Alles bleibt gut - Paroubek zu Besuch in Berlin

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Seit mehr als anderthalb Jahren ist es so, und mittlerweile haben sich die meisten Tschechinnen und Tschechen an das Bild gewöhnt: Wenn es hohen Besuch aus dem Ausland gibt, oder wenn ein tschechischer Spitzenpolitiker in einem anderen Staat empfangen wird, dann flattern oft nicht nur zwei, sondern drei Flaggen durch die abendlichen TV-Hauptnachrichten. Die tschechische, die des Gastes oder Gastgebers, und die gemeinsame, also die der Europäischen Union. Unter den Fahnenmasten: Händedruck, roter Teppich, militärische Ehren. Wenig später hinter verschlossenen Türen: Verhandlungen - in der Regel über bilaterale Fragen und über Europa. So war es am Dienstag auch in Berlin, wo der tschechische Premierminister Jiri Paroubek zum ersten Mal mit der neuen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel zusammentraf. Gerald Schubert war dabei und skizziert einige Ergebnisse des Besuchs:

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"Für mich ist Prag mit sehr guten Erinnerungen verbunden. Mit Erinnerungen an eine wunderschöne, in sich geschlossene Altstadt, mit liebenswerten Menschen und sehr guten Lokalitäten - egal ob man den Wein oder das Bier liebt, oder das 'smazeny rizek'. Und vor allem mit Erinnerungen an die Kunstschätze, die Vielfalt, egal ob auf der Kleinseite, in der Altstadt oder auf dem Wenzelsplatz. Also Sie sehen schon: Ich habe fast ein bisschen Sehnsucht."

So die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel. Sie hielt sich in den achtziger Jahren mehrmals in Prag auf, als Gast-Physikerin an der Tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften. Das "smazeny rizek", an das sie sich gerne erinnert, also das "gebackene Schnitzel", bestellte sie auch später gerne in ihrer ehemaligen Prager Stammkneipe, als sie schon längst Kanzlerkandidatin der Bundesrepublik Deutschland war.

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Ihr erstes Treffen mit ihrem tschechischen Amtskollegen Jiri Paroubek sollte dann aber in Berlin über die Bühne gehen. Am Dienstag dieser Woche war es soweit. Eine Woche, die überschattet war von Debatten über geheime CIA-Gefängnisse in Europa und vom Streit über den Haushalt der EU. Vor allem letzteres Thema war sowohl Paroubek als auch Merkel ein Anliegen. Prag und Berlin versuchten, sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zum Vorschlag der britischen Ratspräsidentschaft zu einigen:

"Ich habe die deutsche Seite darauf aufmerksam gemacht, dass man alles tun sollte, um die Regeln für die Verwendung der Gelder zu lockern. Ich könnte mir auch Konzessionen bei der Mehrwertsteuer vorstellen, für gemeinnützige Vereine und Nichtregierungsorganisationen, oder auch für den Wohnungsbau. Also Bedingungen, auf die bestimmte Länder Mittel- und Osteuropas wohl hören würden", sagte der tschechische Regierungschef Jiri Paroubek im Anschluss an die Gespräche und spielte damit vor allem auf Polen und Ungarn an, die dem britischen Vorschlag extrem negativ gegenüberstehen.

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Im Vergleich zum Plan der luxemburgischen Präsidentschaft, der vor sechs Monaten gescheitert ist, würde dieser für Tschechien einen Verlust von immerhin zwei Milliarden Euro bedeuten. Dennoch: Paroubek will verhandeln, und er kann dabei wohl auf deutsche Unterstützung zählen. Angela Merkel:

"Ich glaube - und darüber haben wir auch gesprochen - dass insbesondere den neuen Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit diesem Vorschlag einiges abverlangt wird. Deshalb habe ich auch Verständnis, wenn diese Staaten ihn mit besonderen Augen betrachten, denn sie brauchen das Geld. Allerdings gibt es in diesem Vorschlag natürlich auch Ansätze für Flexibilisierungen, etwa die Möglichkeit, das Geld schneller einzusetzen. Man wird also in den Verhandlungen sehen, ob es zu einer Einigung kommt."


Die Aussiedlung der Deutschen,  1945
Politische Gespräche über das tschechisch-deutsche Verhältnis gehen eigentlich fast nie ohne einen Blick auf die Vergangenheit über die Bühne. Zwar gibt es seit dem Jahr 1997 die Deutsch-Tschechische Erklärung, in denen beide Seiten versucht haben, eine gemeinsame Perspektive auf ihre Geschichte zu finden, und auch eine gemeinsame Perspektive auf ihre Zukunftshoffnungen. Dennoch: Wenn es konkret wird, dann hilft manchmal auch der allgemein gehaltene Text dieser Deklaration nur recht wenig. So ließ etwa der Amtsantritt der neuen deutschen Bundesregierung in Tschechien schnell die Frage aufkommen, ob das Kabinett Merkel Eigentumsforderungen vertriebener Sudetendeutscher unterstützen werde. Doch die Kanzlerin beruhigt:

"Wir haben hier eine lange Tradition deutscher Bundesregierungen, und in dieser Tradition befindet sich auch die Regierung, die wir jetzt gebildet haben. Weder unter Bundeskanzler Helmut Kohl als auch unter Bundeskanzler Gerhard Schröder hat die Regierung Eigentumsansprüche unterstützt. Und genau diese Position wird auch die neue Bundesregierung haben."

An dem umstrittenen "Zentrum gegen Vertreibungen", das in Berlin entstehen soll, will Merkel aber festhalten. In Tschechien, aber vor allem in Polen war zuvor die Sorge laut geworden, dass dieses Zentrum die Themen Vertreibung und "ethnische Säuberung" zu sehr aus sudetendeutscher Sicht wahrnehmen würde. Vorangegangene Vertreibungen, wie etwa die der tschechischen Bevölkerung aus dem so genannten Sudetenland, würden dabei zu kurz kommen, so die Befürchtung. Merkel versucht auch hier Entwarnung zu geben:

"Was das Thema Zentrum gegen Vertreibungen anbelangt, so haben wir in der Koalitionsvereinbarung festgelegt, dass wir ein sichtbares Zeichen setzen wollen gegenüber einem Abschnitt der Geschichte, der für Deutschland eine große Bedeutung hatte. Über zwölf Millionen Menschen sind damals vertrieben und in Deutschland integriert worden. Aber ich möchte ganz klar dazusagen, dass wir das niemals als Relativierung unserer Geschichte betrachten werden. Wir kennen unsere Verantwortung, und genau darauf muss in der Diskussion geachtet werden. Wir versuchen das Ganze in einen europäischen Kontext einzubetten. In diesem Sinne werden wir tätig werden, aber eben ganz klar im Sinne einer Gesamtbetachtung und der Verantwortung für unsere Geschichte."

Ganz vom Tisch dürfte das Thema "Zentrum gegen Vertreibungen" damit jedoch nicht sein. Premierminister Jiri Paroubek über die Wahrnehmung des geplanten Zentrums in der tschechischen Öffentlichkeit:

"Ich habe der Bundeskanzlerin gesagt, dass diese Frage in Tschechien sogar in gemäßigten patriotischen Kreisen ein - wenn auch schon eher profan gewordenes - Thema ist. Ganz zu schweigen von den nationalistischeren Teilen der tschechischen Öffentlichkeit. So gesehen glaube ich nicht, dass dieses Zentrum für die politische Szene Tschechiens besonders produktiv wäre."


Premierminister Jiri Paroubek mit dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier  (Foto: Autor)
Nach dem Besuch im Kanzleramt stand am frühen Dienstagabend ein Gespräch zwischen dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Jiri Paroubek auf dem Programm. Ort des Geschehens war die tschechische Botschaft in Berlin. Den anwesenden Journalisten stellte Frank-Walter Steinmeier eine Frage aus dem Geografieunterricht, die nicht jeder Deutsche aus dem Stegreif richtig beantworten könnte: Mit welchem Nachbarland verbindet Deutschland die längste gemeinsame Grenze?

Immerhin waren die Journalisten zu Gast in der tschechischen Botschaft, Steinmeiers Antwort auf die rhetorische Quizfrage konnte also in diesem Fall nicht überraschen:

"Es ist in der Tat Tschechien. Und wenn ich Sie frage: Was ist von Berlin aus gesehen die nächste europäische Hauptstadt? Die Antwort ist Prag."

Schönwetterpolitik also auch vom deutschen Außenminister, der als Mann Gerhard Schröders in der neuen Bundesregierung gilt. Mit Schröder selbst hatte den Sozialdemokraten Paroubek zuletzt ein sehr freundschaftliches Vertrauensverhältnis verbunden. Dass unter der christdemokratischen Kanzlerin Merkel nun die Beziehung zwischen Prag und Berlin neu ausbalanciert werden muss, liegt auf der Hand. Vor der Heimreise nach Prag aber konnte Paroubek am Dienstag immerhin sagen:

"Ich halte meinen Besuch hier nicht für den Beginn einer neuen Etappe in den tschechisch-deutschen Beziehungen. Denn diese Beziehungen sind bereits auf einem hervorragenden Niveau, und ich denke, dort werden sie auch bleiben."