Alte Meister in zwei Palästen: Nationalgalerie erweitert Ausstellung

Ausstellung „Alte Meister II“ (Foto: Tschechisches Fernsehen)

Kurz vor Weihnachten hat die Nationalgalerie in Prag ihre neue ständige Ausstellung „Alte Meister II“ präsentiert. Der Leiter der Sammlungen alter Kunst, Marius Winzeler, erläutert das Konzept und führt durch die Galerie.

Marius Winzeler  (Foto: Bohumila Reková,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)

Herr Winzeler, die Nationalgalerie Prag öffnet den zweiten Teil ihrer ständigen Ausstellung „Alte Meister“. Der erste Teil wird seit einem Jahr im Palais Schwarzenberg auf dem Hradschin gezeigt. Jetzt befinden wir uns im Sternberg-Palais gleich gegenüber. Sie sagen, dass diese Ausstellung der Alten Meister in Prag ein sehr einzigartiges Konzept hat. Worin beruht diese Einzigartigkeit?

Sternberg-Palais  (Foto: Richard Mortel,  Flickr,  CC BY 2.0)

„Eben darin, dass wir zwei Teile haben. Das heißt, wir können eine wirklich große Auswahl von Hauptwerken aus der Sammlung alter Kunst der Nationalgalerie zeigen, mit unterschiedlichen Facetten und unterschiedlichen Konzepten. Im Schwarzenberg-Palais, diesem großartigen Bau der Renaissance, sind es Werke der Renaissance und des Barock in einem Konzept, das diese Residenz als Rahmen benutzt, wie den Palast eines privaten Sammlers. Die Besucher haben dort die Möglichkeit, ästhetische Erlebnisse zu haben, die Werke thematisch und eher assoziativ zu sehen. Und hier, im Sternberg-Palais, in einer Architektur, die geprägt ist von der Raumfolge im zweiten Stock, von einem Rundgang rund herum, haben wir uns für ein ganz anderes inhaltliches Konzept entschieden. Wir akzentuieren künstlerische Zentren und setzen im traditionelleren Sinne auch wieder die regionalen Schulen miteinander in Beziehung. Auf der einen Seite schaffen wir also ein eher ästhetisch-visuelles Kunsterlebnis, und hier kann man das ergänzen und auch noch einiges über diese kunsthistorischen Verbindungen hinzuerfahren.“

Wenn wir von den Alten Meistern sprechen: Was bedeutet das eigentlich? Und wie viele sind im Besitz der Nationalgalerie?

Ausstellung „Alte Meister II“  (Foto: Markéta Kachlíková)

„Die Alten Meister werden unterschiedlich definiert. Meist ist es die Kunst von Renaissance bis zum Ende des Barock, bis zum Klassizismus, also im Großen und Ganzen vom 15. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. In unserem Fall gehören auch Werke der Antike dazu, eine kleine Auswahl davon ist im Schwarzenberg-Palais als Inspirationsquelle für die Renaissance ausgestellt. So spannt sich der Bogen in unseren Sammlungen Alter Kunst letztlich von der Antike bis zu Goya. Die Nationalgalerie hat wirklich sehr umfangreiche und quantitativ große Sammlungen, es sind knapp 7000 Objekte. Davon haben wir jetzt in den beiden Palästen zusammen 600 Werke ausgestellt. Außerdem muss man noch das Agnes-Kloster hinzurechnen mit der einzigartigen Präsentation mittelalterlicher Kunst aus Mitteleuropa.“

Künstlerische Zentren und Schulen

Die Kunstwerke befinden sich heute im Besitz des Staates. Woran knüpft die Nationalgalerie dabei aber an? Woher stammen diese Bestände?

Josef Hoser  (Quelle: Wikimedia Commons,  CC0)

„Die Geschichte der Nationalgalerie ist sehr facettenreich und spannend. Der Ursprung der heutigen Institution war eine Privatgesellschaft patriotischer Kunstfreunde und wurde 1796 gegründet. Die Mitglieder stellten zunächst ihre privaten Sammlungen zur Verfügung. Im Laufe des 19. Jahrhunderts bildete man daraus eine eigene Sammlung. Dazu kam dann in den 1830er und 1840er Jahren eine große Schenkung vom kaiserlichen Leibarzt Josef Hoser. Er war ein umtriebiger Sammler und schenkte damals schon seine Kollektion mit dem Ziel, daraus eine Nationalgalerie aufzubauen. Auch heute spielen verschiedene historische Sammlungen eine wichtige Rolle. Am Anfang der Ausstellung im Sternberg-Palais werden die Primitiven, die italienische Kunst der Spätgotik und der Frührenaissance gezeigt. Dabei handelt es sich um eine der besonders kostbaren Kollektionen aus dem Besitz von Franz Ferdinand d’Este Habsburg, dem Thronfolger, der 1914 in Sarajevo ermordet wurde. Seine Sammlung wurde in den 1930er Jahren in die Nationalgalerie integriert. Oder eine andere ehemalige Privatsammlung stammt aus Russland, von Nikolai Kondakow, der als Emigrant in der Zeit Masaryks in die Tschechoslowakei kam. Seine Sammlung gehört heute der Akademie der Wissenschaften, und wir haben sie bei uns als dauerhafte Leihgabe. Des Weiteren handelt es sich natürlich um alte Sammlungen adliger oder bürgerlicher Herkunft, von denen wir Teile haben.“


Ausstellung „Alte Meister II“  (Foto: Archiv der Nationalgalerie in Prag)

Die Galerie bietet einen Rundgang durch die Säle im zweiten Stockwerk des Sternberg-Palais. Marius Winzeler führt durch die Ausstellung:

„Im ersten großen Saal, den sogenannten Barock-Saal, prangen die Goldgrundtafeln. Das ist zum einen eine Gruppe von wunderbaren russischen und griechischen Ikonen und zum anderen sind es Werke von Malern aus Italien, aus den Zentren Florenz und Siena, aber auch aus Umbrien und Ligurien.“

Hans Baldung Grien: ‚Die Enthauptung der heiligen Dorothea‘  (Quelle: Archiv der Nationalgalerie in Prag)

Der Rundgang führt den Besucher chronologisch durch die Werke, das ist aber nicht ganz streng gefasst. Im Konzept der Ausstellung sei es sehr wichtig gewesen, die Architektur des Palastes mit seinen schönen Innenräumen entsprechend zu bespielen:

„So kommt man dann aus dem ersten Saal in die frühere Galerie, die Graf Wenzel Adalbert von Sternberg errichtet hat, um in dem schmalen, langgestreckten Raum früher großformatige Bilder und Tapisserien zu präsentieren. Jetzt ist da ein Teil der altniederländischen und der altdeutschen Malerei ausgestellt mit sehr schönen kleinformatigen Werken. Da sieht man eines unserer Hauptwerke von Hans Baldung Grien: ‚Die Enthauptung der heiligen Dorothea‘. Es ist eines der frühen Winterbilder altdeutscher Malerei vom wichtigsten Schüler und Zeitgenossen von Albrecht Dürer.“

Im Bezug auf die Kunstzentren geht es dann mit Nürnberg und Augsburg weiter, einer Auswahl aus den Werken aus dem Umfeld von Dürer und weiteren.

Passionsretabel von Hans Raphon

Passionsretabel von Hans Raphon  (Foto: Archiv der Nationalgalerie in Prag)

„Und dann kommt man in den früheren Hauptsaal, eine Rotunde mit einer besonderen Akustik. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert befand sich hier eine Kapelle, und daran knüpfen wir auch an, indem wir hier einen ganz besonderen Schatz zeigen. Es ist das einzige in dieser Vollständigkeit erhaltene, große Passionsretabel in Böhmen – ein Werk, das eine lange Reise hinter sich hat. Gemalt wurde es um 1500 von Hans Raphon, einem Künstler aus Niedersachsen. Das Retabel bildete ehemals den Hochaltar der Dominikanerkirche in Göttingen, es kam dann in das niedersächsische Zisterzienserkloster Walkenried und von dort im Zuge der nachreformatorischen Unruhen und des Dreißigjährigen Krieges nach Böhmen. Dass die vielen Tafeln – wir zeigen zwölf Tafeln und das große Mittelbild – komplett hier wieder vereint sein können, grenzt an ein Wunder. Zum großen Teil sind es Leihgaben aus der Familie Kolowrat Krakowski. Die Rotunde eignet sich sehr gut, dieses monumentale Werk jetzt einmal so geschlossen und konzentriert betrachten zu können.“

Ausstellung „Alte Meister II“  (Foto: Markéta Kachlíková)

Die nachfolgenden Bilder stammen von Künstlern deutscher und österreichischer Herkunft aus dem 16. bis 18. Jahrhundert.

„Hier haben wir, ein bisschen inspiriert von den barocken Galerien, Gruppen gebildet, die auch den Reichtum der Sammlung zeigen. In diesem Raum verdient die Wiener Kabinettmalerei, die besonders reich in unseren Beständen vertreten ist, ein besonderes Augenmerk.“

Pieter Bruegel der Ältere: ‚Die Anbetung der hl. drei Könige‘  (Quelle: Archiv der Nationalgalerie in Prag)

Anschließend kommt man in die Hauptenfilade, das ist die Raumfolge entlang des Hirschgrabens mit Räumen, in denen zum Teil auch sehr schöne Stuckdecken von Donato Giuseppe Frisoni erhalten sind.

„Wir bieten hier einen Überblick über die flämische und niederländische Kunst des Barock. Also von der Breughel-Familie, über Antwerpen mit einigen wichtigen Werken unserer Sammlung von Jordaens, Van Dycke und Peter Paul Rubens, bis in die holländischen Kunstzentren.“

Bis dahin unzugängliche Werke

Foto: Archiv der Nationalgalerie in Prag

Das Lieblingskabinett des Bauherrn ist ein Raum, den Johann Rudolf Byss 1708 mit der kostbarsten Decke des Palastes ausgestattet hat: mit einer Verherrlichung des Wappens der Familie Sternberg.

„Da Wenzel Adalbert von Sternberg den Orden des Goldenen Flieses erhalten hat, hat Byss dieses Thema mit der Argonauten-Sage aufgegriffen. Dieses Kabinett war für Sternberg besonders wichtig, weil er von hier einen Blick auf die Burg hatte, und zwar auf den Teil der Prager Burg, den Rudolf II. für seine Sammlungen hat errichten lassen – also den großen neuen Saal, den Spanischen Saal, die Rudolfinische Galerie und darunter die kaiserlichen Stallungen. Wir haben jetzt dieses schöne Kabinett, das schon immer sicherlich besondere Dinge bewahrt hat, mit Werken von französischen Künstlern ausgestattet, die nach Rom reisten, um sich dort inspirieren zu lassen.“

Ausstellung „Alte Meister II“  (Foto: Markéta Kachlíková)

Die letzten Räume dieses Rundganges sind der spanischen und italienischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts gewidmet.

„Seit langer Zeit sind hier ebenso etliche Werke aus den Depots zu sehen. Sie zeigen eben auch, was für einen Reichtum wir in den Sammlungen haben. Es sind Werke mit einem neapolitanischen oder venezianischen Bezug. Dazu gehören aber auch spanische Skulpturen, die in ihrem Realismus und mit ihrer Farbigkeit etwas Besonderes sind. Ich freue mich zudem, dass es gelungen ist, unsere kleine Ölskizze des heiligen Petrus im Gefängnis von Murillo hinzuzufügen. Das Werk war lange nicht zugänglich, weil es restauriert werden musste. Ein Gewinn der neuen Präsentation der Alten Meister ist, dass dafür etliche Werke von unserem restauratorischen Atelier untersucht, konserviert und restauriert werden konnten. Daher können wir hier jetzt wirklich eine größere Bandbreite, ein größeres Spektrum an vielseitig spannenden Werken ins Licht setzen. Und zusammen mit der Präsentation im Schwarzenberg-Palais entsteht so ein großartiger Überblick über die europäische Kunst mit ganz wichtigen und einzigartigen Schwerpunkten.“

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Die Ausstellung „Alte Meister II“ ist derzeit wie auch andere Kultureinrichtungen in Tschechien wegen der schlechten Corona-Lage geschlossen. Sie befindet sich im Sternberg-Palais in unmittelbarer Nähe der Prager Burg. Da es sich um eine ständige Ausstellung der Nationalgalerie handelt, wird es nach der Pandemie noch genügend Möglichkeiten geben, sie zu besichtigen.