Am Fluss Otava wird der Namenstag begangen: Stadt Horažďovice (II.)

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Viele der Urlauber, die in den südwestlichen Böhmerwald reisen, können die Stadt Horažďovice nicht meiden. Die Vorstadt Babín gilt als ein Eisenbahnknotenpunkt. Mit dem Auto reist man direkt am Schloss vorbei. Es lohnt sich jedoch, hier anzuhalten, denn im Schloss ist das Stadtmuseum untergebracht. In der letzten Ausgabe des „Reiselands Tschechien“ haben wir Sie in das Schloss von Horažďovice eingeladen und versprochen, die Führung durch die Museumsammlungen fortzuführen.

Im Jahre 1895 hat in Prag die Ethnografische Tschechisch-Slawische Ausstellung stattgefunden. Im selben Jahr wurde das Stadtmuseum in Horažďovice gegründet. Für die Ausstellung habe man damals auch in der Region von Horažďovice Volkstrachten und Volkskunst gesammelt, sagt die Museumsleiterin Hana Smetanová.

„In unseren Sammlungen haben wir gestickte Häubchen, Keramik sowie viele alte Drucke und Volksbücher. Die Volkstracht aus der Region Prácheň, die hier ausgestellt ist, stammt nicht aus der Zeit der Museumsgründung. Die Volkstrachten aus der Region sind schnell verschwunden. Während der Ersten Republik hat man sie nicht mehr getragen. Dieses Exponat zum Beispiel stammt von einer Frau, die die Volkstracht getragen und sie dem Museum vererbt hat. Daran sieht man, wie die Volkstracht von Prácheň Anfang des 20. Jahrhunderts ausgesehen hat.“

In einer Ecke des Museumsraums kann man sich auch eine Vorstellung davon machen, wie einst in den Bauernhaushalten das so genannte „kout“ ausgesehen hatte: es war eine Raumecke, die für die Wöchnerin und ihr Kind eingerichtet wurde.

Über den Fluss Otava, an dem die Stadt Horažďovice liegt, wird behauptet, es sei ein Gold bringender Fluss. In der Vergangenheit hat man wirklich den Goldsand aus dem Fluss gewaschen. Auch Perlen gab es in der Otava. Davon aber wissen die Leute heutzutage kaum noch etwas, obwohl die letzten Perlmuscheln im Fluss noch vor etwa 60 Jahren gezüchtet wurden. Die erste Erwähnung über Perlen in Horažďovice stammt aus dem Jahr 1594. Diepold Švihovský ordnete damals an, die Perlmuscheln zu schützen. 50 Schock Groschen Strafe musste derjenige zahlen, der ohne Erlaubnis eine Perlmuschel aus dem Wasser gefischt und die Perle heraus genommen hatte. Perlmuscheln habe es vermutlich im Fluss schon immer gegeben, sagt die Museumsleiterin:

„Erst im 18. Jahrhundert gründete hier die Familie Rummerskirch die künstliche Perlmuschelnzucht. Sie haben Perlmuscheln aus Holland in der Otava gezüchtet. Heutzutage würde man sagen, sie haben sich zu den Muscheln sehr ökologisch verhalten. Sie haben sie aus dem Fluss geholt und mit einer Art Schlüssel geöffnet. Diese Schlüssel kann man hier in einer Vitrine sehen. Falls sich in der Muschel eine Perle befand, hat man sie mit einem silbernen Löffel heraus genommen. Hätte man sie mit der Hand berührt, hätte die Perle ihren Glanz verloren. Egal, ob sich in der Muschel eine Perle befand oder nicht, sie wurde so vorsichtig geöffnet, dass man sie immer wieder in den Fluss zurücklegen konnte. Zum letzten Mal hat man die Perlmuscheln 1944 aus der Otava gefischt. Damals wurden schon nicht mehr so viele Perlmuscheln gefunden und auch nur einige Dutzend hatten Perlen. Die Perlmuschel braucht zudem ein sehr sauberes Wasser. Der Fluss aber war infolge der rasanten Industrieentwicklung, die vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg einsetzte, nicht mehr so sauber wie einst. Das war gleichbedeutend mit dem Ende der Perlmuscheln in der Otava.“

Die Perlen aus der Otava waren auch im Ausland gefragt, heißt es in den Dokumenten des Museums. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Frage: Ist denn inzwischen noch niemand auf die Idee gekommen, mit der Perlmuschelnzucht erneut zu beginnen?

„Ich meine, der Fluss ist immer noch nicht so sauber wie einst. Naturfreunde haben Perlmuscheln zwar schon irgendwo ausgesetzt, aber sie verraten nicht wo.“

Diese Haltung sei aber durchaus verständlich. Denn Perlmuscheldiebe dürfte es sicher auch im 21. Jahrhundert geben, auch wenn sie nicht wie früher 50 Schock Groschen Strafe zahlen müssen, sagt Museumsleiterin Hana Smetanová.

Eine Sonderausstellung im Stadtmuseum ist der jüdischen Bevölkerung von Horažďovice gewidmet. Die ersten Belege über die jüdische Besiedlung der Stadt stammen aus dem Jahr 1618. Juden haben wahrscheinlich schon früher hier gelebt. Am Ende des Dreißigjährigen Kriegs wohnten einige jüdische Familien in Horažďovice. Die Juden hätten im Laufe der Jahrhunderte die Industrie in der Stadt angekurbelt, sagt Hana Smetanová und nennt gleich ein Beispiel:

„Die Stärkefabrik Amylex, die bis heute produziert, wurde im 19. Jahrhundert von einer jüdischen Familie gegründet. Interessant ist die Tatsache, dass die hiesigen Juden tschechisch gesprochen und geschrieben haben. Dies geht aus den Matrikeln hervor. In einer Zeit, in der das Gemeindeamt offizielle Berichte in Deutsch eingetragen hat, haben die Juden ihre Angelegenheiten in Tschechisch notiert.“

Heute leben keine Vertreter der jüdischen Gemeinde mehr in Horažďovice. Von den 97 Juden, die während des Zweiten Weltkriegs in die Konzentrationslager verschleppt wurden, sind nur fünf zurückgekehrt. Unter den Zurückgekehrten war auch ein Kind: Jaroslav Fischl. Er lebt heutzutage in Israel und hilft dem Museum seiner Heimatstadt mit hebräischen Übersetzungen, erzählt die Museumsleiterin. Die Synagoge wurde erst 1980 abgerissen. Einige Gegenstände aus ihrem Interieur sind im Museum ausgestellt.

Im Stadtmuseum in Horažďovice können die Besucher die verschiedensten Exponate nicht nur besichtigen, sondern mehrere davon auch berühren. Zudem können sie ihre manuellen Fähigkeiten testen. Hana Smetanová lädt mich in die interaktive Werkstatt ein:

„Wir kehren in die Vergangenheit zurück. In dieser Werkstatt wollen wir nicht nur etwas zeigen, sondern die Besucher auch ausprobieren lassen, wie schwierig es war, damals Dinge herzustellen und wie viel Zeit man dafür benötigt hat. Man kann hier nacherleben, wie viel Geduld unsere Vorfahren hatten und wie geschickt sie sein mussten. In dem Raum hier ist all das zusammengetragen, was man früher zum Leben in einer Böhmerwaldhütte gebraucht hat. In diesem beheizten Raum hat man gegessen, geschlafen und gearbeitet. Zunächst kann man ausprobieren, wie damals Waren aus Holz herstellt wurde. Im Böhmerwald hat man gesagt, dass das Holz den Menschen von der Geburt bis zum Tod begleitet – von der Wiege bis zu den Totenbrettern.“

Vor allem im Winter hat sich im Böhmerwald fast jeder mit der Herstellung kleiner Dinge wie Löffel und Kochlöffel beschäftigt. Im 19. Jahrhundert, als der Einfluss der Zünfte schwächer geworden ist, konnte dann jeder seine Produkte auf dem Markt anbieten, erzählt mir Hana Smetanová. Das Schnitzen habe ich dann auch gleich ausprobiert: ich habe ein Stück Holz in die Werkbank eingespannt, die umgangssprachlich „dedek“ genannt wurde. Die Geduld aber hat mir gefehlt. Viel mehr als Hobelspäne habe ich nicht erzeugt.

Neben dem Schnitzen habe versucht, auch etwas zu weben. Der Webstuhl mit dem Jacquardaufsatz, an dem man sein Können testen kann, ist einzigartig in Tschechien. Er stammt vom Ende des 19. Jahrhunderts. In den Bauernhäusern wurde jedoch nur im Winter am Webstuhl gearbeitet, sagt Hana Smetanová. Im Sommer haben die Böhmerwäldler den Webstuhl auseinander genommen und auf den Dachboden gestellt. Ich habe aber festgestellt, dass ich doch eher eine bessere Holzschnitzerin als Weberin geworden wäre. Das Spitzenklöppeln habe ich diesmal nicht ausprobiert, dafür aber das Kämmen der Wolle auf einer Karde. Und schließlich habe ich noch gelernt, wie man mit einem Spinnrad umgeht. Einen Besuch des Stadtmuseums von Horažďovice und vor allem der interaktiven Werkstatt kann ich daher nur empfehlen. Denn man dort auch erfahren, inwieweit noch unerkannte handwerkliche Begabungen in einem schlummern.

Mehr über das Museum sowie die interaktive Werkstatt erfahren Sie unter:http://www.muzeumhd.cz

Fotos: Autorin

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