Vom "Prager Frühling" zum Berufsverbot - Frantisek Cerny über seine Zeit bei Radio Prag (2. Teil)

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Vierzehn Jahre lang, von 1956 bis 1969, hat der ehemalige tschechische Botschafter in Deutschland, Frantisek Cerny, in der deutschen Redaktion von Radio Prag gearbeitet. Im ersten Teil unseres Interviews erzählte Herr Cerny am 31.8. in der Sendereihe "Forum Gesellschaft", wie er die politische Aufbruchsstimmung der späten 50er und dann vor allem der 60er Jahre als Journalist erlebte, erinnerte sich an die nachlassende Zensur und die zunehmende Öffnung der Medien und schließlich an die bewegten Tage des "Prager Frühlings" und seiner Niederschlagung im August 1968. Im zweiten Teil unseres Gesprächs geht es nun um die Zeit nach Cernys politisch bedingter Entlassung im Frühjahr 1969.

Als Sie im Frühjahr 1969 aus dem Tschechischen Rundfunk entlassen wurden, wurden Sie zugleich mit einem Berufsverbot als Journalist belegt, das letztlich 20 Jahre lang dauerte.

Berufsverbot und Reiseverbot. Also, ich konnte reisen - nach Bulgarien zum Beispiel - und in die DDR. Und das habe ich dann auch gründlich genutzt. Ich bin jedes Jahr in der DDR gewesen.

Sie haben nach 1989 dann das Angebot bekommen, in den Tschechoslowakischen Rundfunk zurückzukehren. Zu diesem Zeitpunkt hatten Sie sich aber schon für den Weg in die Diplomatie entschieden....

Nein, nein, es war anders herum: Ich wurde damals wie hunderte andere ehemalige Rundfunk-Mitarbeiter rehabilitiert, nachdem ich zwanzig Jahre lang als Deutschlehrer an der Volkshochschule in Prag unterrichtet hatte. In dieser Aufbruchzeit nach 1989 wurden Leute wie ich, mit einer relativ reinen Weste, auf einmal gesucht. Man wollte, dass ich zurück komme in den Rundfunk. Ich hab das damals in Erwägung gezogen. Aber erstens wollte man aus mir irgendwie eine Führungskraft machen. Und ich hab gesagt: Ich bin ein Chaot, ich kann und will nichts leiten. Dann hat man gesagt, wir brauchen Leute, die hier eine personelle "Ausmistung" vornehmen. Und das war schon gar nicht mein Anliegen. Und dann hab ich mir gesagt: Ich bin schon zwanzig Jahre weg von dem Beruf, war zwanzig Jahre nicht mehr journalistisch tätig. Und man soll nicht wieder in das gleiche Wasser, das schon nicht mehr das gleiche ist, springen. Und dann habe ich überlegt, was ich machen soll. Und da kamen Vaclav Havel und Jiri Dienstbier und haben gesagt, wir suchen auch Leute für die Diplomatie. Und da hab ich mir gesagt: Na gut, das ist etwas, woran ich nie im Leben gedacht hab. Das ist etwas, was ich noch nie gemacht hab, ich bin fast sechzig. Also versuch ich das mal. Und da hab ich zugesagt und bin Anfang 1990 in den diplomatischen Dienst gegangen. Aber ich hab von Anfang an gesagt, wenn ich das mache, versuch ich das als Seiteneinsteiger, weil mir die tschechisch-deutschen Beziehungen am Herzen liegen. Ich gehe nach Deutschland, aber ich gehe nicht nach vier Jahren nach Venezuela oder sonst wo hin. Ich werde nie ein Berufsdiplomat. Und ich glaube, das ist mir gelungen.

Haben Sie die Veränderung und Neuausrichtung von Radio Prag nach 1989 aufmerksam verfolgt?

Ja, das habe ich. Ich habe anfangs auch noch manchmal Beiträge und Kommentare geschrieben, solange ich noch Zeit dazu hatte. Und ich hab dann auch - da muss ich mich ein bisschen loben - immer wieder als hoher Staatsbeamter überall gepredigt, dass man das Geld für Auslandssendungen im Haushalt irgendwie finden soll. Denn es gab damals schon viele Stimmen, die sagten, in dieser Zeit hat das keinen Sinn mehr, Auslandssendungen sind etwas für Verrückte. Und aus den Erfahrungen aus den 60er Jahren mit diesem großen Interesse für die Sendungen heraus hab ich gesagt: Jetzt ist wieder etwas in Bewegung. Zwanzig Jahre liefen diese Auslandssendungen praktisch ohne eine Relevanz. Das war dann wirklich nur Tourismus, Propaganda. Aber jetzt passiert hier einiges und das könnte die Leute wieder interessieren. Also, dafür habe ich mich dann im Parlament und so weiter stark gemacht. Das ist natürlich nicht nur mein Verdienst. Aber Sie sehen, Sie senden ja heute immer noch.

Worüber glauben Sie sollte ein Sender wie Radio Prag heute berichten, wenn Sie als ehemaliger Diplomat das tschechisch-deutsche Verhältnis im Auge haben, welche Informationen über Tschechien brauchen die deutschen Hörer am meisten?

Vielleicht brauchen sie überhaupt keine Informationen, wir werden ja heute damit regelrecht überschwemmt. Aber ein Auslandssender sollte auf keinen Fall sein Land loben. Er soll eher zeigen, wo das Land seine Schwierigkeiten hat, wo heftig gestritten wird und wo es etwas gibt, was den ausländischen Hörer eventuell auch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen ansprechen kann. Möglichst viele heikle Themen. Das interessiert die Menschen. Wenn ich das so sage, darf man nicht vergessen, dass es damals, in den 60er Jahren natürlich auch Propaganda gab, so ganz ideal war das auch alles nicht. Aber jede Woche gab es doch kleine Fortschritte. Einer meiner größten Erfolge damals war das so genannte Karlsbader Gespräch mit dem heute viel diskutierten Günter Grass, mit dem ich befreundet bin. Das war in Karlsbad, und wir sprachen damals über eine Stunde über das, was man demokratischen Sozialismus nennt und woran Günter Grass gelegen ist. Und er hat sich auch sehr interessiert für die damalige Entwicklung in der Tschechoslowakei. Und dieses Gespräch war eine Bombe, besonders in der DDR. Da schrieben uns immer wieder Leute, ob man ihnen das nicht zuschicken kann, ob wir es nicht wiederholen können. Ich weiß nicht, wie oft wir das wiederholt haben - x Mal. Das so genannte Karlsbader Interview mit Günter Grass von 1968. Wenn ich das heute hören würde, würde ich wahrscheinlich auch feststellen, wie naiv wir damals beide waren.

Das Gespräch ist verloren?

Na ja, ich weiß nicht. Ich habe bereut, dass ich, als ich damals so plötzlich aus dem Rundfunk weggehen musste, vieles zurück gelassen habe. Ich hatte zum Beispiel auch die erste professionelle Aufzeichnung von Jiri Suchy in der "Reduta" gemacht hat. Auch das erste Interview mit Suchy habe ich gemeinsam mit Vladimir Kafka gemacht. Jiri Suchy hätte diese Aufzeichnung gerne für sein Archiv gehabt. Ich hab das Band damals irgendwo zusammen mit anderen Bändern im Rundfunk gelassen - in dem Glauben, dass ich es mir später wiederhole. Das ging dann nicht mehr. Und wo es dann gelandet ist, weiß ich nicht. Vielleicht ist es heute auch noch in irgendwelchen Lagerräumen.

Sie sind dem nie richtig nachgegangen?

Ich bin dem nie richtig nachgegangen. Das ging damals auch nicht.

Herr Cerny, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.

Ich wünsche Ihnen und Ihrer Redaktion Erfolg für Ihre Arbeit und Ihren Hörern interessante Sendungen.