František Langer – unbequemer Schriftsteller mit humanistischem Ideal
Während der sogenannten Ersten Republik prägten außergewöhnliche Persönlichkeiten das kulturelle und gesellschaftliche Leben in der damaligen Tschechoslowakei. Das war die Zeit von der Staatsgründung im Jahr 1918 bis Ende September 1938, als das sogenannte Münchner Abkommen unterzeichnet wurde. Zu diesen Persönlichkeiten gehört unstrittig auch ein Freund von Staatspräsident Tomáš Garrigue Masaryk: der Legionär, Schriftsteller, Dramatiker und Militärarzt František Langer. Er starb vor 55 Jahren, am 2. August 1965.
Langer ist als Student fester Teil des Prager Kulturlebens
František Langer wurde 1888 als ältester von drei Söhnen in die Familie eines jüdischen Kleinhändlers in Prag geboren. Er wuchs im Viertel Královské Vinohrady / Königliche Weinberge auf, das damals am Prager Stadtrand lag. Schon während seiner Schulzeit am Gymnasium zeigte sich sein literarisches Talent, indem er erste Erzählungen schrieb und in verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen zu publizieren begann. Nach dem Abitur studierte Langer ab 1906 Medizin an der Karlsuniversität, 1914 schloss er sein Studium ab. Schon während dieser Zeit nahm er aktiv am kulturellen Geschehen teil. Sein Talent entging dabei auch nicht dem renommierten und gefürchteten Literaturkritiker František Xaver Šalda. Dieser bewertete Langers Erzählband „Zlatá Venuše“ (deutsch: Goldene Venus) aus dem Jahr 1910 sehr positiv. František Langer sei eine herausragende Persönlichkeit gewesen und gehörte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts unstrittig zur geistigen Elite in der Tschechoslowakei, sagt der Direktor der František und Jiří Langer-Gesellschaft, Pavel Dymeš:
„Schon während seines Medizinstudiums nimmt Langer am Prager Kulturleben teil und wird ein fester Teil von ihm. Zunächst schließt er sich den anarchistischen Literaten aus dem Kreis des Prager Cafés Demínka an. Zur damaligen Zeit spielt sich das kulturelle Leben gerade in bedeutenden Kaffeehäusern ab – neben dem Demínka sind dies vor allem das Union und das Arco. Langer wird zudem Mitglied des Vereins bildender Künstler, zu dem avantgardistische Künstler und Literaten gehören wie beispielsweise Emil Filla, Josef Čapek, Josef Gočár, Otto Gutfreund oder Pavel Janák. Schließlich ist er von 1912 bis 1914 damit betraut, die vereinseigene Zeitschrift‚ Umělecký měsíčník‘ (deutsch in etwa: Künstlerisches Monatsblatt) zu redigieren. Einer von Langers Freunden ist Jaroslav Hašek, auf dessen Anregung er Mitglied der satirischen ‚Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze‘ wird.“
Und schon bald stellten sich für Langer auch die ersten Erfolge ein, fährt Dymeš fort:
„Im Jahr 1912 hat das Theaterspiel ‚Svatý Václav‘ (deutsch: Der Heilige Wenzel) im Nationaltheater in Prag Premiere. Unter der Regie von Jaroslav Kvapil feiert Langers Erstlingswerk großen Erfolg. František Langer ist damals aber nicht nur als Literat und Dramatiker tätig, sondern auch als Arzt. Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs wird er in die österreichisch-ungarische Armee eingezogen und gelangt an die Ostfront – zuerst in die Bukowina, später nach Galizien. Dort wird er gefangengenommen und in mehrere russische Gefangenlager verschleppt. Letztlich schließt er sich der tschechoslowakischen Legion an und macht sich mit ihr auf einen beschwerlichen Rückmarsch, der bis über Sibirien führt. Im Heer steigt er nach und nach bis zum Chefarzt des 1. Infanterieregiments auf. Erst 1920 kehrt er in seine Heimat zurück, und zwar gehört er zur letzten Gruppe der Legion, die den Weg über Japan, China und Indien nimmt. Auch danach ist er weiter bei der Armee als Arzt tätig.“
Freundschaft mit Čapek-Brüdern prägt Langers weiteres Leben
Aus Russland brachte er auch seine erste Ehefrau Marie mit. Beide hatten bereits 1918 geheiratet, später bekamen sie einen Sohn und eine Tochter. Seine persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen aus der Legion dienten František Langer sowohl als Grundlage für eine Reihe seiner Erzählungen, als auch für sein dramatisches Schaffen. Sein bedeutendstes Werk aus dieser Zeit ist das Theaterstück „Berittene Wache“ (Jízdní hlídka). Es handelt von den dramatischen Kämpfen tschechischer Legionäre mit einer Abteilung russischer Bolschewiken. Langer war ein äußerst aufmerksamer Beobachter des Lebens der einfachen Leute um ihn herum. Das hatte er mit den Brüdern Karel und Josef Čapek gemeinsam.
„Die Čapek-Brüder lernt František Langer im Verein der bildenden Künstler kennen, und alle drei verbinden mehrere gemeinsame Interessen, vornehmlich auf literarischem Gebiet. Ihre gegenseitige Freundschaft hält viele Jahre. Langer gehört zu den ständigen Besuchern in der Villa von Karel Čapek. Dort treffen sich regelmäßig bedeutende Persönlichkeiten aus Politik und Kultur zur sogenannten Freitagsrunde. In seinen Erinnerungen ‚Byli a bylo‘ schildert Langer, wie sehr ihn die Čapek-Brüder in seiner Entwicklung beeinflusst haben. Besonders Karel Čapek geht bei seinem künstlerischen Schaffen damals sehr systematisch vor, während Langer das komplette Gegenteil von ihm ist. Er hat stets viele Zettel bei sich mit Anmerkungen, in denen er sich aber oft nicht auskennt. Und so versucht er, Čapek nachzueifern.“
Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete František Langer weiter in Prag als Militärarzt. Gleichzeitig begann er aktiv zu schreiben, zum Beispiel für das Blatt „Lidové noviny“. Er wurde ein Mitbegründer der Prager Sektion des PEN-Clubs. Der Schwerpunkt seiner Arbeit lag jedoch auf dem dramatischen Schaffen. Seine Stücke wurden nicht nur in tschechischen Theatern aufgeführt, sondern auch im Ausland, besonders in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Die Bühnenwerke waren vom Gedanken des Humanismus, des Patriotismus und einer demokratischen Gesinnung geprägt. Dass sie hervorragend waren und zeitlos, zeigte unter anderem die Tatsache, dass die Stücke auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär waren. Allerdings bezog sich das besonders auf das Ausland. Denn hierzulande waren die Kommunisten an der Macht, und sie übergingen einfach das Schaffen von František Langer:
„Langers Schaffen selbst, insbesondere seine dramatischen Werke, ist sehr stark vom Umfeld im damaligen Prager Randbezirk ‚Vinohrady‘ beeinflusst. Dort ist er ja auch aufgewachsen. Nur einen Steinwurf vom Geschäft seines Vaters entfernt befinden sich nur noch Wiesen und Landwirtschaft. So etwa auch dort, wo sich heute der Platz des Friedens und das Theater ‚In den Weinbergen‘ befinden. Langer beobachtet das schwere Leben der Menschen an der Peripherie der Stadt sehr genau, und seine scharfen Einblicke projiziert er in seine berühmtesten Theaterstücke wie ‚Die Bekehrung des Ferdys Pistora‘, ‚Das Kamel geht durch das Nadelöhr’ oder sein meistgespieltes Stück ‚Peripherie‘. In seinen Werken tauchen sehr oft soziale Aspekte auf. Das ist nicht verwunderlich, denn als Arzt reagiert er sehr sensibel auf viele Dinge des Lebens. Ein essenzielles Werk in dieser Hinsicht ist ‚Engel unter uns’ aus dem Jahr 1931. Dies ist zu seiner Zeit ein außergewöhnliches Stück, denn es befasst sich mit der Problematik der Sterbehilfe und dem Sterben. Obwohl das Publikum zunächst peinlich berührt scheint, feiert das Stück schließlich einen großen Erfolg im Ausland.“
Während der Zeit, in der das Stück „Engel unter uns“ im Stadttheater in den Königlichen Weinbergen aufgeführt wurde, arbeitete Langer auch extern als Dramaturg an dieser Bühne. Auf Drängen von Karel Čapek wurde daraus für ihn jedoch eine Vollbeschäftigung, und von 1935 bis 1938 übernahm er die Chefdramaturgie in dem Theater. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er jedoch seine Arbeit aufgeben. Denn nun begann die Zeit, in der dunkle Wolken aufzogen über der unabhängigen Tschechoslowakei, da sie von Nazideutschland besetzt werden sollte. Langer zeigte in dieser Lage Charakter:
„Als Militärarzt versucht sich František Langer ab der Mobilmachung im September 1938 einzubringen. Das reicht über das Münchner Abkommen hinweg bis zur Okkupation des Landes durch Nazideutschland im März 1939. Er leitet damals als Oberst das Garnisonskrankenhaus in Prag. Dabei hilft er zu retten, was zu retten ist. Andererseits vernichtet er wichtige Dokumente mit den Daten von Patienten, damit sie den Nationalsozialisten nicht in die Hände fallen. Andererseits muss er das Krankenhaus an die deutschen Befehlshaber übergeben, und er beginnt, seine Emigration zu planen. Anfang Juli 1939 verlässt er das Land und gelangt unter dramatischen Begleitumständen auf illegalem Wege über Polen und auf einem norwegischen Schiff nach Frankreich. In Paris harrt er bis zum Fall Frankreichs aus. Danach schafft er es, mit den Resten der tschechoslowakischen Armee nach London zu fliehen. Dort bleibt er bis zum Ende des Krieges. Bis dahin ist er Befehlshaber einer Sanitätstruppe der tschechoslowakischen Armee im Ausland.“
Langers Familie erfährt Repressalien durch kommunistische Machthaber
1945 kehrte Langer als voll respektierte Persönlichkeit des tschechoslowakischen Exils in seine Heimat zurück. Davon zeugen auch die Kriegsverdienstkreuze, die er für seine Dienste in Frankreich und England erhielt. Präsident Edvard Beneš ernannte ihn zum Brigadegeneral der Armee. 1947 wurde Langer der Ehrentitel „nationaler Künstler“ zuteil. Doch in dieser Zeit begannen bereits die Kommunisten an die Macht zu drängen. Und sie ließen keinen Zweifel daran, besonders gegen jene Menschen vorgehen zu wollen, die mit dem öffentlichen Leben in der Ersten Republik verbunden waren. Mit der Machtübernahme im Februar 1948 erhielten sie freie Hand, um ihr Werk zu verwirklichen.
„Das Jahr 1948 ist für Langer relativ kompliziert. Er gilt als bedeutende Persönlichkeit der Ersten Republik, ein ehemaliger Legionär, ein Offizier der tschechoslowakischen Auslandsarmee im Westen, und noch dazu ist er jüdischer Herkunft und hat die falschen politischen Ansichten. In seiner Person vereint er also alle Charakter-Merkmale, die die Kommunisten sehr negativ sehen. Da Langer schon älter ist, ist er nicht direkt den Repressalien ausgesetzt. Doch er wird einfach aus dem kulturellen Leben gestrichen. Seine Theaterstücke werden nicht mehr gespielt, und auch seine Werke erscheinen nicht mehr. Noch schlimmer aber erwischt es die Kinder aus seiner ersten Ehe. Sohn Jan wird 1949 wegen staatsfeindlicher Verschwörung zu einer langen Haftstrafe verurteilt. Als Mitglied einer Studentengruppe hat er unter anderem Flugblätter verteilt. Erst 1954 kommt er aus dem Gefängnis frei. 1951 wird zudem Langers Tochter Věra eingesperrt und über ein Jahr gefangen gehalten. Sie ist am Teplitzer Theater engagiert. Und zusammen mit weiteren Mitgliedern des Theaterensembles wird sie beschuldigt, einen Mord am damaligen Ministerpräsidenten Antonín Zápotocký geplant zu haben. Angeblich wollten sie ihn im Theater vergiften. Die Tragik, dass seine beiden Kinder im Gefängnis sitzen, bricht František Langer physisch wie seelisch. Und er selbst kann nichts machen, denn er darf weder am gesellschaftlichen Leben teilnehmen, noch in der Kunstszene mitwirken.“
Während des Zweiten Weltkriegs hatte Langer in Paris seine zweite Frau Anna Ludmila kennen gelernt. Mit ihr lebte er bis zu seinem Tod im Jahr 1965 zusammen. Seine zweite Frau überlebte ihn mehrere Jahrzehnte. In dieser Zeit bemühte sie sich darum, den Namen und das Werk ihres verstorbenen Gatten im Bewusstsein der Menschen zu wahren. 1994 gründete sie zu diesem Zweck die František-Langer-Stiftung. Das war erst nach der politischen Wende von 1989 möglich geworden. Staatspräsident Václav Havel verlieh František Langer schließlich 1995 in Memoriam den T. G.-Masaryk-Orden zweiter Klasse. Auch wurden Langers Theaterstücke wieder gespielt und seine Bücher herausgegeben.
„2013 wird die František- und Jiří Langer-Gesellschaft gegründet, und zwar als Partnerorganisation der František-Langer-Stiftung. Im Unterschied zu dieser darf die Gesellschaft dem Gesetz nach eine weit aktivere Rolle spielen: Sie kann Finanzen generieren, Ausstellungen veranstalten, die Herausgabe von Büchern unterstützen und Theaterstücke inszenieren. Ihr primäres Ziel ist es, das zu verhindern, was die Kommunisten versucht haben – František Langer aus der Geschichte zu löschen. Vielmehr soll gezeigt werden, dass er weiter eine Persönlichkeit ist, die mit ihrer Arbeit und ihrem Leben etwas zu sagen hat."