Von Queues, Kugeln und Taschen: Billard hat in Tschechien wieder Einzug gehalten

Foto: Kristýna Maková

Vor 20 Jahren öffnete sich für die Tschechen die Welt, und umgekehrt öffnete sich das Land der Tschechen für die Welt. Seither haben die Menschen bei der Gestaltung ihres Lebens mehr Wahlmöglichkeiten als zuvor. Das ist auch bei Freizeitgestaltung und Sport der Fall. Neue Sportarten haben sich etabliert, die früher hierzulande kaum gepflegt wurden. Eine davon ist Billard. Es wird heute in Tschechien nicht mehr nur als geselliger Zeitvertreib in Hinterzimmern von bürgerlichen Kaffeehäusern verstanden. Die neuen Klubs betreiben es vielmehr als Sportdisziplin – mit Wettbewerben und Ligen. Das heutige Forum Gesellschaft berichtet über einen dieser neuen Billardklubs.

Foto: Kristýna Maková
Die Geschichte des Billardklubs der mittelböhmischen Kleinstadt Benátky nad Jizerou ist kurz.

„Die erste Partie in der Geschichte unseres Klubs wurde am 11. Oktober 1998 ausgetragen. Wir sind damals gegen Spieler aus Lipník angetreten. Das ist ein Dorf ein paar Kilometer östlich von Benátky. Bei diesem Treffen haben wir elf zu sieben gewonnnen“, erinnert sich Jindřich Drozda, der zu den Gründungsmitgliedern des Billardklubs Benátky gehört.

Der Verein wurde 1998 von einer Handvoll Spielern ins Leben gerufen, heute zählt er an die 30 aktive Mitglieder. Vorsitzender ist Radovan Kováč.

„Die Variante, die wir in unserem Klub spielen, das so genannte `Poolbillard`, ist erst nach der Samtenen Revolution nach Tschechien gelangt. In größerem Umfang hat es sich dann ab 1994 oder 1995 entwickelt, als überall die Poolbillard-Tische mit den Löchern auftauchten und die ersten Wettbewerbe organisiert wurden.“

Radovan Kováč  (Foto: Autorin)
Vor der Wende seien Poolbillard-Tische, so Kováč, einfach nicht zugänglich gewesen. Warum das so war, darüber stellen die Spieler verschiedene Vermutungen an: Früher seien eben mehr die Bewegungssportarten unterstützt worden. Außerdem sei Billard, ähnlich wie Tennis, als bürgerliche Sportart stigmatisiert gewesen. Oder es sei vielleicht nicht unterstützt worden, weil es mit dem Westen assoziiert wurde.

Doch die verschiedenen Varianten des Billards sind hierzulande durchaus schon einmal heimisch gewesen: während der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Am meisten wurde damals Karambolage gespielt. Karambolage ist ein Präzisionsspiel, das mit nur drei Kugeln auf Tischen ohne Löcher betrieben wird. Die Kugeln müssen mit dem Billardstock so angestoßen werden, dass eine die andere in Bewegung setzt. Bei Karambolage bildete sich am Beginn des vergangenen Jahrhunderts sogar eine nationale Kuriosität heraus, weiß Radovan Kováč:

„Man erzählt sich hier, dass einmal ein tschechischer Spaßvogel, so ein Schwejk, bei einer Partie eine vierte Kugel auf den Tisch legte. Und so hat es sich dann eingebürgert. Überall auf der Welt spielt man Karambolage mit drei Kugeln. Nur in Tschechien spielen es die Amateure bis heute mit vier Kugeln.“

Seit der Wende ist nun Poolbillard die beliebteste Spielart. Beim Poolbillard wird mit einem Stab, dem Queue, ein weißer Spielball angestoßen, der wiederum farbige Objektbälle ins Rollen bringen und in eine der sechs Löcher, im Fachjargon „Taschen“ genannt, befördern soll. Gespielt wird mit acht oder mehr Kugeln. Weit weniger beliebt als Poolbillard ist die schwierigere Spielart Snooker. Unter den Amateurspielern ist nach wie vor Karambolage am weitesten verbreitet. Die Anfänge des Billards nach der Wende waren mühsam. Die Ausstattung der Spielhallen musste oft von weither beschafft werden, es gab nur wenige Lieferanten. Über die Regeln herrschte Unklarheit.

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„Unter den Spielern waren damals verschiedene Versionen im Umlauf. Und wenn zwei Spieler aus verschiedenen Orten zusammentrafen, mussten sie zuerst unter sich ausmachen, nach welchen Regeln gespielt werden soll. Es gab keine einheitlichen Regeln, oder besser gesagt, es kannte sie keiner“, erklärt Klubmitglied Drozda.

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Doch mittlerweile ist Billard eine etablierte Sportart. Es gibt rund 130 Klubs mit professionell ausgestatteten Spielhallen in ganz Tschechien. Seit Mitte der 90er Jahre kümmert sich der Tschechisch-mährische Billardverband darum, die internationalen Standards durchzusetzen. Der Verband ist es auch, der die Wettbewerbe auf der Kreis- und Landesebene organisiert. Die gibt es landauf, landab zuhauf. Die meisten sind Team-Wettbewerbe, bei denen nicht Einzelspieler, sondern Gruppen von Spielern miteinander wetteifern.

Die Tschechen seien eben wettkampffreudig, erklären dieses Phänomen die Spieler des Billardklubs Benátky. Beim Billard kann man sich aber auch entspannen, und es entstehen Freundschaften. Nicht zuletzt zieht die Spieler der elitäre Anspruch des Billards an. Der Klubvorsitzende Radovan Kováč:

„Bei den Turnieren ist eine bestimmte Kleidung verpflichtend. Beim Dresscode A müssen die Spieler ein weißes Hemd, eine Fliege, eine Weste und eine schwarze Hose tragen. Der Dresscode B ist etwas lockerer, er ist auf die jüngere Generation abgestimmt.“

Außerdem gilt bei den Turnieren ein striktes Alkohol- und Rauchverbot, was die Disziplin der Spieler fördere. Etwa ein Zehntel der Billardspieler Tschechiens sind Frauen, wie diese junge Spielerin:

„Ich fühle mich beim Billardspielen sehr wohl. Manchmal schlage ich meinen Gegner, das ist ein erhebendes Gefühl. Zum Billard bin ich während meiner Mittelschulzeit gekommen. Ich war schon damals mit meinem Freund zusammen, der Billard spielte. Also blieb mir nichts anderes übrig, als auch damit anzufangen, denn sonst hätten wir uns überhaupt nicht gesehen. Ich habe große Ambitionen. In Tschechien ist es recht einfach, an die Spitze zu gelangen, denn Billard spielen hier nur wenige Frauen.“

Veronika Hubrtová  (Foto: ČTK)
Manchen Frauen ist das schon gelungen. Dies erläutert Vladimír Urban – ein Gründungsmitglied des Klubs in Benátky - an einem Beispiel:

„Vor kurzem hat die tschechische Spielerin Veronika Hubrtová bei der Europameisterschaft in Österreich eine Bronze- und eine Silbermedaille gewonnen.“

Vladimír Urbans Sohn Petr  (Foto: Autorin)
Veronika Hubrtová ist 21 Jahre jung. Die meisten Spieler des Billardklubs Benátky sind dagegen im mittleren Alter. Sie sorgen sich um den Nachwuchs. Vor ein paar Jahren hat der Klub in Benátky daher zehn Jugendliche angeworben und sie regelmäßig trainiert. Doch nur wenige Junioren sind beim Queue geblieben. Die meisten sprangen bald wieder ab. Die Jugendlichen hätten einfach jede Menge anderer Möglichkeiten, wie Fußball oder Eishockey, und seien schwer zu motivieren, findet Gründungsmitglied Vladimír Urban.

Zwei Junioren sind immerhin dabei geblieben. Der Klub rechnet sich das hoch an, zumal es beide bis zur Teilnahme an der Europameisterschaft gebracht haben. Einer der Nachwuchsspieler ist Vladimír Urbans Sohn Petr.

„Mein Vater hat mich einmal in den Klub mitgenommen, und es hat mich gleich erwischt. Ich habe also zu spielen begonnen, anfangs zwar unregelmäßig, aber bald schon bin ich zu Turnieren nach Prag gefahren. Bei meiner ersten Landesmeisterschaft hatte ich keinen Erfolg. Ich spielte in den Kategorien der Kadetten und Junioren. Aber in den folgenden Jahren habe ich dann Punkte gemacht, und mittlerweile habe ich zehn Juniorentitel in der Tasche.“

Früh übt sich, was ein Meister werden will. Mit zehn Jahren begann Petr Urban schon. Dieses Jahr durfte er zum letzten Mal an der Europameisterschaft der Junioren teilnehmen. Nächstes Jahr warten neue Herausforderungen auf ihn, denn dann muss er sich schon in der Liga der Erwachsenen bewähren.

Es sei schade, dass das Billard in Tschechien so wenige Sponsoren habe, findet der Jungstar des Billardklubs Benátky. Noch immer hafte dem Sport das Image an, ein Wirtshausvergnügen zu sein. Dabei gehöre schon einiges dazu, um gut zu spielen.