April 1945: „Regierungsprogramm von Košice“ öffnet die Tür für außenpolitischen Kurswechsel der ČSR

Zwischen dem 3. und 5. April 1945 kamen tschechoslowakische Exilpolitiker im bereits befreiten Košice / Kaschau in der Ostslowakei zusammen. Zwei Delegationen, die eine aus Moskau, die andere aus London, unterzeichneten das so genannte „Regierungsprogramm von Košice“. Dem Kompromiss über die Bildung der ersten tschechoslowakischen Nachkriegsregierung gingen im März intensive Gespräche beider Verhandlungspartner in Moskau voraus. Das Dokument signalisierte einen außenpolitischen Kurswechsel des Landes – die verstärkte Hinwendung zur Sowjetunion.

Slowakischer Staat 1939-1945  (Quelle: XrysD,  Wikimedia CC BY-SA 3.0)
Anfang 1945 verteilte sich das Territorium der Vorkriegstschechoslowakei immer noch auf zwei Länder: das „Reichsprotektorat Böhmen und Mähren", zwangsweise dem Hitler-Deutschland untergeordnet, und der unter deutscher Hegemonie stehende „Slowakische Staat“. Die Entwicklung an den Fronten in Ost und West ließ allerdings keinen Zweifel mehr, dass sich der Krieg unaufhaltsam seinem Ende zuneigte. Für diesen Zeitpunkt trafen die tschechoslowakische Exilregierung mit Sitz in London sowie die Führung der tschechoslowakischen Kommunisten in Moskau intensive Vorbereitungen. Ihre Anführer, Edvard Beneš, Staatspräsident der Vorkriegstschechoslowakei, und der kommunistische Parteivorsitzende Klement Gottwald einigten sich bereits 1943 auf eine Zusammenarbeit im tschechoslowakischen Widerstandskampf – sowohl im Ausland als auch auf dem Gebiet der besetzten Tschechoslowakei. Bis dahin lief die Organisation separat von London und Moskau aus.

Košice
Im Januar 1945 berichtete der Moskauer Rundfunk über Stalins Befehl an die Rote Armee, die ersten Städte der Ostslowakei zu befreien. Zu der Zeit operierten in der Region noch immer starke Divisionen der deutschen Wehrmacht.

Treffpunkt zwischen Moskau und London

Am 20. Januar 1945 wurde Košice als die erste größere Stadt der Slowakei befreit. Zwei Monate später sollte sie zum Treffpunkt von Vertretern der politischen Repräsentanten aus London und Moskau werden. Aufgenommen hatten die beiden Delegationen ihre offiziellen Verhandlungen in Moskau. Die Vorstellungen der beiden Seiten über eine neue Regierung waren in vielen Punkten unterschiedlich. Letztlich gelang es, ein Kompromiss auszuhandeln. Am 4. April traf Beneš mit dem designierten Kabinett in Košice ein. Es bestand aus 16 tschechischen und neun slowakischen Ministern. Die Kommunisten hatten die Mehrheit. Einen Tag darauf unterzeichneten alle das „Regierungsprogramm von Košice“. Dass dieses Dokument eine verstärkte Hinwendung zur Sowjetunion in der außenpolitischen Orientierung der Nachkriegstschechoslowakei verankerte, ist nicht nur auf die prosowjetischen Interessen der Kommunisten zurückzuführen.

Jan Šrámek
Im Dezember 1943 wurde in Moskau der tschechoslowakisch-sowjetische „Vertrag über Freundschaft, gegenseitige Beihilfe und Zusammenarbeit“ nach dem Krieg im Beisein von Beneš und Stalin unterzeichnet. Das Dokument wurde auch zur Grundlage des Regierungsprogramms von Košice. Die darin festgehaltene Orientierung an der Sowjetunion befürworteten damals auch nichtkommunistische Politiker. Jan Šrámek, Vorsitzender der Londoner Exilregierung, kurz vor seiner Reise nach Moskau im März 1945:

“Wir haben begriffen, dass nur ein festes Bündnis mit unserem großen slawischen Nachbarn, der Sowjetunion uns die Garantie für eine flexible und wirkungsvolle Hilfeleistung im Fall eines wiederholten deutschen Angriffs gewähren kann. Das unterzeichnete Abkommen mit der Sowjetunion garantiert nicht nur die Erneuerung der Integrität unseres Staates, sondern es stellt auch die grundlegende Voraussetzung für unsere künftige Außen- und Verteidigungspolitik dar.“

Jan Němeček  (Foto: Jan Ptáček,  Archiv des Tschechischen Rundfunks)
Im Artikel vier des tschechoslowakisch-sowjetischen Vertrags steht ausdrücklich geschrieben, dass sich kein Vertragspartner in die inneren Angelegenheiten des anderen Verhandlungspartners einmischen wird. Diese Verpflichtung hielt die Sowjetunion aber nach dem Krieg nicht ein. Was bewog Edvard Beneš, das Bündnis mit der Sowjetunion einzugehen? Diese Frage wird hierzulande bis heute kontrovers diskutiert. Der Historiker Jan Němeček:

„Er sah, dass das Konzept der kollektiven Sicherheit aus der Zwischenkriegszeit gescheitert war. Beneš glaubte, dass es durch bilateral vereinbarte Bündnisse mit Weltmächten ersetzt werden musste, die die Garantie für die Nachkriegstschechoslowakei übernehmen. Seien es die USA, Großbritannien oder die Sowjetunion. Innerhalb dieser Konstruktion gelang es jedoch nur den Bündnisvertrag mit der Sowjetunion zu verwirklichen. Sein Text wurde nach dem Vorbild des im Mai 1942 abgeschlossenen britisch-sowjetischen Vertrags verfasst. Die britische Regierung kann man wohl kaum verdächtigen, sich Stalins Joch gebeugt zu haben. Auch das tschechoslowakisch-sowjetische Abkommen von 1943 galt als ein den internationalen Standards entsprechender Akt. Das Problem besteht darin, dass ein Vertragswerk nur so lange in Kraft ist, so lange beide Seiten zu dessen Einhaltung bereit sind.“

“In engster Zusammenarbeit mit der Sowjetunion“

Jan Masaryk  (Foto: Archiv United States Library of Congress,  Public Domain)
Am 13. April 1945 wurde im BBC-Auslandsprogramm für Tschechen und Slowaken die Ansprache von Jan Masaryk gesendet, der bis 1948 das Amt des Außenministers der ČSR innehatte. Eines seiner Themen war auch die Regierungserklärung von Košice:

„Unsere Außenpolitik wird sich in engster Zusammenarbeit mit der Sowjetunion gestalten. Dies muss für jeden Menschen einleuchtend sein, der nicht zu dumm ist. Was die Weltpolitik anbelangt, werden wir loyal bis zum letzten Buchstaben nicht nur den Wortlaut des Bündnisvertrags erfüllen, sondern auch seinen Geist verteidigen. Unsere Armee wird nach dem sowjetischen Vorbild aufgebaut werden. Wir könnten uns an keinem besseren Vorbild orientieren als an dem der sowjetischen Armee, die dieser Tage unser Land befreit und die bereits vieles für uns geleistet hat. Die Programmerklärung unserer Regierung ist ein mutiges Dokument. Ich will mich für die Umsetzung dieses Programms einsetzen.“

Anežka Hodinová Spurná
Zum Anlass der Regierungsbildung in Košice kamen auch in London Exiltschechen zu einer Versammlung zusammen. Am Rednerpult stand auch Anežka Hodinová Spurná, eine kommunistische Frauenaktivistin und Mitglied des Tschechoslowakischen Staatsrates im Exil:

„Das tschechische Volk hat in den sechs Jahren von Unterdrückung und Erniedrigung nie aufgegeben. Es hat große und unvergessliche Opfer für seine Unabhängigkeit gebracht und durch seine kühnen kämpferischen Taten die Bereitschaft nachgewiesen, sich für seine Freiheit einzusetzen. Deswegen glauben wir, dass das tschechische Volk in dieser Zeit, in der alles auf dem Spiel steht, genug Kräfte haben wird, um seinen gesamtnationalen Krieg im Rücken des heimtückischen Feindes erfolgreich zu Ende zu führen - bis zur Erlangung der herrlichen Freiheit. Wir sind davon überzeugt, dass sich die tschechische Nation in der letzten Kriegsphase mit voller Kraft in ganzer Größe erhebt, um der ganzen Welt ihre hohen moralischen sowie kämpferischen Qualitäten zu zeigen, und die Deutschen voll und ganz zu schlagen.“.

Verstaatlichung der wirtschaftlichen Schlüsselbereiche

Regierungsprogramm Košice
Im Regierungsprogramm Košice wurden auch die Richtlinien für andere bedeutende Bereiche der Staatspolitik festgelegt. Als eine der Hauptaufgaben der Regierung wurde die Erneuerung der Volkswirtschaft definiert. Durch die Verstaatlichung ihrer Schlüsselbereiche sollte sie angekurbelt werden. Vorgesehen war zudem eine neue Sozialpolitik - wie es hieß „im Interesse aller Schichten der Werktätigen“. Als unverzüglich zu realisierende Aufgabe galt die Überführung „von Vermögen der Deutschen, Ungarn, Verräter und Kollaboranten“ ins Staatseigentum – nur das Eigentum deutscher und ungarischer Antifaschisten war davon ausgenommen.

Nach dem Krieg sollte sich bald zeigen, auf welchem Fundament der tschechoslowakisch-sowjetische Bündnisvertrag in Wirklichkeit ruhte. Von der vereinbarten Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten des anderen Staates konnte von Seiten der Sowjetunion keine Rede sein. Mit Stalins Hilfe gewannen die tschechoslowakischen Kommunisten immer mehr entscheidende Positionen in den Schlüsselbereichen des Staates. Durch einen politischen Umsturz am 25. Februar 1948 gelang es ihnen, das Ruder im Lande zur Gänze an sich zu reißen.