Zurückgekehrt: Junge Erwachsene in Prag auf den Spuren ihrer Familie
Sie haben tschechische Vorfahren und sind in Deutschland oder im deutschsprachigen Raum aufgewachsen. Nach dem Abitur verschlägt es sie ins Nachbarland. Drei junge Leute versuchen in Prag ihr Glück.
Alexander Raiman hat keine Probleme, seine Identität zu definieren. Er ist in Deutschland aufgewachsen und hat 21 Jahre seines Lebens dort verbracht. Als Sohn tschechischer Auswanderer ist er in Hannover zur Schule gegangen und hat danach eine Ausbildung zum Reserveoffizier gemacht.
„Man glaubt gar nicht, was Deutschsein für ein Branding hat. Ich bin allgemein organisiert, aber ich finde, dass es Leute gibt, die noch organisierter und zuverlässiger sind. Aber ich habe immer diesen ‚Der ist Deutscher‘-Bonus. Mein Umfeld sieht mich mehr als Deutschen, denn als Tschechen. Und ich identifiziere mich gerne damit. Das heißt, ich bin zum Beispiel klarer Deutschland-Fan im Sport.“Mit 21 Jahren machte sich Alexander Gedanken zu seinem Berufswunsch. Einen Job in einem großen Unternehmen fand er attraktiv, am liebsten im Marketing, Gerne wollte er auf Englisch studieren, doch die USA oder Großbritannien empfand er als zu weit weg. Da kam ihm die Idee mit Prag. Die Vermutung liegt nahe, dass es Leute wie Alexander in der Stadt leichter haben. Er ist zweisprachig aufgewachsen und hat auch in Hannover bei seinen Eltern am Küchentisch nur Tschechisch gesprochen.
„Als ich hier hergekommen bin, konnte ich noch nicht richtig Tschechisch schreiben. Jede SMS, die ich geschrieben habe, klang irgendwie witzig. Bei jeder Unterhaltung mussten sich die Leute erst an mich gewöhnen, wenn sie mich nicht kannten. Sie haben oft auch gegrinst, weil es für sie einfach sehr lustig klang. Vielleicht so, als ob ein Italiener oder ein Franzose Deutsch spricht – dann schmunzelt man auch so ein bisschen. So war das auch hier.“Ich mag den tabulosen tschechischen Humor
Mittlerweile hat sich Alexander in Prag gut eingelebt und sich einen Freundeskreis aufgebaut. Seine feste Freundin ist Tschechin. Manchmal merkt Alexander, wie sehr ihn sein neuer Wohnort beeinflusst. Seit zehn Jahren lebt der 32-Jährige nun in Prag.
„Tschechen ist der Rückhalt in der Familie sehr wichtig, denke ich. Das hat sich auch bei mir so entwickelt Außerdem hat man ein paar Freunde und schließt die wirklich ins Herz. Ich glaube, das kopiere ich so ein bisschen. Tschechen haben gegenüber Leuten, die sie nicht kennen, so eine raue Schale. Aber wenn, sie einen ins Herz schließen, dann wird plötzlich alles geteilt, dann wird plötzlich alles hergegeben, und irgendwie adaptiere ich das so ein bisschen“, so der 32-Jährige.
Einiges an der tschechischen Kultur gefällt Alexander sehr gut:
„Ich mag den tschechischen Humor. In Deutschland ist der Humor manchmal so ein bisschen vorsichtig, und hier in Tschechien ist er ein bisschen kerniger, ähnlich dem britischen – also nichts ist tabu.“Mit seinem Leben in Prag ist Alexander rundum zufrieden. Er hat seinen Traumjob gefunden und arbeitet für ein großes Software-Startup im Top-Management. Dennoch gibt es Dinge, die er aus Deutschland gewohnt ist und in Tschechien manchmal vermisst:
„Die Dienstleistungen sind besser, wenn man wirklich mit einem Metzger um die Ecke darüber reden möchte, was der beste Braten ist. Oder wenn ich von irgendjemandem wissen will, welches Tofu ich kaufen soll, dann ist da oft eine freundlichere Antwort als hier. Dieses Dienstleistungsbewusstsein, das ist hier noch nicht vorhanden. Früher hat man mal gesagt, Deutschland sei eine Servicewüste, aber das sehe ich überhaupt nicht so, wenn ich das mit Tschechien vergleiche.“
Was Alexanders nächste Zukunft angeht, möchte er weiterhin in Tschechien bleiben. Sollte er eine Familie gründen, kann er sich gut vorstellen, in ein Haus im Grünen zu ziehen. Dass er aber immer die Nähe zu Prag suchen wird, ist für ihn klar.„Prag ist nicht Tschechien, ich könnte mir nicht vorstellen, später in Brünn oder Olmütz oder Ostrau zu leben, weil das wäre einfach zu sehr ein… Kaff “, sagt Alexander.
Prag, die perfekte Studentenstadt
Wenn Sofia Sollorano sich vorstellt, muss sie weit ausholen. Die Frage nach ihrer Herkunft, kann die 23-Jährige kaum mit nur einem Satz beantworten. Geboren ist sie auf den Philippinen. Ihre Mutter ist Deutsch-Tschechin, der Vater Philippiner. Mit drei Jahren zog sie mit ihrer Mutter nach Genf, wo diese als Diplomatin arbeitete. Drei Jahre später kam der nächste Umzug: nach Wien. Dort ist sie auf eine englische Schule gegangen. Bis heute spricht Sofia fließend Deutsch und Tschechisch. Mit ihrer Mutter unterhält sie sich trotzdem am liebsten auf Englisch. Als Sofia 17 Jahre alt war, zog die Familie nach Genf. Nach dem internationalen Abitur war Prag die nächste Station in ihrem Leben. Dass Sofia in Tschechien keine Wurzeln schlagen wird, weiß sie allerdings schon jetzt.„Es ist nicht, dass ich etwas vermisse. Es ist perfekt für mein Leben als Studentin. Ich wohne jetzt in der Gegend, in der alle meine Freunde wohnen. Wir sind alle sehr international und sehr lässig. Aber wenn ich wirklich Karriere machen wollen würde, dann wäre es nicht hier“, sagt Sofia.Es gibt einige tschechische Eigenschaften, die Studentin des International Business auch an sich selbst entdeckt:
„Die Lässigkeit. Also selbst die Leute, die hier einen richtig guten Job haben, haben abends immer Zeit für ein Bier mit Freunden. Und genauso bin ich auch, sehr lässig in der Hinsicht. Und das finde ich sehr tschechisch.“
Sofias Großmutter ist Tschechin, lebt allerdings in Deutschland. Jedes Jahr im August besucht Sofia ihre Oma und entdeckt viele typisch tschechische Eigenschaften an ihr.
„Alte Leute generell haben immer das Gefühl – vielleicht wegen der Kriege oder wegen des Kommunismus –, dass es nie genug zu essen gibt und man immer sparen muss. Oder dass man immer viel mehr kaufen muss, als man braucht. Und wenn ich sie besuchen fahre oder nach Prag zurückkehre, dann packt sie mir ein ganzes Menü ein.“
Pünktlich wie ein Deutscher, aber gelassen wie ein Tscheche
Radek Kuklik ist durch eine Verkettung von Zufällen nach Prag gekommen. Seine Familie hat eine ganz besondere Auswanderungsgeschichte. Die Mutter ist gleich zweimal aus Tschechien geflohen. Bei ihrer zweiten Flucht war Radek schon sechs Jahre alt. Die Familie ließ sich in Karlsruhe nieder, wo der Junge zur Schule ging und Abitur machte. Sein Studium der Geografie schloss er in Heidelberg ab. Radek Kuklík:„Bis dahin hatte ich in Deutschland immer so ein Gefühl, dass ich nicht weiß, wo ich hingehöre, dass ich nicht weiß, wo ich sein will. So eine innere Ruhelosigkeit. Aber als ich dann hier in Prag war und festgestellt habe, dass ich hier sein will, war dieses Gefühl weg, und für mich war klar: Hier will ich bleiben.“
Bei einer dreimonatigen Reise durch Europa hat Radek unter anderem Paris, London, Barcelona, Wien und Budapest gesehen, aber in keiner anderen Stadt hat er sich so wohl gefühlt wie in Prag. Die Gelassenheit der Tschechen mag er gerne:„Es gibt hier zum Beispiel das Wort ‚neřešit‘, was so viel bedeutet wie ‚sich nicht darum kümmern‘, und das würde man in Deutschland nicht sagen. Das Wort drückt ein bisschen die Mentalität hier aus. Das heißt aber nicht, dass das unbedingt besser ist, denn dann laufen die Dinge vielleicht nicht so gut wie in Deutschland.“
Ginge man nach den Genen, so ist Radek zu 100 Prozent Tscheche. Auch sein Name Radek Kuklik lässt keine deutsche Identität vermuten. Ganz so einfach, ist die Zuschreibung aber trotzdem nicht.
„Also ich fühle mich eher als Tscheche, aber ich bin eher Deutscher. Vom Herz her gehöre ich hierhin, gehöre ich nach Prag, aber vom Verhalten her bin ich anders. Zum Beispiel, dass den Tschechen viele Dinge egal sind, den Deutschen ist es dann meistens nicht egal. Ich bin genauso, dass ich die Sachen wirklich gemacht haben will. Dass ich so pünktlich bin, wie die Tschechen immer sagen. Pünktlichsein, die Deutschen sind immer pünktlich… da bin ich genauso“, sagt Radek.Der 34-Jährige sehnt sich nach einer eigenen Existenz als Unternehmer, womöglich in der Tourismus-Branche oder im Marketing. Seine Zukunft sieht Radek ganz klar in Tschechien:
„Ich denke, es ist ganz wichtig, dass man sich irgendwo wohlfühlt und dass man weiß: Okay, hier will ich sein. Und das Gefühl habe ich hier. In Deutschland war ich immer so rastlos, wusste nicht, wo ich sein will. In Deutschland zu bleiben wäre eine Kopfentscheidung gewesen, nach Prag zu kommen und hier zu leben ist eine Gefühlsentscheidung. Und ich denke man muss auf sein Gefühl hören.“