Völkerverständigung lokal - Bosch-Lektoren in Tschechien und anderswo
Auf den Tag genau 15 Jahre sind heute vergangen, seit am 9. November 1989 die Mauer fiel, die Deutschland 40 Jahre lang geteilt hatte. Kurz darauf sprach Willy Brandt seine berühmt gewordenen Worte "Jetzt muss zusammenwachsen, was zusammengehört." Mitten im Freudentaumel erinnerte Brandt damit daran, dass ein langer Weg zu gehen ist, um nach Jahrzehnten der Trennung wieder zusammenzufinden. Was den Deutschen in ihrem eigenen Land bis heute schwer fällt, gilt ebenso aber auch für die historisch belasteten Beziehungen zu Deutschlands östlichen Nachbarn. Zahlreiche Initiativen bemühen sich, Brücken der Verständigung zu schlagen und auszubauen. Eine davon, das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung, stellt Ihnen Thomas Kirschner in der heutigen Ausgabe von Forum Gesellschaft vor.
Robert Bosch ist einer der großen Unternehmerpatriarchen der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Als er 1942 80jährig starb, hatte er aus geringsten Anfängen ein Weltunternehmen aufgebaut, das nicht zuletzt auch durch seine sozialen Ansätze hervorstach. Um sein Lebenswerk zu sichern, verfügte Bosch testamentarisch, dass das Unternehmen in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht wird - die heutige Robert Bosch Stiftung, die 92 Prozent der Anteile an der Bosch GmbH hält. Als Stiftungsziele legte Bosch selbst - mitten im Zweiten Weltkrieg - unter anderem die Förderung der Völkerverständigung fest. Vor zehn Jahren entstand auf dieser Grundlage das Lektorenprogramm der Stiftung: Junge deutsche Hochschulabsolventen erhalten die Möglichkeit, für ein bis zwei Jahre an mittel- und osteuropäischen Universitäten zu unterrichten. Das Ziel: Einen Beitrag zum Zusammenwachsen Europas zu leisten durch Austausch und gegenseitiges Kennenlernen. Für die Robert Bosch Stiftung ist es seit Jahren eines ihrer wichtigsten Engagements, wie Dr. Joachim Rogall, der Leiter des zuständigen Programmbereichs, erläutert.
"Das Lektorenprogramm ist das größte Einzelprogramm der Bosch Stiftung, und es ist inzwischen, wie wir finden, zu einem Markenzeichen, zu einer Art Visitenkarte der Bosch Stiftung geworden. Wir glauben, dass wir damit ein sehr gutes Modell geschaffen haben, wie man auswärtige Sprach- und Kulturpolitik betreiben kann - nicht sehr aufwändig, aber mit einem sehr sehr guten Ergebnis."
Von Pilsen bis Novosibirsk gibt es derzeit rund 100 Bosch-Lektoren in Mittel- und Osteuropa, davon fünf in Tschechien. Vor allem an den entfernteren Einsatzorten sind sie nicht selten die einzige Verbindung der dortigen Studenten nach Deutschland, während zugleich die Lektoren selbst durch die Erfahrungen der Lektoratszeit daheim zu einem dauerhaften Botschafter ihres Gastlandes werden. Der Vorsitzende des Kuratoriums der Robert Bosch Stiftung, Dr. Heiner Gutberlet, begleitet das Lektorenprogramm schon viele Jahre.
"Ich bin immer wieder stark beeindruckt davon, wie diese jungen Menschen eine solche durchaus schwierige Aufgabe in einem schwierigen Umfeld bewältigen, mit welchem Engagement sie an diese Aufgabe herangehen und wie sie trotz mancher Schwierigkeiten doch zum Ausdruck bringen, dass es bislang ihre schönsten zwei Jahre gewesen seien."
Vor einer solchen Schlussbilanz steht jedoch bei allen Lektoren der Schritt ins Gastland. Man muss meist gar nicht bis in die fernen Provinzen Russlands vorstoßen, um die weißen Flecken der inneren Landkarte zu erreichen. Oft reicht schon der Schritt über die nächstgelegene Grenze. Das jedenfalls hat Annette Krieger erfahren, die im vergangenen Jahr Lektorin im nordböhmischen Liberec / Reichenberg war.
"Erstmal war es so, dass die meisten, die mich gefragt haben, wo ich hingehe, gesagt haben "Ach ja: Prag!", wenn ich Tschechien gesagt habe. Und wenn ich dann gesagt habe "Nein - nicht Prag, sondern Liberec", dann war erstmal großes Unverständnis, dass es da überhaupt etwas anderes gibt als Prag. Und was es da anderes gibt, das wusste ich auch nicht wirklich, aber ich habe festgestellt, dass es wirklich anders ist als Prag. Und jetzt habe ich einfach ein genaueres Bild als vorher."
Aufgabe der Bosch-Lektoren ist vor allem der Unterricht, mit dem die örtliche Universität unterstützt werden soll. Ein weiterer Schwerpunkt ist jedoch die Projektarbeit: Klassische Unterrichtsformen sollen dabei durchbrochen werden um die Studenten, nicht selten in länderübergreifender Zusammenarbeit, zu mehr Eigeninitiative anzuleiten. Für die jungen Lektoren und Lektorinnen bietet sich ein breiter Erfahrungsraum, von dem viele auch in späteren Tätigkeiten profitieren. So etwa Julia Lorenz, von 2000 bis 2002 Lektorin im schlesischen Karvina, unweit der polnischen Grenze. Heute ist sie Grundschullehrerin und konnte sich vieles von dem, was sie heute braucht, im Lektorat aneignen.
"Also insgesamt waren diese zwei Jahre, und das merke ich immer wieder, zwei der schönsten Jahre, die ich hatte. Das war ein wunderschönes Leben; man hatte viele Freiheiten, man konnte sich ganz toll selbst ausprobieren - gerade in dem Lehrberuf, in dem ich ja jetzt auch noch arbeite. Man hatte dieses Zutrauen, dass man selbst etwas ausprobieren darf. Ich habe sehr viel davon mitgenommen für das Referendariat."
Das Lektorenprogramm wendet sich an junge deutsche Hochschulabsolventen, ein komplementäres Programm gibt es bei der Robert Bosch Stiftung jedoch auch für junge Mittel- und Osteuropäer, die als sogenannte Tutoren nach Deutschland gehen, um dort ihre Sprache zu unterrichten. Eine davon ist die Brünnerin Pavlina Dufkova, die auch nach Ende ihres Tutorates in Heidelberg geblieben ist. Dort stellt sie derzeit als Kulturmanager-Stipendiatin der Bosch Stiftung die tschechische Kulturszene vor - eine Bereicherung für beide Seiten, die ohne finanzielle Förderung nicht denkbar wäre.
"Dieses neue Kulturmanager-Programm und auch das Tutorenprogramm haben mir sehr viel Freiheit gegeben. Ich habe die Möglichkeit, verschiedene Veranstaltungen und Projekte zu organisieren und vorzubereiten, und wenn ich ganz normal in Tschechien arbeiten würde, hätte ich solche Möglichkeiten nicht oder vielleicht erst viel später. Aber ich denke, genauso geht es den Deutschen, die im Rahmen des Bosch-Lektorenprogrammes in Mittel- und Osteuropa sind."
Das Lektorenprogramm zur Förderung von Kulturaustausch und Völkerverständigung zwischen Deutschland und den Ländern Mittel- und Osteuropas läuft derzeit im elften Jahr - ein sehr langer Zeitraum für eine Stiftung, die ihre Programme immer wieder erneuert. Ist vielleicht der EU-Beitritt vom Mai ein Anlass, das Programm in Tschechien langsam auslaufen zu lassen? Joachim Rogall, der Leiter des zuständigen Programmbereichs, verneint nachdrücklich,
"denn wenn Sie den Auftrag, den wir haben, Völkerverständigung, ernst nehmen, dann ist, glaube ich, unbestritten, dass es da zwischen Deutschland und Tschechien auch in Zukunft noch Bedarf gibt. Grundsätzlich halte ich von unseren unmittelbaren Nachbarn im Osten die Verhältnisse zu Polen für schon besser als die zu Tschechien, und die Stiftung hat den Auftrag, etwas zur Verbesserung dieser Beziehungen beizutragen."
Die Arbeit ist noch nicht abgeschlossen, die Richtung aber stimmt, da ist sich Rogall nach zehn Programmjahren sicher: Junge Leute aus Deutschland sowie Mittel- und Osteuropa in Kontakt miteinander bringen, um sie in ihrer Heimat zum Fürsprecher des jeweils anderen zu machen.
"Ich glaube, die Bilanz ist, dass es richtig ist, in Personen zu investieren. Alle, die hier teilgenommen haben und die wir auch später wiedertreffen, sagen, dass es ganz prägende und entscheidende Jahre ihres Lebens waren. Wir können, glaube ich, auf die Bilanz mit diesem Programm, mit dieser großen Lobby, die wir für Mittel- und Osteuropa gewonnen haben, stolz sein."
Dass dies keine leeren Worte sind, zeigt das Beispiel von Julia Lorenz aus Aachen, für die zwei Jahre nach ihrem Lektorat im schlesischen Karvina ein Stück Europa, das zusammengehört, auch zusammengerückt ist.
"Und deswegen ist mir Tschechien total ans Herz gewachsen, die Sprache ist mir total ans Herz gewachsen, die Menschen, die ich da kennen gelernt habe, sind mir total ans Herz gewachsen - und wenn ich jetzt dort bin, ist es einfach schön, es ist ein Stück von zu Hause."