Zu Besuch im St. Euphrasia-Haus in Ludgerovice bei Ostrava
Eine Frau, die an Multipler Sklerose leidet, und nicht imstande ist, sich vollständig um ihr Kinder zu kümmern, eine Hochschwangere, minderjährige, Frauen, die aus den verschiedensten Gründen um ihre Wohnung kamen und außerdem auch ihre Arbeit verloren hatten - in einer Region, wo die Arbeitslosenrate zu den höchsten in Tschechien gehört. So ungefähr sieht zur Zeit die Zusammensetzung der Bewohner des St. Euphrasia-Hauses in der Gemeinde Ludgerovice unweit von Ostrava in Nordmähren, das von den Schwestern des Guten Hirten verwaltet wird. Zu einem Besuch dieses Asylhauses für Frauen in Not lädr Sie im heutigen Schauplatz Martina Schneibergova ein.
Durch das St.Euphrasia-Haus hat mich seine Leiterin, Schwester Ethna Mc Dermott, geführt. Die aus Belfast stammende Ordensschwester entspricht auf den ersten Blick kaum der Vorstellung, die man in Tschechien über Nonnen hat, denn sie trug keine Ordnungskleidung. Wie sie erzählte, war sie bereits in Belfast u.a. als Streetworkerin tätig und arbeitete auch mit Jugendlichen zusammen.
Die Kongregation der "Schwestern des Guten Hirten" wird als eine regierungsunabhängige Organisation mit einer Sonderstellung im Wirtschafts- und Sozialrat der UN anerkannt. Sie arbeitet weltweit mit Frauen und Kindern in Not, die Hilfe und Unterstützung brauchen. Gegründet wurde die Kongregation 1835 in Angers in Frankreich von der Hl. Maria Euphrasia. Bereits während des kommunistischen Regimes waren einige Schwestern in Ungarn tätig, die Kongregation blieb damals in Kontakt mit ihnen und interessierte sich für alles, was in Osteuropa geschah. Nach der Wende gab es die Möglichkeit in Osteuropa tätig zu sein, erzählt Schwester Ethna:
"Die Schwestern in Österreich knüpften Kontakte zu den Bischöfen in der Tschechischen Republik und informierten sie darüber, was wir machen. Erzbischof Graubner in Olomouc zeigte Interesse an unserer Arbeit und meinte, dass man uns in Ostrava brauchen würde. Wir sind 1992 nach Tschechien gekommen, ich arbeitete zuerst in der Caritas in Ostrava im Haus für Mutter und Kind. Lange suchten wir nach einem geeigneten Gebäude, 1997 öffneten wir dieses Haus für Frauen in Not in Ludgerovice. Die Gemeinde - der Bürgermeister - helfen uns sehr. Am Anfang waren die Bewohner ein wenig misstrauisch, denn sie glaubten, dass die Mütter, die hier untergebracht sind, schlechte Menschen seien. Sie sind aber hier, weil sie im Leben Pecht hatten. Jetzt haben wir und auch die Mütter gute Beziehungen zu den Bewohnern hier."
Frauen, die sich in einer unlösbaren Lage befinden, können in dem Haus ein Jahr lang bleiben. Inzwischen versucht die Sozialarbeiterin ihnen bei der Suche nach einer Wohnung zu helfen. Eine der Mütter erzählte mir:
"Mein Mann hat mich aus der Wohnung rausgeschmissen, auch im Winter lebten wir auf der Strasse. Ich bin ungefähr seit einem Monat da, meine 17-jährige Tochter, die schwanger ist, wurde hier vor einem halben Jahr untergebracht. Für mich ist es schwer, Arbeit zu finden, denn ich bin 40 und neben dieser Tochter habe ich noch einen kleinen Sohn, der hier mit mir zusammen wohnt. Mir gefällt es hier, die Schwestern sind super. Wir verstehen uns sehr gut. Nur weiss ich nicht, was nach einem Jahr sein wird. Ich habe schon einen Antrag auf eine Wohnung gestellt, das kann jedoch Jahre lang dauern."
Die Tochter, die bald ein Baby erwartet, plant ihre Zukunft: "Ich will meine Ausbildung zu Ende machen - ich werde Köchin oder Kellnerin - denn in diesem Bereich kann man hier Arbeit finden."
Auch wenn die Frauen das Asylhaus verlassen, um sich auf eigene Beine zu stellen, bleiben die Schwestern oft mit ihnen wenigstens indirekt in Kontakt. Manche Frauen kommen regelmässig zu Besuch, und die Schwestern stellen mit Freude fest, dass sie sich besser um ihre Kinder kümmern können, als bevor sie zu ihnen kamen.
Neben Ethna aus Irland kümmern sich weitere drei Schwestern um die Mütter in Ludgerovice. Schwester Prisca Perera kam vor mehr als einem Jahr aus Sri Lanka nach Tschechien, und sie freut sich darüber, dass sie bereits imstande ist, mit den Müttern und Kindern tschechisch zu sprechen. Was brauchen diese Frauen nach Priscas Meinung:
"Ich glaube, dass sie viel Liebe und Verständnis und jemanden brauchen, der ihnen zuhören wird, denn sie haben viele Probleme. Es sind Frauen, die einfach Pech hatten."
Die Schwestern sind nicht nur im Asylhaus in Ludgerovice tätig. Schwester Carmen Handapangoda, die ähnlich wie Prisca aus Sri Lanka stammt, wirkt in Tschechien schon fast seit sechs Jahren. Sie arbeitet auch in zwei Freizeitzentren für Roma-Kinder in Ostrava. Dazu bemerkte sie begeistert:
"Es ist eine herrliche Arbeit. Die Roma leben in ihrer Familie von der übrigen Welt abgekapselt, denn sie vertrauen den anderen Menschen nicht. Ich meine, dass sie es vor allem brauchen, akzeptiert zu werden. Unter den Roma gibt es viel Ärger und Depressionen, und sie sind nicht imstande, dies zu bewältigen und lösen es auf eine falsche Art. Ich sehe aber an ihrem Leben auch viel Gutes. Sie brauchen viel Hilfe. Sie akzeptieren mich und warten immer ungeduldig auf mich, bis ich komme."
Die vierte von den Schwestern aus Ludgerovice - Doris Saliba aus Malta - ist vor mehr als einem Jahr nach Tschechien gekommen. Sie betreut nicht nur die Mütter im Asylhaus:
"Ich gehe seit November 1999 mit Schwester Carmen regelmässig Frauen besuchen, die im Gefängnis in Ostrava sitzen. Wir reden mit ihnen, hören ihnen zu, singen mit ihnen. Einige von diesen Frauen brauchen jemanden, der sie beruhigt, der einfach mit ihnen eine Weile bleibt. Es gibt dort einige Frauen, die an unseren Besuchen sehr interessiert sind, sie freuen sich darauf, bereiten für uns z.B. Tee vor. Manchmal feiern wir mit ihnen z.B. Geburtstag. Es ist jedoch nur erlaubt , sie einmal in der Woche eine Stunde lang zu besuchen."
Der Fachberater des St. Euphrasia-Hauses ist der Leiter des Kinderheims in Ostrava, Dr. Zdenek Novotny. Er spricht sich über die Zusammenarbeit mit dem Asylhaus sehr lobend aus und betont, es komme ihnen nicht darauf an, ob jemand gläubig ist oder nicht. Er sagte, das, was uns verbinde, ist das Interesse für das Kind und wenn uns das Kind interessiere, interessiere uns auch seine Mutter. Er hilft den Müttern und Kindern in Ludgerovice als Kinderarzt und Psychologe. Was schätzt er an der Art und Weise der Schwestern von Ludgerovice besonders hoch ein?
"Was ich an ihnen hochschätze, ist die Tatsache, dass sie als Ausländerinnen mit einer bestimmten Arbeitsmethodik zu uns kamen, aber dabei maximal die tschechische Kultur, die tschechische Lebensweise respektierten. Die anderen Mitarbeiterinnen des Hauses - die Erzieherinnen, die den Müttern beibringen, wie sie mit den Kindern umgehen sollen, das sind tschechische Mitarbeiterinnen. Die Schwestern reden ihnen in ihre Arbeit nicht rein und sie zwingen den Klientinnen weder ihre Kultur noch ihr Religionsbekenntnis auf."
Das Motto der Schwestern des Guten Hirten lautet: Ein Mensch hat einen grösseren Preis als die ganze Welt. Schwestrer Ethna wünscht sich sehr, für die Frauen in Not, noch mehr machen zu können:
"Ich halte den Frauenhandel für ein grosses Problem und damit möchten wir uns hier mehr als es bislang der Fall war, befassen. Denn wir hatten hier auch drei oder vier Frauen, die Opfer des Frauenhandels waren und ins Ausland verkauft wurden. Es ist ihnen gelungen, zu flüchten. In diesem Bereich arbeiten wir bereits mit verschiedenen Organisationen - wie der La Strada oder der Union der katholischen Frauen - zusammen."
Bei Schwester Ethna Mc Dermott kam es mir plötzlich vor, dass sie in ihrem Tschechisch auch den typischen Ostrauer Akzent übernommen hatte. Wie findet die Schwester aus Irland das Leben in Nordmähren?
"Ich fühle mich hier wie zu Hause, ich würde mich nun kaum wieder an Irland gewöhnen. Übrigens, dort, woher ich komme, spricht man genauso kurz wie hier in Schlesien, und das gefällt mir."
Damit beenden wir unseren Besuch im Asylhaus in Ludgerovice, einer insbesondere in der Region von Ostrava sehr gefragten Einrichtung. Wie übrigens Dr. Novotny erklärte, gibt es zur Zeit ungefähr 40 Anwärterinnen auf einen Platz in dieser Einrichtung.
Falls Sie, verehrte Hörerinnen und Hörer, den Betrieb des Asylhauses unterstützen möchten, können Sie eine Spende auf das von der Vereinigung "Sluzby Dobreho Pastyre" bei der Ceska sporitelna Ostrava errichtete Konto überweisen: 1641550349/0800.