Arbeitstreffen statt rauschendes Fest

Das 41. Karlsbader Filmfestival badete in gutem Wetter, aber weniger im Glanz von Stars. Nach der Geburtstagsparty vom Vorjahr schien in diesem Jahr das Festival schien es erst einmal Luft holen zu müssen. Renate Zöller war vor Ort.

So verwirrend wie seine Musik war auch der Trailer des 41. Karlsbader Filmfestivals vom 30. Juni bis zum 8. Juli 2006. Die Feuilletons und das Publikum grübelten, was ihnen wohl der Mann mit den aufgesetzten Krallen an den Fingern sagen will. Was bedeutet es, wenn er sich wie eine Larve aus einem Koffer befreit? Und wozu der litaneiartige Gesang? Am Ende dann hält der mystische Held unter lautem Getöse eine glühende Filmrolle wie den heiligen Gral in die Luft, die sich dann in eine Art Sonne verwandelt. Eine Allegorie auf die Auswahl der Filmjury als die Suche nach dem heiligen Gral?

So viele Interpretationsmöglichkeiten es in diesem Jahr für den Trailer gab, so viele Meinung mag es auch zum Filmfestival geben. War im vergangenen Jahr noch das Jubiläum Anlass, Stars und Filme der Extraklasse anzubieten, lief es ruhiger in diesem Jahr. Manch einer war von dem Filmeangebot sogar enttäuscht. Wie etwa die tschechische Besucherin Kamila:

"Ja, klar, man kann sich die Filme aussuchen. Ich hab mir auch Filme rausgesucht von denen ich dachte, die würden mich ansprechen. Die waren jetzt auch nicht schlecht. Aber ich bin mit einem Film zufrieden, wenn ich das Gefühl habe, es hat mich angesprochen und es ist in mir für längere Zeit was von dem Film hängen geblieben. Und das war hier leider bei den Filmen nicht so."

Dabei gab es wie jedes Jahr eine riesige Auswahl. Ein ganzes Buch bekommt, wer sich akkreditiert, um sich zurecht zu finden. Die Qual der Wahl zwingt die Besucher jedoch dazu, sich auf bestimmte Kriterien zu konzentrieren. Kamila ist folgendermaßen vorgegangen:

"Ich wusste, an welchen konkreten Tagen ich da sein werde, also habe ich mich nur auf die Filme konzentriert, die an diesen Tagen vorgeführt wurden. Ich hab da so meine Favoriten, Länder, deren Filme ich ganz gerne mag und das war für mich ein Hauptkriterium. Auch inhaltlich habe ich da so meine Vorlieben, nach denen ich mich orientiert habe. Und dann muss man aufpassen, dass sich das Datum und die Uhrzeit nicht decken."

Regisseurin des amerikanischen Films Sherrybaby Laurie Collyer  (Foto: CTK)
Das birgt dann allerdings oft im Nachhinein die Enttäuschung, dass man die Filme, die von der Jury ausgezeichnet werden, verpasst hat. Den amerikanischen Film Sherrybaby, die Geschichte von einer ehemals drogenabhängigen Frau, die nach einer Gefängnisstrafe wieder Kontakt zu ihrer Tochter aufnimmt, der in diesem Jahr in Karlsbad den Kristallglobus gewonnen hat, hat der deutsche Besucher Till beispielsweise nicht gesehen. Ebenso wenig wie den österreichischen Streifen "Ansichten eines pensionierten Nachtwächters", der als bester Dokumentarfilm belohnt wurde. Aber eigentlich kümmere er sich sowieso garnicht um die Wettbewerbskategorien bei der Zusammenstellung seines persönlichen Kinoprogramms, erklärt Till:

"Ich schau mir wirklich nur an, was sagt mir der Film - und wenn das dann im Nachhinein ein Wettbewerbsfilm war und der war auch noch schön, ist bin ich froh. Aber eigentlich ist mir das egal. Wobei ich manchmal gezielt nach deutschen Filmen schaue. Ich finds ganz angenehm zwischendurch mal einen Film in meiner Sprache zu sehen, wo ich nicht ständig auf die Untertitel schauen muss."

Wo die Auswahljury künstlerisch besonders anspruchsvolle Streifen aussucht, sind oft die Filmlaien von derart hohem Anspruch eher überfordert. Wenn aber Filmindustrie und die Bedürfnisse der Zuschauer scheinbar so weit auseinander gehen, lohnt es sich dann überhaupt, sich den Trubel in der kleinen Kurstadt zuzumuten? Ja, findet Till, man muss halt nur bewusst wählen:

"Also das sind ja wirklich Filme, die ich sonst in Prag nie im Kino sehen könnte und in die ich vielleicht auch selbst ansonsten nicht gehen würde. Ich les mir das schon genauer durch und überleg mir, ob ich da Spaß dran habe. Mich interessieren nicht so exotische Länder wie Korea oder Japan, es muss auch nicht ein Film aus der Mongolei sein. Wenn mir die Geschichte ein bisschen zusagt und ich das Gefühl habe, dass die Charaktere interessant sind, das ist mir dann wichtiger als wenn es irgendeine Story ist, die vielleicht höchst künstlerisch in Japan gedreht wurde. Es muss mir ein bisschen was sagen."

Die langen Schlangen, die sich allmorgentlich vor den Kinokassen bilden, schrecken ihn nicht. Während Kamila sich als Neueinsteigerin in die Festivalwelt erst noch orientieren muss, hat Till nach dem vierten Besuch schon raus, wie er an die Tickets kommt:

"Letztlich ist es auch keine große Sache an die Kinokarten ranzukommen. Es gibt doch immer jemanden, der einem ein Ticket zusteckt oder sie liegen auch aus. Irgendwie kommt man immer doch in die Filme rein, die man sehen will."

Im Grunde ist das vielen Besuchern auch garnicht so wichtig. Denen geht es mehr um die Atmosphäre in der Stadt. Da hier alles so klein und überschaubar ist, ähnelt das Festival einer großen Privatparty mit sehr gemischtem Publikum. Auf dem Platz vor dem Festivalhotel Thermal tummeln sich die Leute in Erwartung der Stars. Imbissstände, Cocktailsbars und Souveniershops sorgen dafür, dass sie nicht die Geduld verlieren. Die Stars werden hier allerdings eigentlich nur kurz vorgefahren und verschwinden dann schnell im Thermal.

"Ich hab die Stars absolut verpasst, zumal ich die meisten wahrscheinlich auch gar nicht kenne. Aber ich habe einige tschechische Schauspieler gesehen, beim Kaffeetrinken oder beim Plaudern mit Bekannten und Freunden. Und das fand ich interessant, weil sie da nicht gestellt waren. Das war zum Beispiel im Restaurant vom Thermal oder vor der Toilette oder wo auch immer. Ja, das war interessant, die mal so unverstellt zu sehen."

Hotel Termal
Tatsächlich trifft sich die Prominenz eigentlich weniger auf der Straße als vielmehr auf den zahlreichen Parties, die jeden Abend stattfinden. Während die Jugend schon im Klub Rotes Berlin feiert, tafeln die VIP-Gäste längst im Edelhotel Pupp. Zur gleichen Zeit beginnen auf dem Golfplatzgelände die ersten Gäste zu tanzen. Und die Professionellen, die am liebsten unter sich sein wollen, geben sich alldieweil dem rauschenden Fest im Zelt des Captain Morgan oder in der legenden Musikbar Peklo im Keller des Thermal hin. An dem normalen Festivalbesucher gehen solcherlei Festivitäten allerdings meist vorbei, wie auch Till klagt:

"Also ehrlich gesagt, bei mir ist es immer so, dass ich von den wildesten Partys nur erzählt bekomme. Ich nehm das mit, aber für mich ist das nicht so wichtig. Obwohl: Ich würd schon gerne mal auf die allerwildeste Party mitgehen. Vielleicht bin ich ja im nächsten, übernächsten oder überübernächsten Jahr mal mit dabei."

Für Till war das Festival also allemal wieder ein Highlight und er freut sich schon auf das nächste Mal. Kamila dagegen ist nicht überzeugt.

"Ich war vielleicht ein bisschen enttäuscht, weil ich mit hohen Ansprüchen an das Festival herangegangen bin. Ich hatte von Vielen gehört, dass es etwas ganz Tolles und Besonderes ist. Es war nicht großartig. Ich würde sagen, es war interessant, es war etwas ganz ungewöhnliches hier in der Stadt, für mich, die ich Karlsbad ansonsten anders kenne. Aber ich würde nicht sagen, dass es so großartig wäre. Ich habe mich eher gewundert, dass besonders abends relativ wenige Leute hier waren. Und von denen, die hier waren, strahlte nichts Besonderes aus."

Karlovy Vary / Karlsbad
Gemischte Gefühle also dieses Jahr beim Festival in Karlsbad. Das Publikum war diesmal wohl nicht überwältigt. Die Kritiker aber freuten sich über die breite Auswahl an Filmen jenseits des Mainstreams. Und die tschechische Filmindustrie konnte das Festival getrost mit einem Toast beenden. Denn die Assoziation der tschechischen Produzenten hatte die Tage und ihre Medienwirksamkeit intensiv genutzt, um die Weichen für eine bessere Zukunft für den tschechischen Film zu stellen. Pavel Strnad vom Produzentenverband freut sich, seinem Ziel in Karlsbad entscheidend näher gerückt zu sein:

"Wir haben uns mit den Politikern nun darauf geeinigt, dass ein neues, komplexes Gesetz entworfen wird, das alle Bereiche des Filmbusiness berücksichtigen wird, nicht nur einen Teil. Wenn es zu diesem Gesetz kommt, wird auch das Budget für den Filmfonds aufgestockt werden. Für uns ist es das erste Mal, dass wir von staatlicher Seite eine Garantie bekommen, dass das Budget aufgestockt werden soll. Es gab eine klare Ansage, dass im kommenden Jahr dieser Fonds mehr Geld enthalten wird als in den vergangenen Jahren."

Nach dem rauschenden Fest vom Vorjahr schien das 41. Karlsbader Filmfestival also wohl eher ein fröhliches Arbeitstreffen für die Filmschaffenden zu sein. Applaus gabs trotzdem. Nur weniger stürmisch.

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