Ältester Zyklus von Marienbildern: romanische Kirche in Dolní Chabry

Kirche in Dolní Chabry (Foto: Martina Schneibergová)

Nicht nur in der Altstadt oder auf dem Hradschin gibt es in Prag historische Sehenswürdigkeiten. Einzigartige Baudenkmäler findet man häufig auch am Stadtrand, in den einst selbständigen Gemeinden, die heutzutage zu Prag gehören. Im Stadtteil Dolní Chabry am nördlichen Stadtrand steht eine einzigartige romanische Kirche, die bestimmt einen Besuch wert ist.

Kirche in Dolní Chabry
Im Mittelalter war in den Chroniken nur von einem Dorf namens Chabry die Rede, erst seit dem 16. Jahrhundert wurde ein Unterschied zwischen Dolní und Horní Chabry (Unter und Ober Chaber) gemacht. Die älteste Erwähnung des Dorfes stammt vom Ende des 11. Jahrhunderts. Es ist belegt, dass die Gemeinde ursprünglich Chrabři hieß – zu deutsch etwa die “Mutigen“. Im 15. Jahrhundert fiel das „r“ aus dem Namen und aus dem Dorf wurde Chabry.

Mitten von Dolní Chabry erhebt sich ein Hügel, auf dem eine romanische Kirche und ein Glockenturm stehen. Das ganze Areal ist von einer Mauer umgeben. Der romanische Sakralbau ist nicht nur die wertvollste Sehenswürdigkeit im Stadtteil, sondern gehört zu den bedeutendsten frühmittelalterlichen Bauten auf dem Gebiet Böhmens. Die Kirche, die dem heiligen Johannes dem Täufer geweiht ist, befand sich noch vor einigen Jahren in einem erbärmlichen Zustand. Eine 2007 gegründete Bürgerinitiative zum Schutz der Denkmäler in Dolní Chabry (OSOP) hat sich gemeinsam mit den Denkmalschutzexperten und dem Prager Erzbistum in den letzten Jahren für die Instandsetzung der Kirche eingesetzt. Der Bürgerinitiative ist es inzwischen gelungen, das Interesse der Öffentlichkeit für den wertvollen Sakralbau zu wecken. Davon zeugten auch die vielen Besucherinnen und Besucher, die im Mai dieses Jahres während der so genannten Nacht der Kirchen nach Dolní Chabry kamen. Beim Betreten der Kirche ist man vor allem von den Fresken fasziniert, die in der Apsis erhalten geblieben sind. Die Kirche stammt aus der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts. Hana Pištorová von der Bürgerinitiative OSOP führte die Interessenten während der Nacht der Kirchen durch den kleinen Sakralbau:

Foto: Martina Schneibergová
„Diese Wandmalereien wurden erst am Anfang des 20. Jahrhunderts freigelegt. Denn die Kirche wurde später im Barockstil umgebaut. Es gab hier einen Barockaltar und eine Barockkanzel, das Interieur sah ganz anders aus als heutzutage. Die hiesigen Wandmalereien hat erst vor zwei Jahren Professor Jan Royt von der Prager Karlsuniversität gründlich analysiert und beschrieben. Am interessantesten ist der Zyklus von Fresken, der sich im unteren Teil der Apsis befindet. Es sind Malereien, die das Leben der Jungfrau Maria darstellen. Jan Royt zufolge handelt es sich um den ältesten erhalten geblieben Zyklus von Marienbildern in Böhmen.“

Die Fresken entstanden nach 1250. Älter sind jedoch die Wandmalereien, die oben über diesem Zyklus zu sehen sind. Sie wurden in zwei Etappen gemalt und stammen aus den Jahren 1230 bis 1240. Die Fresken erinnern an Wandmalereien, die in der Apsis der Sankt-Georg-Basilika auf der Prager Burg erhalten geblieben sind, sagt Hana Pištorová.

Johannes der Täufer  (Freske)
„Die größte Figur ganz oben ist Christus, der über einer weißen Kleidung ein rotes Gewand trägt. Das scharlachrote Gewand ist ein Königssymbol. Mit der rechten Hand macht er ein Zeichen des Segens und in der linken hält er ein offenes Buch mit der lateinischen Inschrift ‚Ego sum primus et novissimus’. Das heißt ´Ich bin der Erste und der Letzte´. Die Christusfigur ist von einer Mandorla, also einer Art Aura umgeben. Im Hintergrund ist der blaue Himmel mit Sternen gut zu sehen. Zwei große Engelsfiguren halten die Mandorla hoch, zwei kleinere Engel berühren sie oben. Neben dem Christus sind Jungfrau Maria und auf der anderen Seite Johannes der Täufer abgebildet, also der Schirmherr dieser Kirche.“

Geburt von Jungfrau Maria
Im mittleren Streifen zwischen der Freske mit der Christusfigur und dem unten abgebildeten Zyklus aus dem Leben der Jungfrau Maria sind Apostelfiguren gemalt. Nicht alle sind aber noch gut zu erkennen. Auf dem weißen Hintergrund ist der heilige Petrus mit Schlüsseln in der Hand zu sehen. Auf der anderen Seite befindet sich Apostel Paulus. Ganz links steht der heilige Jakob der Größere.

Um den besonders wertvollen Zyklus der Wandmalereien aus dem Leben der Jungfrau Maria zu besichtigen, muss man etwas näher hintreten. Das Bild mit der ersten Szene aus Marias Leben wurde zerstört, als in die Wand anstelle des Bildes ein Sanktuarium eingebaut wurde, also ein Aufbewahrungsort von Reliquien. Die zweite Szene ist deutlich zu erkennen, sie stellt die Geburt von Jungfrau Maria dar:

Foto: Martina Schneibergová
„Die halb sitzende, halb liegende Person ist die heilige Anna, also Marias Mutter. Zu sehen ist hier noch eine Schüssel, die eine Frau der heiligen Anna reicht. Eine andere Frau hält ein Baby mit einem Heiligenschein auf dem Arm, das ist die neugeborene Maria. Die nächste Freske aus dem Zyklus stellt Marias Einführung in den Tempel dar. Ein Priester mit einer Mitra auf dem Kopf steht am Altar, der mit einem großen Kreuz geschmückt ist. Der Priester macht ein Segenszeichen. Halb versteckt hinter einer Säule steht eine Frau mit einer Kerze in der Hand, die heilige Anna, und sie begleitet die kleine Maria in den Tempel. Zu erkennen sind noch einige Frauenfiguren. Die nächste Wandmalerei ist schwer zu identifizieren, denn es sind davon nur zwei Figuren mit Heiligenscheinen erhalten. Gut zu sehen ist dagegen die letzte Freske aus dem Marienzyklus, auf der Marias Tod dargestellt ist. Maria liegt auf einem Bett, in der Mitte ist Jesus Christus zu sehen.“

Glockenturm
Bemerkenswert ist auch die Bauentwicklung der Kirche. Bei den archäologischen Ausgrabungen in den 1970er Jahren wurden Fragmente von drei älteren Bauten gefunden, die einst an diesem Ort standen. Anfang des 11. Jahrhunderts stand an der Stelle der heutigen Kirche schon eine Holzkirche. Diese wurde während des 11. Jahrhunderts durch einen anderen Sakralbau ersetzt, von dem jedoch nicht viel erhalten blieb. Am interessantesten war die dritte Kirche, die an diesem Ort stand.

„Das war eine Rotunde, die für die damalige Zeit unglaublich groß war. Das Kirchenschiff hatte einen Durchmesser von fast 13 Metern. Die Rotunde in Chabry war zu der Zeit die zweitgrößte Rotunde in Böhmen. Größer war nur die Sankt-Veit-Rotunde auf der Prager Burg, die einen Durchmesser von mehr als 15 Metern hatte. Die Archäologen haben sich die Frage gestellt, warum gerade hier, wo sich keine Burgstätte befand, eine so große Rotunde erbaut wurde. Die Wissenschaftler haben bis heute keine eindeutige Antwort auf diese Frage. Es wird vermutet, dass Chabry damals an einer Kreuzung von zwei wichtigen Handelswegen lag. Darum könnte hier eine so große Kirche erbaut worden sein.“

Die Johannes-der-Täufer-Kirche ist am besten mit dem Bus Nr. 162 von der Metro-Station Kobylisy zu erreichen. Der Bus hält direkt unter dem Kirchenareal.

Fotos: Martina Schneibergová