Archiv der legendären Jazz-Sektion geht an die Bremer Forschungsstelle Osteuropas
Die bei weitem bedeutendste Einrichtung der sog. "Grauzone" zwischen der staatlich lizenzierten und der inoffiziellen Kultur in der früheren CSSR war die sog. Jazz-Sektion. Entstanden 1971entfaltete sie in der Zeit zwischen der Niederschlagung des Prager Frühlings und der Samtenen Revolution von 1989 eine Reihe unabhängiger Aktivitäten, die weit über den Rahmen der Jazzmusik hinausgingen. 1984 wurde sie endgültig verboten, gab aber im Samizdat weiterhin Publikationen heraus. Am Dienstag ging das umfangreiche Archiv der Jazz-Sektion offiziell in den Besitz der Bremer Forschungsstelle Osteuropas über. Silja Schultheis war bei der Übergabe in den Räumlichkeiten der Jazz-Sektion auf der Prager Kleinseite dabei.
Warum eigentlich, so mag man sich fragen, wird ein solch bedeutendes Archiv der tschechoslowakischen "Grauzone" an eine deutsche Forschungseinrichtung übergeben? Karel Srp, der die "Jazz-Sektion" bislang in Prag betreut hat, sagte dazu in seiner Ansprache:
"Einer der Gründe ist der, dass während der letzten zwölf Jahre keine tschechische Organisation Interesse an diesen Schriftstücken gezeigt hat."
Er habe, so Srp weiter, vollstes Vertrauen in den neuen Besitzer des Archivs, die Bremer Forschungsstelle Osteuropas, von der die Jazz-Sektion bereits während des Kommunismus breite Unterstützung erfahren habe. Was man nun in Bremen mit den zahlreichen Dokumenten vorhat, fragte ich Ivo Bock von der Forschungsstelle Osteuropas:
"Zunächst einmal wird es natürlich ordnungsgemäß archiviert. Und wir haben vor, schon ziemlich bald ein Drittmittelprojekt zu beantragen, das die Bearbeitung des Archivs zum Ziel haben soll, eine Rekonstruktion der Geschichte der Jazz-Sektion. Und ich glaube, dass das Archiv in Bremen in guter Gesellschaft sein wird. Wir haben ja ähnliche Materialien aus allen Ländern des früheren Ostblocks, vor allem aus der Sowjetunion, Polen und der Tschechoslowakei."
Die besondere Herausforderung für die Bearbeitung des Archivs sieht Ivo Bock weniger in den einzelnen Schriftstücken, die ihm zu einem guten Teil bereits bekannt sind, als vielmehr in der generellen Eigenschaft der Jazz-Sektion als Bestandteil des damaligen zunächst offiziellen, dann zunehmend inoffiziellen Kulturbetriebs:
"Das ist für mich auch so eine exemplarische Analyse, wie die Grenzen verliefen, welche Aktivitäten dazu führten, dass man aus dem offiziellen Sektor verdrängt wurde. Es ist ja nicht so, dass die Jazz-Sektion freiwillig beschlossen hat, wir wollen jetzt inoffiziell arbeiten. Sondern sie hat einfach unabhängig gearbeitet, vor allem in ihrer Publikationstätigkeit, aber auch bei der Organisation der Prager Jazztage, der Herausgabe von Kunstkatalogen usf. Und sie hat sich eben an keine Vorgaben gehalten."
Die Geschichte der Jazz-Sektion ist - wie bereits erwähnt - noch nicht geschrieben. Dass dies nun in Deutschland geschehen wird und nicht in ihrem Heimatland, betrachtet Wolfgang Eichwede, Leiter der Forschungsstelle, nicht als entscheidend. Auf die leicht enttäuschte Erwähnung des mangelnden tschechischen Interesses an dem Archiv durch Karel Srp entgegnet er:
"Ich möchte ihn auf der einen Seite trösten und ihm sagen: das kommt auch wieder, das Interesse. Und auf der anderen Seite kann ja in einem gemeinsamen Kontinent und unter Nachbarn hier über die Grenzen hinweg dann eine solche Arbeit aufgenommen werden. Der Jazz hat nie Grenzen gekannt."