Vom "Prager Frühling" zum Berufsverbot - Frantisek Cerny über seine Zeit bei Radio Prag

Frantisek Cerny

Frantisek Cerny, der ehemalige tschechische Botschafter in der Bundesrepublik Deutschland, ist auch ein ehemaliger Mitarbeiter von Radio Prag. Er hat in den späten 1950er und dann vor allem in den 1960er Jahren ein sehr bewegtes Jahrzehnt beim Tschechischen Rundfunk miterlebt, das letztlich mit seiner Entlassung und einem Berufsverbot als Journalist endete.

Herr Cerny, Sie haben als Redakteur beim Tschechischen Rundfunk ein sehr bewegtes Jahrzehnt miterlebt - von einer zunehmenden politischen Liberalisierung Ende der 50er Jahre, über den Höhepunkt der Reformbewegung, den "Prager Frühling" und seine brutale Niederschlagung bis hin zu Ihrer politisch bedingten Entlassung im Frühjahr 1969. Beginnen wir einmal von vorne: Als Sie 1956 beim Rundfunk anfingen und dort insbesondere in der deutschen Redaktion von Radio Prag arbeiteten, was herrschte damals für eine Atmosphäre im Funkhaus an der Vinohradska, was waren die Themen, über die man damals in der deutschen Redaktion diskutierte?

Die Auslandssendungen waren ja damals mehr oder weniger eine Art Reklame und Propaganda für die Tschechoslowakische Republik. Sie waren eigentlich auch gedacht für das westliche Ausland. Die deutschen Sendungen waren also ausgerichtet auf die Hörer in der Bundesrepublik Deutschland. Das hat sich dann mit der Zeit sehr stark verändert. Sie haben es schon erwähnt: Die Zeit nach 1956 war die Zeit eines gewissen Aufbruchs - eine merkwürdige Zeit, in der es natürlich sehr viele Beschränkungen gab. Es gab zum Beispiel die Zensur. Aber die wurde besonders für die Auslandssendungen immer weniger relevant. Das verlief dann so, dass man mit seinem Manuskript in deutscher Sprache zum Zensor ging - der war häufig betrunken und sprach außerdem kein Deutsch. Er fragte immer nur: Was steht denn da drin? Und dann sagte man ihm irgendwas und er machte seinen Stempel darunter und so funktionierte häufig die Zensur. Es war eine Zeit, in der man fast jeden Tag oder jede Woche die Freude hatte, dass etwas möglich war, was in der Woche vorher noch nicht möglich war. Es ging irgendwie jede Woche etwas weiter - in die Nähe von dem, was man heute etwas abstrakt als Pressefreiheit bezeichnet. Absolute Pressefreiheit gab es natürlich erst im Jahr 1967/68, aber schon vorher konnte man allmählich Dinge senden, die man noch in der Woche zuvor nicht hätte senden können. Das waren große Freuden, die man da als Redakteur hatte. Ich glaube, wenn nur gewisse Sachen erlaubt sind, setzt man seine ganze Energie in diese Sachen hinein, wo man etwas bewirken kann. Also, es waren sehr bewegte Jahre, wir hatten auch ständig Verbindungen zu den Inlandssendungen, wir trafen uns tagtäglich mit anderen Journalisten und diskutierten leidenschaftlich.

Worauf haben Sie damals besonders Ihre Energien verwendet, was war Ihnen ein Anliegen, was wollten Sie den Bürgern in der Bundesrepublik mitteilen?

Das Anliegen war, ein konkreteres Bild von der Tschechoslowakischen Republik zu vermitteln als nur diesen oberflächlichen Eindruck. Ich wehrte mich zum Beispiel gegen Sendungen, die die Naturschönheiten und architektonischen Denkmäler gepriesen haben, also so eine Art Werbung für den Tourismus waren. Für den Westen war das alles "der Ostblock", das war so ein Stempel. Und mir ging es darum zu zeigen, dass es in diesem Ostblock sehr viele unterschiedliche Strömungen, Bewegungen und Prozesse gab. Meine Aufgabe war es zum Beispiel, ständig Gespräche mit Leuten zu führen, die aus der Bundesrepublik hierher kamen. Und diese Leute waren eigentlich immer sehr überrascht, was bei uns alles noch möglich war. Es war ja auch die Zeit des großen Films - Bergmann, Fellini. Und da waren sie überrascht, dass wir Fellini kannten, seine Filme gesehen hatten. Auch wenn seine Filme nicht überall öffentlich projiziert wurden, gab es doch immer die Möglichkeit, sie irgendwo anzusehen.

Sie sagten es bereits: Eigentlich waren die deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag für die Bundesrepublik bestimmt. Die deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag stießen in den 60er Jahren insbesondere bei den DDR-Bürgern auf Interesse, von der politischen Führung der DDR wurden sie nicht zuletzt deshalb auch regelrecht gestört. War Ihnen dieses Interesse damals bewusst, bekamen Sie unmittelbar Resonanz auf ihre Sendungen?

Eine sehr starke Resonanz. Und zwar deshalb, weil dieser ganze Prozess - man spricht immer vom "Prager Frühling" und meint damit den Frühling 1968; aber dieser Prozess war ja nicht auf einmal vom Himmel gefallen, der hatte eigentlich seit 1956/57 begonnen - weil dieser ganze Prozess auch die Bürger in der DDR interessierte. Und mein Bemühen war, über diese zum Teil sehr leidenschaftlichen Diskussionen hier zu berichten. Es war ja die Zeit, wo man einen "dritten Weg" suchte - das Bessere vom Sozialismus und das Bessere vom Kapitalismus zusammengenommen -, diese Suche war ja das, was beherrschend war in den Diskussionen bis 1968. Und das war auch etwas, was teilweise auch die engagierten und etwas nachdenklicheren Menschen in der Bundesrepublik interessierte. Aber vor allem die Bürger in der DDR, weil dort diese Diskussionen zu Ulbrichts Zeit völlig verboten waren. Und seit dem Frühjahr 1968 wurden dann die deutschsprachigen Sendungen von Radio Prag in der DDR an vielen Orten in der DDR nachweislich gestört. Und wir bekamen damals massenhaft Briefe.

Das Rundfunkgebäude in Prag,  1968
Seit 1967/68 gab es dann in der Tschechoslowakei Pressefreiheit. Nach der Zerschlagung des "Prager Frühlings" durch die Warschauer-Pakt-Truppen - wie lange haben Sie dann noch daran geglaubt, dass sich diese Pressefreiheit irgendwie zurück erobern lässt, wie lang waren Sie und Ihre Kollegen im Rundfunk optimistisch?

Na ja, das war damals die Zeit der großen Diskussionen hier im Haus, und anderswo sicher auch. Man sagte sich, man muss hier so lang es geht die Stellung behaupten und wenigstens etwas von dem Erreichten retten. Wir haben uns gedacht, man wird nicht wieder in die Zeit vor 1956 zurückkehren. Aber da habe ich mich etwas verrechnet, ähnlich wie andere auch. Man wurde ständig im Ausland gefragt: Glauben Sie, dass das so weitergehen kann? Das gefällt Moskau doch nicht, Sie müssen doch damit rechnen, dass in der Tschechoslowakei dasselbe passiert wie zuvor in Berlin oder in Budapest, in Polen. Und da war ich einer der Naiven, der meinte: Natürlich gefällt ihnen das nicht. Wir alle, die wir diese Sendungen machten, waren ja auf einer schwarzen Liste - ich in der DDR und in der Sowjetunion. Aber ich hab mir immer gesagt: Heute sind wir so weit, dass sich die Sowjetunion das nicht leisten kann, mit brachialer Gewalt hier einzugreifen - in einem Staat, in dem Ordnung herrscht und der von allen damaligen Ostblockstaaten historisch gesehen der Russland freundlichste war. Wir waren ja nicht Ungarn, nicht Polen, nicht die DDR. Für diese Staaten war Russland aus historischer Sicht der Feind. Das war bei uns nicht der Fall. Und da hab ich gedacht: So klug müssen die Russen sein, dass sie nicht ihr eigenes System in Gefahr bringen. Aber sie haben es dann in Gefahr gebracht. Also, ich war sehr naiv.