70 Jahre Radio Prag: Der langjährige Mitarbeiter Bedrich Utitz erzählt

Bedrich Utitz

Radio Prag, der Auslandssender des Tschechischen Rundfunks hat vor einer Woche sein 70. Gründungsjubiläum gefeiert. Dieses wollen wir auch in der nun neuen Ausgabe unserer Sendereihe "Heute am Mikrophon" reflektieren. Gerald Schubert hat den ehemaligen langjährigen Mitarbeiter Bedrich Utitz in unser Studio zu einem Gespräch eingeladen:

Bedrich Utitz
Herr Utitz, Sie haben beim Auslandssender des Tschechoslowakischen Rundfunks gearbeitet, und zwar in mehreren Redaktionen.

"Ja, angefangen habe ich im Jahr 1956 als Redakteur der Auslandssendungen in deutscher Sprache. Später wurde ich stellvertretender Redaktionsleiter. Wann genau ich dann Leiter der deutschen Sektion geworden bin, daran kann ich mich nicht mehr genau erinnern. Danach folgte jedenfalls die Position des Chefredakteurs der so genannten Zentralredaktion von Radio Prag, in der die Programmsparten Inland, Ausland, Kultur und Musik integriert waren. Auf diesem Posten hat man mich dann aber für Sendungen verantwortlich gemacht, die sowohl dem damaligen Generalsekretär der Kommunistischen Partei als auch dem Generaldirektor des Tschechoslowakischen Rundfunks nicht gefallen haben. Ich wurde anschließend sozusagen 'strafversetzt', und zwar nach Kuba. Die zwei Jahre, die ich dort verbrachte, gehören aber zu den schönsten Erlebnissen meiner beruflichen Laufbahn. Nach meiner Rückkehr hat man mir einige Posten zur Auswahl gegeben, und ich habe von da an wieder als Leiter der deutschsprachigen Auslandssendungen gearbeitet - bis zum Einmarsch der Russen im August 1968."

Machen wir noch einen kurzen Rückblick auf Ihren Kuba-Aufenthalt. Was haben Sie dort gemacht? Waren Sie mit dem Radio in Kontakt?

"Ursprünglich war es so, dass man mich als Austauschredakteur nach Kuba geschickt hatte. Ein Kanadier, der damals beim kubanischen Rundfunk arbeitete, kam für ein Jahr nach Prag, um hier Erfahrungen zu sammeln. Und ich ging nach Havanna in die englische Redaktion. Nach einem Jahr war die vereinbarte Austauschfrist um, ich blieb aber weiter in Kuba - und arbeitete als schlecht bezahlter Redakteur für den Tschechoslowakischen Rundfunk."

August 1968
Später, im Jahr 1968, haben Sie den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Truppen in der CSSR erlebt. Hat das vorerst das Ende Ihrer Karriere im Rundfunk bedeutet?

"Ja. Damals, wie bereits erwähnt, war ich wieder in der deutschsprachigen Redaktion tätig. Einige mir zu diesem Zeitpunkt noch wohl gesonnene Vertreter der Rundfunkleitung und des Außenministeriums wussten sehr gut, dass ich den DDR-Behörden ein Dorn im Auge war. Da ich deutsch sprechen konnte und in der Bundesrepublik Deutschland Kontakte hatte, wurde mir sicherheitshalber empfohlen, mich für ein Jahr dorthin in unbezahlten Urlaub abzusetzen. Ein Jahr später wurden aber die Grenzen unter dem neuen Generalsekretär der KPC, Gustav Husak, geschlossen, und ich kehrte nicht mehr zurück."

Wenn wir noch einmal vor das Jahr 1968 zurückblicken, wie war das damals? Sie haben die Zeit des Prager Frühlings, in der es zu politischen Lockerungen kam, als Rundfunkredakteur erlebt. Radio Prag hat aber auch in die DDR gesendet, wo man Sie persönlich, wie Sie gerade sagten, missgünstig beobachtet hatte. Wie war denn sonst die Reaktion der ostdeutschen Behörden auf die relativ gelockerten Verhältnisse in der Tschechoslowakei?

"Soviel ich weiß, waren die Reaktionen äußerst negativ. Es gab viele offizielle Proteste und Noten, die sich über alles Mögliche beschwerten, darunter auch über Sendungen von Radio Prag. An den leitenden Stellen des Außenministeriums und anderer Institutionen waren damals aber schon Menschen tätig, denen diese Proteste nichts ausmachten."

Wie muss man sich die Arbeitsbedingungen im damaligen Rundfunk vorstellen?

"Es war damals nicht einfach. Hierzu kann ich etwas in Bezug auf die Sendungen erzählen, die man mir persönlich vorgeworfen hat: Wir hatten einen sehr positiven Kommentar über Willy Brandt als Oberbürgermeister von Berlin. Das war der erste Sündenfall. Einen zweiten habe ich mir im Zusammenhang mit den bekannten Abenddiskussionen eingehandelt, die im Prager Repräsentationshaus regelmäßig veranstaltet wurden. Zur Sprache kam einmal auch die berühmte Rede Nikita Chruschtschows gegen die Lockerung im Kulturbereich in der Sowjetunion. Der damalige Vorsitzende des Schriftstellerverbandes, Prof. Eduard Goldstücker, schätzte zwar in einer Reaktion die Persönlichkeit Chruschtschows hoch ein, mit seiner Kritik wollte er sich aber nicht identifizieren. Das war ungefähr um neun Uhr abends, und wir haben das sofort gesendet. Doch noch vorher kam das Verbot, es zu senden. Ich habe aber so getan, als ob ich dieses Verbot nicht gehört hätte. Das war also schon meine zweite Sünde! Und es kam noch eine dritte hinzu. Die hört sich etwas anekdotisch an: Wir hatten in unserem Programm eine satirische Sendung, zu der sich dann jeder Mitarbeiter äußern sollte. Auch mich hat man nach meiner Meinung gefragt, und ich sagte, dass ich die Sendung beinahe gefährlich gefunden hätte. Gehört habe ich sie nämlich in der Badewanne, und ich musste dabei so lachen, dass ich fast ertrunken wäre. Auch diese Antwort wurde mir zur Last gelegt. Und so musste ich schließlich nach Kuba gehen."

Noch einmal zur Politik und zur Zeit des Prager Frühlings, als der Meinungsfreiheit doch mehr Raum gegeben wurde. Die Lockerungen waren wahrscheinlich auch für Sie spürbar. Inwiefern haben Sie aber trotzdem noch Einschränkungen empfunden?

"Es gab nach wie vor die HSZD. Das war eine Zensurbehörde, von der jeder Artikel, jede Nachricht, kurzum alles kontrolliert werden musste. Wir hatten da aber auch ein bisschen Glück, denn die Leute, die dort arbeiteten, konnte man immer wieder mit irgendwelchen Argumenten davon überzeugen, dass dies und jenes nicht so ist, wie sie es sich denken, sondern eben ganz anders. Letztendlich gaben sie oft mit den Worten nach: Na ja, wahrscheinlich ist es so. Man hat also die Einschränkungen zu spüren bekommen, sie waren allerdings nicht so markant."

Sie sind dann nach Bonn gegangen, und von dort kamen Sie nicht mehr zurück. Sind Sie dem Medium Radio in irgendeiner Form treu geblieben, oder haben Sie in Bonn etwas ganz anderes gemacht?

"Ich habe die ganze Zeit für den Rundfunk gearbeitet! Schon während des Prager Frühlings, vor allem in den Jahren 1967 und 1968, hatte ich sehr viel mit deutschen Kollegen zusammen gearbeitet, die damals nach Prag gekommen waren, um nach Kontakten bzw. nach Informationen zu suchen. Dadurch habe ich gute Kontakte knüpfen können. Schon in dieser Zeit habe ich mich der Berichterstattung von Prag aus gewidmet. In Deutschland selbst war ich dann aber nie fest angestellt. Da jedoch beinahe jedes Bundesland seinen eigenen Sender hatte, konnte ich für verschiedene Rundfunkanstalten arbeiten. Mit einem Sender alleine hätte man ansonsten in Deutschland freiberuflich kaum überleben können."

Herr Utitz, herzlichen Dank, dass Sie bei uns zu Gast waren und Ihre Erinnerungen hier im Gebäude des Tschechischen Rundfunks aufgefrischt haben.