Anhaltendes Wirtschaftswachstum in Tschechien

Die Zeiten der Rezession scheinen in Tschechien definitiv der Vergangenheit anzugehören. Wie die Vorsitzende des tschechischen Statistischen Amtes, Marie Bohata, vergangene Woche vor den Medien ausführte, befindet sich die Wirtschaft schon im siebten aufeinanderfolgenden Quartal in schwarzen Wachstumszahlen. Für das erste Quartal 2001 betrug der Zuwachs, gemessen an der entsprechenden Vorjahresperiode, 3.8 %. Ein Blick auf die neuesten ökonomischen Daten ist Thema der folgenden Minuten. Von Rudi Hermann.

Um 3.8 %, es wurde schon gesagt, ist die tschechische Wirtschaft im ersten Quartal dieses Jahres im Vergleich zur entsprechenden Periode des Jahres 2000 gewachsen. Das ist mehr, als in den USA und in der Euro-Zone verzeichnet wurde, wo die entsprechenden Werte 2.6 und 2.5 % betrugen. Damit kann nach längerer Zeit wieder von einer Annäherung an die EU, wenn auch in kleinen Schrittchen, gesprochen werden. Die Konjunkturabschwächung in der EU-Zone setzt allerdings auch gleich ein kleines Fragezeichen, wie lange das tschechische Wirtschaftswachstum anhalten wird. Denn in der offenen Wirtschaft eines kleinen Landes ohne bedeutende Rohstoffreserven, wie es in Tschechien der Fall ist, spielt der Export traditionell eine wichtige Rolle für das Wachstum. Und der tschechische Export zielt zur grossen Mehrheit in die Euro-Zone. Herrscht dort eine gute Konjunkturlage, freuen sich deshalb auch die tschechischen Ausfuhrunternehmen und mit ihnen die Statistiker.

Dominantes Element für das tschechische Wirtschaftswachstum ist der Aussenhandel, denn die Zuwachsrate bei den Importen machte 22%, bei den Exporten knapp 20 % aus. Doch steht das derzeitige Wirtschaftswachstum steht allerdings nicht allein auf der Basis des Aussenhandels. Wie an der Pressekonferenz des Statistischen Amtes zu erfahren war, lag ein wesentlicher Wachstumsmotor im ersten Quartal dieses Jahres in einer um 7.3 % erhöhten Investitionsnachfrage. Ein drittes Standbein des Wachstums liegt im privaten Binnenkonsum, der nach mageren Jahren wieder deutlich im Steigen begriffen ist und gegenüber dem ersten Quartal 2000 um 3.9% zugenommen hat. In diesem Bereich wurde allerdings mehr Wert auf Anschaffungen längerfristigen Charakters oder auf Ausgaben für Bildung gelegt als auf kurzlebige Konsumgüter und Nahrungsmittel. Der Verbrauch der Regierung gehörte dagegen zu den Kapiteln, wo ein leichter Rückgang um rund ein Prozent zu verzeichnen war.


Analytiker und Finanzinstitutionen erwarten, dass sich im Laufe dieses und des nächsten Jahres das Wachstum weiter beschleunigen dürfte. Finanzexperten privater Gesellschaften wiesen darauf hin, dass die Zunahme des Privatkonsums auf das Ansteigen der Löhne zurückzuführen sei. Der Durchschnittslohn lag in der beobachteten Periode um nominal 9.3 % höher als im Vorjahr, was einer Reallohnsteigerung von etwa 5 % entspricht. Einen Einfluss auf den Privatkonsum hatte ferner der leichte Rückgang der Arbeitslosigkeit.

Wie seitens der Nationalbank verlautete, bereitet der zunehmende Inlandkonsum wenig Kopfschmerzen wegen erhöhten Inflationsdrucks auf Grund einer steigenden Nachfrage. Michaela Erbenova vom Zentralbankrat erklärte der Wirtschaftszeitung Hospodarske noviny, die statistischen Daten stellten keine substantielle Richtungsänderung der Wirtschaftsentwicklung dar. Als Risiko betrachtet man in der Zentralbank jedoch die Entwicklung des Defizits der öffentlichen Finanzen, das zusammen mit dem steigenden negativen Leistungsbilanzdefizit die Währung unter Druck bringen könnte. Denn wenn auch die Exporte eine solide Wachstumsrate von 20 % verzeichneten, so lagen die Importe noch etwas höher, wodurch sich die Schere zwischen Ein- und Ausfuhren und damit das Aussenhandelsdefizit weiter öffnet. Positiv ist immerhin, dass auf der Importseite die Einfuhren von Technologie und Maschinen einen bedeutenden Teil ausmachen. Denn solche Importe dienen dazu, die hiesigen Produktionskapazitäten zu rationalisieren und zu modernisieren, wodurch die Exportindustrie leistungs- und konkurrenzfähiger wird und sich das Exportwachstum damit mittelfristig weiter steigern könnte. Allerdings bleibt in diesem Zusammenhang, wie schon erwähnt, abzuwarten, wie sich die nachlassende Konkunktur im Euro-Raum auf die tschechischen Ausfuhren auswirken wird. Vorläufig allerdings verzeichneten die Exportunternehmen noch keinen Rückgang der Nachfrage.


Im ostmitteleuropäischen Raum steht Tschechien nicht allein mit einem Wachstum, das höher liegt als in der Euro-Zone. Vielmehr ist in der ganzen Region der EU-Kandidatenländer eine solide Entwicklung zu beobachten. Spitzenreiter sind in dieser Hinsicht Ungarn und Slowenien, die trotz einem schon relativ weit fortgeschrittenen Reformstand dieses Jahr Wachstumsraten in der Grössenordnung von 5 % verzeichnen dürften. Auf noch höhere Zahlen freut man sich zwar in Bulgarien und auch der Ukraine, doch ist die Vergleichsbasis in diesen beiden Ländern tiefer, weshalb es einfacher ist, eine relative Wachstumsbeschleunigung zu erreichen. In der Slowakei dürfte das Wachstum etwa ähnlich hoch liegen wie in Tschechien, und zwar nicht zuletzt dank endlich steigender Auslandinvestitionen. In Polen, wo man jahrelang ein hohes Tempo gewohnt war, dürfte sich das Wachstum allerdings verlangsamen und dieses Jahr unter vier Prozent fallen.


Neben Politikern und Wirtschaftsanalytikern nahm auch das ökonomische Fachblatt Hospodarske noviny die vom statistischen Amt veröffentlichten Zahlen mit Genugtuung zur Kenntnis. Im Kommentar der Zeitung hiess es unter anderem:

Optimismus über den Aufschwung der Wirtschaft herrscht nicht nur bei den Politikern, sondern auch unter unabhängigen Beobachtern, und der Markt selbst hat die tschechische Wirtschaft mit einem Anziehen der Krone gegenüber dem Euro fast auf ein Allzeit-Maximum quittiert. Das Vierteljahreszeugnis der Wirtschaft ist gut ausgefallen, und das schon zum siebten Mal hintereinander. Die Hoffnungen werden noch durch die Tatsache gestärkt, dass das Wachstum auf der Basis von Investitionen in die Produktion steht und dass am meisten Mehrwert in der Industrie, vor allem im verarbeitenden Bereich, erzielt wurde. Auch dieses erfreuliche Bild hat allerdings einige Schönheitsfehler. Ob es sich nur um kosmetische Angelegenheiten handelt, oder ob diese mit der Zeit sichtbare Narben hinterlassen, wird sich zeigen. Zum Beispiel der schwer zu entziffernde Posten Reserven, ein beliebtes Spielzeug für die Statistiker. In der Zeit der Rezession hiess es, dass grosse Vorräte auf volle Lager von Waren und Halbfertigprodukten hinweisen, für die auf dem Markt kein Interesse besteht. Heute hoffen jedoch die Optimisten, dass die grossen Reserven darauf hindeuten, dass es um noch nicht fertiggestellte Produktion handelt, die in der Buchführung noch nicht auf die Seite der Investitionen überführt wurde. Mit dem zunehmenden Privatkonsum und der weiteren Entwicklung von Super- und Hypermärkten kann ferner angenommen werden, dass die meisten Vorräte in den Verkauf gelangen werden. Die Fachleute prognostizieren, dass der Aufbau des Detailhandelsnetzes bei uns noch nicht abgeschlossen ist und weiteres Potenzial birgt und damit das Handelsvolumen weiter ansteigt. Mehr noch als vom Privatkonsum wird das Wirtschaftswachstum von den Investitionen gezogen. Auf den Zufluss von ausländischen Investitionen kann allerdings nur schwer Einfluss genommen werden, und mit einer fortschreitenden Konjunkturabschwächung in Westeuropa kann diese Quelle versiegen. Auch die grossen Privatisierungsprojekte sind bald einmal abgeschlossen, so dass auf Einkünfte dieser Art nicht mehr lange abgestellt werden kann. Doch je mehr unsere Produzenten ihren Endprodukten Mehrwert beifügen können, desto grösser ist die Chance, dass tschechische Erzeugnisse nicht nur morgen oder im nächsten Jahr, sondern auch noch nach 50 Jahren konkurrenzfähig sind.

Autor: Rudi Hermann
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