen ČKD bekannt. Der junge Kolben wurde im Jahr 1942 wegen dem „Nichttragen des Judensterns“ denunziert und starb im Februar 1945 im KZ Kaufering an Flecktyphus. Hans Werner Kolben begann bereits in Prag, Gedichte zu schreiben, und setzte dies in Theresienstadt fort. Gerettet werden konnte sein schmales Werk, weil seine Mutter als Bakteriologin das KZ überlebte und die Gedichte versteckt hatte. Die treibende Kraft hinter der Veröffentlichung der Gedichte Kolbens war sein Jugendfreund Peter Demetz, ebenfalls 1922 in Prag geboren. Er überlebte die Nazi-Zeit und emigrierte 1948 in die USA, wo er ein bekannter Schriftsteller und Germanistikprofessor wurde. Nach der Lesung sprach Professor Demetz mit Radio Prag über seinen Jugendfreund Kolben.
Herr Professor Demetz, vielen Dank, dass Sie die Zeit für ein Interview gefunden haben. Wir haben heute viel von Ihnen über Hans Werner Kolben, oder H. W. Kolben, wie Sie sagen, gehört. Vielleicht können Sie ein paar Worte über Ihn sagen und wie Sie ihn kennengelernt haben?
„Das ist alles sehr lange her und ich könnte eigentlich nicht sagen, wie das im Einzelnen war. Aber wir kamen alle bei der Prager Familie Alt in Prag Žižkov zusammen, in einer alten Wohnung. Es gab vier erwachsene Kinder in der Familie, Mutter Alt sowie eine alte Haushälterin. Die haben dort alle in einer kleinen Wohnung gelebt. Wir, H. W. Kolben und ich, waren dort Sonntagsgäste. Wir kamen immer sonntags zum Kaffee – der Kaffee war natürlich Ersatzkaffee, denn es war schon Krieg. Auch sonst waren wir oft zusammen, sind durch die Wälder von Zbraslav / Königssaal gezogen und haben Pilze gesammelt oder saßen in der Gaststätte Vikárka am Hradschin. Dort waren sie sehr gastfreundlich und haben uns immer am Sonntag, wenn es geregnet hat, ein Extrazimmer zur Verfügung gestellt haben.“
Kolben ist ja eine Industriefamilie. Wie kam der Sohn zur Literatur?„Das ist eine sehr gute Frage, denn die ganze Familie war ja technologisch orientiert nach dem Großvater, der bei Edison in den Vereinigten Staaten gearbeitet hat. Meine Theorie ist, dass seine Mutter daran schuld war. Sie, Elisabeth Winternitz, hat zunächst Germanistik und Slawistik studiert, später hat sie nach ihrer Scheidung auch Medizin studiert. Ich glaube, dass er in ihrem Schatten und vor allem mit ihrer Bibliothek aufgewachsen ist.“
Kolben war auch eine jüdische Familie. Sie haben erwähnt, dass Sie ihn schon im Krieg kennengelernt haben. Vorhin sprachen Sie über einen gewissen Schutz, den die Familie genoss. Warum war das so?
„Das war so, weil die Protektoratsregierung versucht hat, gewisse Familien, die Verdienste um die kulturelle oder soziale Entwicklung der Nation hatten, vor den Judengesetzten zu bewahren. Nur war die Situation völlig labil, weil die deutsche Verwaltung immer eingegriffen hat und man nie genau wusste, ob der Schutz der Protektoratsregierung auch genügte. Aber ich glaube in diesem Fall hat er lange Zeit vorgehalten und das Ganze brach erst zusammen als Heydrich als neuer Reichsprotektor oder Stellvertreter nach Prag kam und seine harten Gesetze gegen alle Ausnahmen und gegen allen Schutz durch die Protektoratsregierung durchsetzte.“
Wie musste man sich das denn vorstellen bevor Heydrich kam? War es eine Art Versteckspiel oder eher ein offenes Geheimnis?„Es war beides: ein Versteckspiel und ein offenes Geheimnis. Und ich konnte mir, nachdem ich das nur von Außen sehen konnte, eigentlich nie erklären, wie das funktionierte. Da waren einerseits schon die Angehörigen der jüdischen Kultusgemeinde mit dem Judenstern, meine Mutter zum Beispiel musste den Judenstern tragen, und andererseits war da eine Familie, wo alles noch beim Alten war oder zuging. Es war eine geräumige Villa mit einer Köchin, einem gelegentlichen Chauffeur aus dem alten Betrieb und einer französischen Hauslehrerin, die noch kam. Mir schien es wie ein Wunder zu sein, dass ich mir kaum erklären konnte.“
Und trotzdem ist Kolben dann ins KZ gekommen. Was ist passiert?„Er wurde denunziert durch einen Mitschüler aus der deutschen Schule, der ihn in der elektrischen Straßenbahn erkannte – und zwar ohne Judenstern. Der denunzierte ihn dann bei der Gestapo und das fiel genau in die Tage, als Heydrich in Prag auftauchte und das Kommando übernahm. Das Verhängnis war die Synchronie, denn der Großvater war immer noch der Ansicht, die Protektoratspolizei würde den H. W. aus der Haft herausholen, weil sie unter besonderem Schutz standen. Aber es war zu spät.“
Wo würden Sie als Wissenschaftler Kolbens Werk einordnen und was würden Sie zu seiner Bedeutung sagen?„Als Wissenschaftler kann ich da nicht sprechen, weil ich ihn zu genau kannte und er war mein Freund. Aber ich würde sagen, er ist einer der letzten deutschen Dichter Prags. Und dazu müsste man dann sagen woher er kommt und wie seine Gedichte zustande kamen. Man müsste, deshalb habe ich heute die Germanisten besonders angesprochen, endlich auch hier in Prag seine Gedichte analysieren und in die Tradition der deutschen Lyrik einordnen.“
Er ist ja im heutigen Ústí nad Labem, im damaligen Aussig geboren. Dort gibt es auch eine Germanistik, haben Sie dorthin Kontakte?
Zum Schluss noch die Frage: Die Gedichte sind jetzt 2011 erschienen – warum hat es so lange gedauert sie zu publizieren?
„Weil es im Grunde kein systematisches Interesse für die deutsche Lyrik in Prag gab. Es gab natürlich klassische Darstellungen, aber die blickten alle auf Rilke zurück. Natürlich gab es auch Darstellungen bei H. G. Adler über Theresienstadt, in denen auch H. W. genannt wird. Aber damit blieb die Zeit gleichsam stehen. Jetzt liegen die Gedichte vor und es wäre eine Gelegenheit, sie genauer zu analysieren und einzuordnen.“
Vielen Dank Herr Professor Demetz für das Interview. Hoffen wir, dass die Herausgabe der Gedichte auch ein Erfolg wird und vielleicht zu neuen Forschungen anregen wird.„Hoffen wir das Beste!“