Vorschau Wahlen 2002

Tschechisches Abgeordnetenhaus

Bringen die Parlamentswahlen vom Frühsommer den politischen Generationenwechsel, von dem schon so lange gesprochen wird, und kehrt Tschechien zu einer Mehrheitsregierung zurück? Dies sind zwei Fragen vor einem Urnengang, der auf den ersten Blick weniger weichenstellende Entscheidungen bringen dürfte als bisherige Wahlen. Wir werfen einen Blick in die nähere Zukunft. Von Rudi Herrmann.

Die Zeiten, als Tschechinnen und Tschechen von Parlamentswahlen tiefgreifende Veränderungen erwarteten, scheinen vorbei. Wenn voraussichtlich am Übergang von Mai und Juni die Wahllokale ihre Türen öffnen, geht es nicht mehr, wie noch 1992, darum, den Kommunismus endgültig zu begraben und ist auch nicht, wie sich das für 1998 abzeichnete, mit einer radikalen Neuausrichtung der Regierung zu rechnen. Dies allein ist schon ein Hinweis darauf, dass sich die Demokratie in Tschechien eingebürgert hat und die Bevölkerung inzwischen weiss, dass Wechsel zum politischen Alltag gehören und kein Erdbeben oder gar einen Weltuntergang bedeuten.

Was aber werden die Wahlen bringen? Zweifellos eine parteipolitische Weichenstellung. Erstmals konkurrieren untereinander drei Subjekte, die ungefähr über gleich viel Wählerpräferenzen verfügen. Zwei davon sind die konsolidierten Grossparteien der Bürgerlichen und der Sozialdemokraten, die dritte Kraft ist die sogenannte Viererkoalition aus zwei grösseren und zwei kleineren im politischen Zentrum angesiedelten Parteien liberaler und christlichdemokratischer Prägung. Vom Abschneiden dieser Viererkoalition wird mittelfristig auch das Gesicht der tschechischen Parteienlandschaft abhängen.

Die zweite Frage, die die Wahlen beantworten werden, ist die, ob Tschechien nach einer längeren Zeit der politischen Instabilität wieder eine Mehrheitsregierung haben wird. Die Zeichen dafür stehen gut, denn programmatisch sind sich die Bürgerlichen und die Viererkoalition recht nahe, und sie dürften nach dem Stand der aktuellen Meinungsumfragen genügend Stimmkraft erreichen, um zusammen ungefährdet regieren zu können. Die Frage ist allerdings, ob nicht personelle Aspekte einen Strich durch diese Rechnung machen werden.

Viel wird davon abhängen, wie nach den Wahlen die personellen Beziehungen zwischen den Parteispitzen aussehen werden. Bei den Bürgerlichen, die in den zehn Jahren ihrer Existenz ihren Vorsitzenden noch nie gewechselt haben, dürfte auch weiterhin ihr Gründervater Vaclav Klaus das Sagen haben. Sein Gegenüber bei den Sozialdemokraten wird allerdings nicht mehr der aktuelle Regierungschef Milos Zeman sein, mit dem Klaus überraschend eine gemeinsame Sprache gefunden hat, sondern der programmatisch weiter links angesiedelte und vom Politikertyp her anders gelagerte neue sozialdemokratische Parteichef Vladimir Spidla. Die Viererkoalition wiederum nimmt für in Anspruch, den Generationenwechsel unter den Politikern zu bringen, nach dem hierzulande schon so lange gerufen wird. Dazu muss sie sich in den Wahlen aber erst noch durchsetzen, zu einem wirklichen inneren Zusammenhalt finden und einen klaren Leader bestimmen.

Autor: Rudi Hermann
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