Was wissen die Tschechen über die Erste Republik?

Karel Kramář (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Am Sonntag wird hierzulande die Gründung der eigenständigen Tschechoslowakei vor 100 Jahren gefeiert. Auch wenn es diesen Staat seit 1993 nicht mehr gibt, gilt dies als der wichtigste Meilenstein auf dem Weg zur heutigen Tschechischen Republik. Aus diesem Anlass hat der Rundfunk eine Umfrage machen lassen. Sie zeigt, wie viel die Tschechen heute noch über die Ausrufung des Vorgängerstaates im Jahr 1918 und die sogenannte Erste Republik wissen.

Karel Kramář  (Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Beim Gründungsdatum muss Jan Syrový nicht lange überlegen: 28. Oktober, das ist richtig. Mehr Probleme bereitet dem Mann aus Hradec Králové / Königgrätz aber die Frage nach dem ersten Premierminister der Tschechoslowakei. Karel Kramář fällt ihm nicht ein.

Fast 2000 Tschechen und Tschechinnen haben in der Umfrage geantwortet. Mit dem ersten Regierungschef hatten dabei viele Probleme. Die Hälfte der Befragten konnte seinen Namen nicht nennen. Noch mehr Kopfzerbrechen bereiteten ihnen aber Details wie der Name der ersten Widerstandsorganisation im Ersten Weltkrieg, die der späteren Staatspräsident Tomáš G. Masaryk gründete. Es war die „Maffie“. Drei Viertel der Tschechen wissen aber, wann die erste Tschechoslowakische Republik zu Ende gegangen ist. So auch Jan Syrový. Zunächst sagt er zwar 1929, korrigiert sich dann aber schnell auf 1938. Richtig nennt er auch das Münchner Abkommen, mit dem die Tschechoslowakei die Sudetengebiete an Hitler-Deutschland abgeben musste.

Jana Hamanová  (Foto: Noemi Fingerlandová,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Die Umfrage wurde vom Meinungsforschungsinstitut SC&C durchgeführt, unter der Leitung von Jana Hamanová. Wie sie sagt, hingen die Ergebnisse stark vom Bildungsgrad der Befragten ab. Menschen mit Hochschulabschluss hätten zu 90 Prozent richtig gelegen, so Hamanová. Doch es habe auch noch einen weiteren Faktor gegeben: das Alter.

„Die ältere Generation, die vielleicht noch einen anderen Stil des Unterrichts erlebt hat und häufiger auswendig lernen musste, hat sich bei einigen Fragen leichter getan. Außerdem haben die Älteren teils noch Menschen gekannt, die die Erste Republik erlebt haben. Je weiter also jemand zeitlich von den Ereignissen entfernt ist, desto eher muss er sich auf das Schulwissen verlassen und hat keine weiteren Assoziationen mit dem Thema“, erläutert die Forschungsleiterin von SC&C.

Tomáš Garrigue Masaryk  (rechts). Foto: Archiv des Tschechischen Rundfunks
Ganz anders bei der Rentnerin Helena aus Prag. Sie sagt, ihre Mutter habe sogar noch sieben Jahre lang die k. u. k. Monarchie miterlebt. Und sie kommt auf Staatsgründer Masaryk zu sprechen:

„Wir halten das Andenken an den Staatspräsident Masaryk hoch. Meine Mutter hat mir erzählt, wie sie in der Schule zu Ehrlichkeit erzogen wurde. Nicht lügen und nicht stehlen, lautete das Motto. Ich selbst erinnere mich noch daran, wie eine Masaryk-Statue vor meiner Schule in Havlíčkův Brod gestanden ist. Sie ist dann unter den Kommunisten auf einmal verschwunden.“

Vojtěch Kyncl  (Foto: Pavel Kozler,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
In diesen Tagen rund um die Feiern zeigen sich die Menschen hierzulande stolz auf die Staatsgründung vor 100 Jahren. Der Historiker Vojtěch Kyncl von der tschechischen Akademie der Wissenschaften sagt, dass man dies auch sein dürfe. Masaryk habe beispielsweise eindeutig demokratische Ideale vertreten und sich nie mit Diktatoren getroffen, auch nicht mit Hitler. Zudem war die Zwischenkriegs-Tschechoslowakei ein wirtschaftlich starker und moderner Staat. Auf der anderen Seite gebe es jedoch eine gewisse Tendenz, die Politik der Ersten Republik zu verklären, meint Kyncl:

„Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg zeigte sich, dass die politische Reife gefehlt hat und die Demokratie zu schwach gewesen ist. Das ist aber durchaus verständlich nach nur 20 Jahren Existenz des Staates. In der Regel braucht es eine, zwei oder drei Generationen, bis demokratische Werte sich in einer Gesellschaft durchsetzen können.“

Autor: Till Janzer
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