Von Koupadlo bis Kračun: Rückbesinnung auf das slawische Heidentum in Tschechien

Gott der Unterwelt und der Erde Veles

Perun, Svantovit, Jarilo oder Veles – die Namen der alten slawischen Götter sind heute nur noch wenigen Tschechen bekannt. Die alten Slawen selbst haben kaum eigene schriftliche Zeugnisse hinterlassen. Zudem haben die christlichen Missionare alles getan, um die Spuren heidnischen Glaubens zu verwischen. Dennoch haben sich in der Folklore viele Bräuche gehalten. In Tschechien und weiteren Ländern gibt es seit einiger Zeit auch Bemühungen, den alten Glauben wiederzubeleben.

Perun
Seit dem neunten Jahrhundert hielt das Christentum Einzug bei den Böhmen und Mähren. Für die Menschen bedeutete dies einen großen Umbruch. So mussten sie sich von den alten Göttern lossagen und durften nur noch zu dem einen, christlichen Gott beten. Doch ganz gerieten Perun, Veles oder Jarilo nicht in Vergessenheit. Und noch weniger die zahlreichen Geister, Hexen und Dämonen, die den Alltag der alten Slawen bestimmten. Dies weiß auch Jiří Mačuda vom Südböhmischen Museum in Znojmo / Znaim. Er setzt sich mit den alten Gebräuchen auseinander:

„Es ist nicht so, dass eine Missionierung der Fürsten bedeutete, dass auch das Volk christianisiert wurde. Vor allem, da sich das Volk den Glauben nicht wirklich aussuchen konnte und oft mit Gewalt zur Taufe gezwungen wurde. Die einfachen Menschen ließen sich immer eine Hintertür offen und wandten sich an ihre alten Götter. Auch wenn die ursprünglichen Namen mit der Zeit verloren gingen, haben sich diese Gottheiten in den christlichen Heiligen erhalten. Niemand bestreitet heute in der Wissenschaft, dass es diesen Doppelglauben gegeben hat und immer noch gibt. Unsere heutige Religiosität ist immer synkritisch und beinhaltet Elemente sowohl des alten Volksglaubens, als auch des Christentums.“

Gott der Unterwelt und der Erde Veles
Zahlreiche Gottheiten wurden so zu christlichen Heiligen umgewertet und blieben unbewusst in der Erinnerung der Menschen. Der slawische Donnergott Perun wurde zum heiligen Elias oder Ilija, der Fruchtbarkeitsgott Jarilo zum heiligen Georg und der Gott der Unterwelt und der Erde Veles zum Teufel.

Weiterleben der alten Götter in der Folklore

Was aber gänzlich unberührt geblieben ist, sind die Figuren außerhalb des slawischen Pantheons. Denn ein wichtiger Bestandteil des Lebens der alten Slawen war nicht unbedingt die Anbetung der hohen Gottheiten, sondern die Magie des Alltags. Der Aberglaube spielt bei den Slawen nach wie vor eine große Rolle. Aber auch an den hohen christlichen Festtagen finden sich immer wieder Elemente des Volksglaubens. An Ostern hat sich so der Brauch erhalten, kleine Teigvögel zu backen und im Dorf zu verteilen. Jiří Mačuda:

Jiří Mačuda  (Foto: Daniela Vrbová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
„Die Vögelchen aus Teig waren immer schon ein Symbol des Frühlings, und das auf dem ganzen Gebiet der Slawen. Vor allem aus der alten Kiewer Rus haben sich schöne Bräuche erhalten. Kinder laufen dort seit jeher mit diesen Vögeln durch das Dorf und werfen sie über die Dächer. Sie rufen die Vögel an, herbeizufliegen, den Frühling mitzubringen und den Winter endlich zu beenden.“

Auch das Osterlamm hat einen ähnlichen Ursprung. Es ist zwar noch relativ jung – erst Anfang des 20. Jahrhunderts ist es in Mode gekommen –, erinnert aber doch an die ferne Vergangenheit. Es symbolisiert das Tieropfer, das auch die alten Slawen ihren Göttern erbracht haben.

Morena  (Foto: Jana Bendová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Der moderne Mensch hat sich jedoch laut Jiří Mačuda weit von seinen Ursprüngen entfernt. Die Vorfahren waren viel enger mit ihrer Umwelt verbunden, als wir heute. Das äußerte sich unter anderem in ihrem Jahresablauf. Sie begriffen das Jahr als Kreis und nicht als Linie, wie es heute üblich ist. Jiří Mačuda:

„Am ersten Januar beginnt immer das konventionelle neue Jahr, wie es Julius Caesar festgelegt hat. Eigentlich war es schlicht der Beginn des neuen Senatsjahres in Rom. Aber auch zu dieser Zeit schon feierten die alten Römer das neue Jahr am Frühlingsanfang. Was auch logisch ist: Mit dem Anfang des Frühlings endet alles Alte und beginnt alles Neue. Aus diesem Grund verbrannten und verbrennen die Menschen hierzulande alte Figuren wie die Morena oder misten ihre Häuser aus. Auch hat man sich gerade zum neuen Jahr alle Sünden vergeben, die sich im alten Jahr angehäuft haben.“

Ethnische Religionen: Wiederkehr des alten Glaubens

„Slawische Epos“  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks - Radio Prag)
Doch nicht nur in der Folklore lebt der Glaube der alten Slaven noch weiter und ist damit unbewusst einer breiten Masse an Menschen bekannt. Vor allem seit der Romantik zieht die slawische Mythologie die Menschen magisch an in der nationalen Selbstfindung. In dieser Zeit sind zum Beispiel auch die Königinhofer oder Grünberger Handschriften entstanden. Václav Hanka und Josef Linda schufen in diesen epischen Dichtungen eine ganz eigene tschechisch-slawische Mythologie. Die wohl monumentalste Hommage an die slawische Götterwelt ist jedoch das „Slawische Epos“ des Jugendstil-Malers Alfons Mucha.

Slovanský kruh  (Foto: Offizielle Webseite des Vereins)
Auch heute ist das Interesse an den Mythen und Bräuchen der slawischen Vorfahren groß. Es findet sich vor allem in der Bewegung ethnischer Religionen wieder, die in Tschechien das heidnische Slawentum neu entdecken. Der Glaube der Vorväter soll dabei das Christentum und seine Traditionen ersetzen.

Organisiert sind die Anhänger des Volksglaubens dezentral in zahlreichen Kreisen und Verbänden. Ihr Ziel ist es, insgesamt die vorchristlichen Riten und Zeremonien wiederzubeleben. Der wohl älteste Verein ist die in Tschechien offiziell als Bürgerinitiative registrierte Rodná víra. Zdeněk Ordelt beschäftigt sich ebenfalls schon lange mit den alten Bräuchen und ist Mitglied des sogenannten Slovanský kruh, eines Vereins, der seit rund zwei Jahren existiert:

Zdeněk Ordelt  (Foto: YouTube Kanal Cestyksobe)
„Meine Arbeit hat lange so ausgesehen, dass ich zunächst alte und historische Texte studiert habe. Auch die Kommunikation mit Experten, vor allem aus dem Bereich der Religionswissenschaft, gehörte dazu. Das Ziel war, den slawischen Glauben richtig ausüben zu können. Nach meinen Nachforschungen bin ich mit Gleichgesinnten schließlich auch zur Praxis übergegangen: der tatsächlichen Durchführung alter Rituale.“

Der Slovanský kruh hat insgesamt acht Zeremonien in das Hier und Jetzt überführen können. Diese richten sich nach dem Jahreskreis, der den Ereignissen in Natur und Landwirtschaft folgt. Das bedeutet einerseits die Deutung der Gestirne bei den Feiern zur Sommer- und Wintersonnwende, Koupadla und Kračun. Aber auch ganz irdische Angelegenheiten finden sich in den Riten, wie bei dem Erntefest Žně. Den Mitgliedern des Slovanský kruh ist dabei besonders wichtig, dass die Feiertage und Zeremonien auch tatsächlich ursprünglich slawisch sind und nicht synkritisch wie in der gängigen Folklore.

Foto: Public Domain
Dennoch sieht Zdeněk Ordelt den alten Volksglauben fortwährend im Wandel. Noch ist die Erneuerung nicht abgeschlossen, und auch zu einem tatsächlich verbreiteten Volksglauben ist es noch weit. In ganz Tschechien bekennen sich gerade einmal rund 870 Menschen zum altslawischen Heidentum:

„Vor uns liegt noch ein großes Stück Arbeit, die wir in unserem Kreis gemeinsam bewältigen müssen. Aktiv beteiligen sich noch wenige Menschen an der Sache, und vor allen steht ein großer Lernprozess. Den Weg zu unserer ursprünglichen Spiritualität zu finden, ist an sich eine große Aufgabe. Wir sind aber immerhin genug Leute, um diese zu bewältigen.“

Slovanský kruh  (Foto: Offizielle Facebook-Seite von Slovanský kruh)
Die Wiederbesinnung auf die vorchristlichen Traditionen ist bei weitem kein rein tschechischer oder slawischer Trend. In den 1990er Jahren hat sich der Europäische Kongress ethnischer Religionen (Ecer) gegründet, der diesen Sommer in Prag getagt hat. Er soll eine Plattform sein für neuheidnische Bewegungen und will sich für die vorchristliche und traditionelle Spiritualität in Europa einsetzen. Der Kongress begreift sich dabei als rein geistliche Institution, die auch die Vereinnahmung durch nationalistische Kreise ablehnt. Ähnlich ausgerichtet sind die tschechischen Organisationen wie Rodná víra. Tschechien ist beim Ecer auch durch den Slovanský kruh von Zdeněk Ordelt vertreten.

Heidentum als Ausweg aus der Krise

Ivan Štampach  (Foto: Kristýna Maková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks,  Radio Prag)
Woher kommt aber das Bedürfnis, sich den vorchristlichen Religionen hinzuwenden? Vor allem in unserer Zeit sei dies logisch, sagt der Religionswissenschaftler Ivan Stampach:

„Kulturell ist unser Leben durch die Bibel, die antiken Traditionen aber auch die Aufklärung geprägt. Daraus sind Phänomene wie die Wissenschaft, später die Marktwirtschaft und die uns jetzt bekannte Demokratie entstanden. Wie wir aber wissen, befindet sich unser Kulturraum zurzeit auch in einer tiefen Krise. Den Weg aus dieser Krise suchen manche in einer neuen Spiritualität. Auch die Besinnung auf das Alte und Vorchristliche ist da eine mögliche Alternative.“