Kurzwelle ade: František Černý blickt zurück
Vor anderthalb Jahren haben wir hier bei uns die Kurzwellensendungen ausgeschaltet. Seitdem sind wir für Sie vor allem über Internet und Satellit zu empfangen. Damals endete aber ein Stück Rundfunkgeschichte, schließlich hat Radio Prag zuvor 75 Jahre lang über Kurzwelle gesendet. In unserer Rubrik „Schauplatz“ haben wir Ende Januar 2011 deswegen eine kleine Reise in die Vergangenheit von Radio Prag unternommen. Unser Reiseführer war František Černý, in den sechziger Jahren Leiter der Deutschen Redaktion von Radio Prag, nach 1989 tschechoslowakischer und dann tschechischer Botschafter in Deutschland.
„Wir gehörten eisern umschlungen dem Warschauer Pakt an, aber, und das ist keine Nostalgie: Wir hatten hier eine gewisse Freiheit. Narrenfreiheit vielleicht. Aber sie war da, und ich ging jeden Tag freudiger in den Rundfunk.“
Die Aufbruchsstimmung, die damals in der Tschechoslowakei und insbesondere im Tschechoslowakischen Rundfunk zu spüren war, begeisterte auch viele deutsche Hörerinnen und Hörer.
„In dieser Zeit – 1967 begann das schon – änderte sich eigentlich der Hörerstamm dieser Sendungen. Das ganze war ja gemeint als Werbesendung für die ‚wunderschöne sozialistische Tschechoslowakei’. Wir sollten also der westlichen Welt ein möglichst schönes Bild von diesem Land vermitteln.“
Hörer gab es aber nicht nur in der westlichen Welt, sondern auch in der damaligen kommunistischen DDR. Tendenz rasant steigend.
„Es gab zwei deutsche Staaten. Und wir merkten, dass uns immer mehr Leute in der DDR zuhören. Leute, die sich wundern, dass es solche Sachen zu hören gibt aus diesem Bruderland, das genauso kommunistisch ist wie ihres.“
Das merkten schließlich auch die Behörden in der DDR. Und sie reagierten:
„Für mich war es der Höhepunkt als Rundfunkredakteur, als ich so gegen Ende Mai oder Anfang Juni (1968 Anm.) erfuhr, dass in einzelnen Orten der DDR Störsender, die auf den westlichen ‚Hetzsender’ RIAS ausgerichtet waren, plötzlich umgepolt wurden auf Radio Prag. Auf den offiziellen Sender des Bruderlandes Tschechoslowakei! Damals hatten wir wirklich als Auslandssender eine Massenhörerschaft. Ich bekam auch sehr viel Besuch. Man konnte damals ja aus der DDR nach Prag reisen. Jeden Tag meldeten sich Leute aus der DDR, die mit uns sprechen wollten. Sie sagten: ‚Sie machen so wunderbare Sendungen!’ Da merkte ich, dass sie das, was hier passiert, umso mehr interessierte, weil es in einem Land geschah, das genauso strukturiert, organisiert und indoktriniert war wie ihres.“Dennoch war František Černý zunächst noch überrascht von dem überwältigenden Echo aus Ostdeutschland. Denn die DDR-Bürger hatten, anders als die meisten Bürger der anderen Warschauer-Pakt-Staaten, einen relativ einfachen Zugang zu Information aus dem Westen. Noch dazu in ihrer Muttersprache.
„Ich habe ihnen gesagt: ‚Im Unterschied zu mir haben Sie ja alle Möglichkeiten! Sie sitzen in der DDR und verfolgen westliches Fernsehen. Die meisten von Ihnen sind Fans von westlichen Fußballklubs und nicht von den eigenen. Da haben Sie doch heute so viel zu erfahren über die Studentenbewegung in der Bundesrepublik!’ Das Jahr 1968, das war ja auch Amerika, Paris, Deutschland. Aber sie sagten: ‚Wissen Sie, das ist etwas anderes. Das, was bei Ihnen passiert, das ist etwas, das auch bei uns passieren sollte, passieren könnte.’ Daher das Interesse!“
Als František Černý nach der Samtenen Revolution des Jahres 1989 Botschafter in Deutschland wurde, da traf er dort auf so manche Diplomaten, die ihn – oder wenigstens seine Stimme – von früher kannten. Zum Beispiel auf den ehemaligen DDR-Botschafter in der Tschechoslowakei.
„Er hat gesagt: ‚Herr Botschafter, wir wussten von Ihnen! Wir mussten berichten, was Sie berichten. Sie sind uns sehr gut bekannt. Und nicht nur Sie, auch die vielen anderen!’ Ich sagte darauf: ‚Das wussten wir.’ Genauso haben die das ja auch in Moskau gemacht. Auch in Moskau gab es genaue Recherchen darüber, was Radio Prag sendet.“
Botschafter wurde František Černý übrigens auf Drängen von Václav Havel. Und von Jiří Dienstbier, dem ersten Außenminister der demokratischen Tschechoslowakei nach der Wende des Jahres 1989. Denn eigentlich wollte Černý zurück zum Radio, das er nach der Niederschlagung des Prager Frühlings durch die Truppen des Warschauer Pakts 1968 verlassen musste.„Jiří Dienstbier war einer meiner besten Freunde, bis er vor kurzem gestorben ist. Wir waren schon Kommilitonen an der Hochschule, später waren wir gemeinsam im Rundfunk, er ist dann Auslandskorrespondent geworden. Havel und Dienstbier haben mich also überredet. Ich wollte zurück in den Rundfunk. Aber meine Frau hat gesagt, das ist absoluter Blödsinn. Sie meinte, ich war 20 Jahre lang weg, die anderen sind professionell mittlerweile alle viel weiter. Aber ich fühlte mich trotzdem als Rundfunkmensch, und Dienstbier und Havel mussten mich direkt überreden.“
Mittlerweile ist František Černý in Rente. In den deutsch-tschechischen Beziehungen ist er aber immer noch aktiv. Unter anderem als Gründer des Prager Literaturhauses. Trauert er dem Medium Kurzwelle heute nach?
„Das ist nicht so leicht zu beantworten. Ich war nie Kurzwellenhörer und bin es auch jetzt nicht. Die Kurzwelle war so etwas, wo die Leute am Apparat saßen und zum Beispiel glücklich waren, etwas zu hören, was vielleicht vom Nordpol kommt. Aber trotzdem: Ich bin nicht mehr internetorientiert und werde es auch nicht mehr sein. Ich glaube, viele Leute, die heute Radio hören, hören lieber mit dem Radiogerät. Dass die Kurzwelle verschwindet, tut mir also schon leid. Zu meiner Zeit wurde den ganzen Nachmittag und abends auch noch über Mittelwelle gesendet, nur vormittags anderthalb Stunden über Kurzwelle. Es ist schade drum. Zumal wir uns hier ja damit rühmen können, dass die Auslandssendungen des Tschechoslowakischen Rundfunks die zweitältesten der Welt waren. Nur die BBC begann ein paar Monate vor uns. Welches Land hat eine solche Tradition aufzuweisen?“
Und was bleibt zu sagen, am Ende der letzten Sendung über Kurzwelle?
„Ich wünsche Radio Prag, dass es mit seinen Auslandssendungen in möglichst effektiver Weise weiter besteht!“
Danke!
Dieser Beitrag wurde am 31. Januar 2011 gesendet. Heute konnten Sie seine Wiederholung hören.