Von der Privatwohnung in die Öffentlichkeit: Gender studies in Tschechien

Me parecen un poco fríos los checos

Im Unterschied zu vielen westlichen Institutionen dieser Art hat es in den 15 Jahren seiner Existenz keinerlei staatliche Unterstützung unterhalten - das Prager Institut für Gender studies. In einer Privatwohnung haben sich seine Gründerinnen Anfang der 90er Jahre zusammengesetzt und beschlossen, gender Fragen in die tschechische Öffentlichkeit zu tragen. Eine von ihnen war Pavla Frydlova. Über Frauen und Frauenthemen in Tschechien, damals und heute, hat sich Silja Schultheis mit ihr unterhalten.

Frau Frydlova, wir sitzen hier in einem Kabinett voller Literatur zur Gender-Thematik, das sieht nach jahrelanger Sammeltätigkeit aus. Wann ist eigentlich Ihr Institut gegründet worden?

"Gender studies wurden 1991 gegründet, in der Wohnung der tschechischen Soziologin Jirina Siklova. Und seit dieser Zeit sammeln wir fleißig Bücher, Zeitschriften und verschiedene Curricula zu Gender-Themen. Heute haben wir fast 6000 Bücher und sehr viele verschiedene Zeitungen und Zeitschriften, hauptsächlich in Englisch, Deutsch und Tschechisch. Wir sind stolz, dass wir heute die größte Gender orientierte Bibliothek in Mittel- und Osteuropa sind."

1991 - das war kurz nach der politischen Wende. Damals hat Feminismus hier eine ganz andere Bedeutung gehabt als z.B. in Westeuropa...

"Es war wirklich so, dass vom Feminismus der Westfrauen in Theorie und Praxis hier in den 1980er Jahren fast nichts bekannt war. Und wir waren natürlich neugierig. Wir wollten ein bisschen mehr über verschiedene Feminismus-Theorien, über verschiedene Wege wissen, denn es gibt ja nicht nur einen Feminismus. Und wir wollten natürlich auch ein solches Fach - Gender studies - an die Uni bringen. Das war unser erstes Ziel, gleich zu Beginn der 1990er Jahre."

Seit wann gibt es dieses Fach an der Uni?"

Jirina Siklová
"Wir haben Mitte der 1990er Jahre zunächst angefangen, Vorträge an den Unis zu halten. Aber als richtiges Fach gibt es das, glaube ich, seit 1996 oder 1997."

Was hat sich in den letzten 15 Jahren, seit es Ihr Institut gibt, verändert - was das Verhältnis der tschechischen Gesellschaft zur Gender-Thematik anbelangt?

"Vor 15 Jahren wusste fast niemand, was das bedeutet und es war praktisch keine Frage über dieses Thema in der Öffentlichkeit möglich. Heute gibt es diese öffentliche Diskussion im Fernsehen und in anderen Medien."

Ihr Institut arbeitet mit Gender-Organisationen in vielen anderen Ländern zusammen. Wie würden Sie im internationalen Vergleich die Bedingungen für Frauen in Tschechien beschreiben?

"Ich glaube, hier gibt es zwei markante Punkte: Viele Frauen in Tschechien sind beschäftigt, wir haben eine der größten Beschäftigungsquote von Frauen in Europa. Auf der anderen Seite gibt es in der privaten Sphäre noch einen sehr starken Einfluss der traditionellen patriarchalischen Beziehungen. Diese Stereotypen- das passt zu Mädchen, das passt zu Jungen - sind leider hier noch sehr, sehr stark."

Sie betreuen hier im Institut ein Projekt - und sind auch internationale Koordinatorin dafür - ein Projekt, das man als "Frauengedächtnis" übersetzen könnte. Das ist ein Oral history Projekt, in dem Sie Frauen aus drei verschiedenen Generationen, die zwischen 1920 und 1960 geboren wurden, zu Wort kommen lassen...

"Wir haben Interviews mit Frauen aus drei Generationen gesammelt: Wie haben Sie damals gelebt, wie waren ihre Erfahrungen mit der Emanzipation, bei der Arbeit, zuhause usf. Wir wollten, dass dieses Projekt einen internationalen Vergleich bietet und so haben wir angefangen, Kontakt zu Kolleginnen in unseren Nachbarländern aufzunehmen. Und heute gibt es eine große Sammlung, etwa 500 lange Interviews, das sind Tausende und Tausende Seiten."

Ich habe auf Ihrer Webseite gelesen, dass ein Ziel Ihres Projektes sein soll, den Mythos der sozialistischen Frau zu widerlegen. Können Sie das etwas erklären: Worin besteht dieser Mythos - und was ist falsch daran?

"Wenn wir in Zeitungen von damals blättern, können wir verschiedene Fotos von Frauen sehen, die Traktoristinnen oder Kranfahrerinnen sind. Heute können wir darüber lachen, über dieses Bild der gleichen Stellung von Männern und Frauen. Aber es war nicht nur ein Muss für die Frauen, in den Betrieben dieselbe Arbeit zu machen wie Männern. Sie wollten das auch."

Wie war das eigentlich hier im Sozialismus für die Frauen, wenn Sie das vergleichen mit der Situation in anderen sozialistischen Ländern?

"Die hohe Beschäftigung von Frauen war etwas Spezifisches für Tschechien - etwa im Unterschied zu Polen oder Ungarn. Vielleicht noch etwas Besonderes, was vielleicht nicht unbedingt mit dem Sozialismus zusammen hängt, sondern mit der tschechischen Geschichte und der tschechischen Emanzipation als Nation. Die tschechischen Frauen wollten immer die höchst mögliche Bildung haben. Die Rolle von Bildung hier war schon etwas sehr Spezifisches - im Unterschied z.B. zum ehemaligen Ostdeutschland."

Wo sehen Sie heute am meisten Verbesserungsbedarf, was die Situation von Frauen in Tschechien anbelangt?

"Das ist der ganze Komplex Familie und Kinder, die Stellung der Familie in der Gesellschaft. Junge Frauen, die Mütter sind oder Mütter werden, haben eine sehr schlechte Position auf dem Arbeitsmarkt. Die Arbeitslosenquote von 25-35jährigen Frauen ist die höchste. Dafür muss die ganze Gesellschaft etwas machen und das ändern. Denn sonst werden die Frauen quasi für ihre Kinder bestraft. Das ist das Problem. Es gibt hier keine Stelle, wie in Deutschland etwas das Ministerium für Familie und Frauen, so etwas gibt es hier nicht."

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