Aus Nordböhmen über Deutschland nach Prag: Monsignore Pilz
Er ist katholischer Priester und Liederautor: Winfried Pilz stammt aus dem nordböhmischen Varnsdorf / Warnsdorf und ist nach mehr als 65 Jahren nach Böhmen zurückgekehrt. Der langjährige Leiter der Sternsinger-Aktion in Deutschland lebt seit vergangenem Jahr in Prag. Er betreut hier als Seelsorger die deutschsprachige katholische Gemeinde.
„Das war eine ganz gute Fügung. Wir haben unsere Stadt 1946 verlassen und sind dann über Umwegen, über die alte DDR, über Mecklenburg nach Saalfeld in Thüringen gekommen. 1952 sind wir dann weiter in die Richtung Köln umgezogen. Dort habe ich die Schule besucht und bin Priester geworden. Jetzt bin ich aber im Ruhestand. Als der Ruhestand so nach und nach kam, stellte sich für mich die Frage, wo ich bleiben werde. Dann hatte ich die Idee, mich an der sächsisch-böhmischen Grenze niederzulassen. Dort habe ich auch eine kleine Wohnung. Ich wollte einfach da sein und den Menschen über die Grenze hinweg begegnen, ihnen in der Kirche helfen. Kardinal Meisner, der Erzbischof von Köln, sagte aber: ´Dann können Sie ja auch noch etwas mehr machen. ´ Er fragte mich, ob ich nicht nach Prag gehen wollte, so für fünf Jahre.“
Sie betreuen jetzt seit etwa einem Jahr die deutschsprachige katholische Gemeinde in Prag. Wer sind die Mitglieder der Gemeinde, und kommen auch viele Touristen in Ihre Kirche?„Es ist eine etwas kuriose Situation. Eigentlich gibt es diese Gemeinde gar nicht mehr. Die deutschen Bischöfe haben vor Jahren mal gesagt, sie lösen die Gemeinde auf, weil diejenigen, die hier beteiligt sind, ja auch in ihren Heimatländern an der Tätigkeit einer Gemeinde beteiligt sind. An den hohen Feiertagen wie Weihnachten oder Ostern sind die in Prag lebenden Katholiken zu Hause in Österreich, Bayern oder Sachsen. Aber als ich in den Ruhestand ging, haben die Bischöfe gesagt: ´Nun mach das mal! ´ Und ich mache das halb ehrenamtlich. Ich bin zwar richtig beauftragt, aber eigentlich mache ich es auf Zeit und vor allem aus Freude an der Sache. Ich werde die Seelsorgerarbeit auch nicht unendlich lange machen, aber ich wäre froh, wenn sich die Gemeinde vor Ort entwickelt und stabilisiert. Wir sind natürlich sehr froh, dass wir die sehr schöne Kirche St. Johann Nepomuk am Felsen benutzen dürfen. Diese Dientzenhofer-Kirche ist nicht allzu groß, sodass es hier immer auch familiär wirkt, selbst wenn nur zwanzig Leute da sind. Die Menschen, die sich hier als deutsche Gemeinde verstehen, das ist eine fließende Sache. Es sind viele junge Familien, weil die Väter manchmal auch nur drei oder vier Jahre hier arbeiten und dann wieder weg sind. Man guckt also sonntags immer aus der Sakristei und schaut, wer denn heute da ist. Aber das Interesse von außerhalb ist riesengroß. Ich habe also eine Art Gästebuch in unserem Internet entwickelt, wo ich aufgelistet habe, wer uns schon alles besucht hat. Welche Chöre, welche Gruppen, welche Schulklassen in unsere Messe kommen – das ist unglaublich. Es würde sich schon sehr lohnen, diese Kontaktstelle als eine Art Drehscheibe hier ordentlich aufzubauen.“
Als Sie Varnsdorf verließen, waren sie – wenn ich richtig gerechnet habe – noch ein kleines Kind. Erinnern Sie sich noch an etwas aus dieser Zeit?
„Ja, ziemlich genau. Ich war sechs Jahre alt, als wir weggehen mussten. Als der Krieg zu Ende war, war ich also fünf. Ich erinnere mich zum Beispiel noch daran, wie damals die russischen Militärs in unsere Stadt einrückten. Ich hatte noch einen kleinen Bruder, der war damals erst zwei Jahre alt. Dann hatte ich ja ein ganzes Jahr Zeit, bis es so weit war, dass auch wir weggezogen sind. Das lag daran, dass meine Mutter ein städtisches Bad leitete. Heutzutage nennt man es Physiotherapie. Der tschechische Bürgermeister von Varnsdorf setzte sich zweimal dafür ein, dass Frau Pilz mit der Familie nicht vertrieben werden sollte, denn die Stadt hatte sie gebraucht.“
Wann haben Sie dann Varnsdorf zum ersten Mal wiedergesehen?„Das hat 45 Jahre gedauert. Wir haben in Polen eine Jugendbegegnung gemacht und sind mit dem Auto auf der Rückreise hier durch die Region gefahren. Da stand dann auf einmal ein Schild: „Varnsdorf – 50 km“. Da habe ich dann gesagt: ´Wir fahren hin!´ Das war dann ein schönes Wiedersehen.“
Haben Sie die Stadt noch erkannt?
„Ja! Das ist sogar ganz verrückt, ich habe mich noch ganz ausgezeichnet zurechtgefunden. Nur mit einem Unterschied: Für ein Kind ist alles viel größer: der Marktplatz, die Kirche, die Abstände und die Häuser. Wenn man dann als Erwachsener wiederkommt, dann ist es fast wie eine Puppenstube, also irgendwie geschrumpft. Aber ich habe alles wiedererkannt!“Ich habe von Ihnen gehört, dass sie ein großer Musikliebhaber sind und auch selbst Lieder schreiben. Hängt dies auch mit Ihren böhmischen Wurzeln irgendwie zusammen?
„Ja, das ist vielleicht auch eine Mitgift dieses Landes. In Tschechien wie in Deutschland wird gerne erzählt und zudem auch gerne gesungen und musiziert. Ich bin übrigens ganz froh, dass dem so ist. Ich habe schon als Junge Geige gelernt und mir später dann etwas Gitarre und Akkordeon angeeignet. Dann habe ich angefangen, so hin und wieder mal ein Lied zu schreiben und habe festgestellt: ´Diese Lieder werden gesungen!´ Auch die Profis haben die Lieder offenbar ganz gut gefunden. Ich bin ja Amateur. Seitdem schreibe ich Lieder, und zwar meistens beim Autofahren zwischen Prag und Leutersdorf in Sachsen, ich fahre öfters hin und her.“
„Eigentlich alles. Es kommt vor, dass es einen Text gibt, zu dem mir eine Melodie dann einfällt. Und es kommt vor, dass ich ein Lied von jemandem anderen finde – manchmal geht es um ausländische Lieder -, bei denen die Melodie existiert und ich dazu einen Text mache. Es kommt aber auch vor, dass beides gleichzeitig entsteht.“
Haben Sie auch eine besondere Beziehung zur Musik aus Böhmen?
„Zwei Musikstücke aus Böhmen haben mich mein ganzes Leben lang begleitet: Erstens die Sonatine G-Dur von Dvořák, die habe ich auf der Geige oft gespielt. Dann habe ich in Altenberg einen Kantor gefunden, der hatte sich sehr in die böhmische Hirtenmesse (Česká mše vánoční, Anm. d. Red.) verliebt. Diese böhmische Hirtenmesse hat er dann einmal beim Gottesdienst aufgeführt. Ich habe ihm gesagt, dass es für die Liturgie nicht ganz richtig ist. und ihm vorgeschlagen, die Messe bei einem Konzert zu spielen, bei dem ich etwas dazu erzählen werde. Das haben wir dann sehr oft gemacht. Jetzt wundere ich mich natürlich, dass ich auf einmal im Lande der Ryba-Messe lebe.“
Haben Sie da auch mitgespielt oder mitgesungen?
„Einmal bin ich nach den Erzählstücken in das Orchester hineingestiegen. Da war noch ein Stuhl frei, und eine Bratsche lag schon da - und ich habe das letzte Stück mitgespielt. Aber ich kenne die Hirtenmesse inzwischen ziemlich gut. Was das Amateurhafte daran angeht, das ist bei Jakub Jan Ryba das Geniale: Er ist ja ein Profi gewesen. Ein Kantor oder Lehrer, wie es sie damals auf dem Land gab, musste einfach für den nächsten Sonntag eine Messe schreiben. Er hat die aber sehr einfach geschrieben, zwar meisterhaft, aber sehr einfach, damit die Laien sie singen konnten. Mit Varnsdorf ist noch ein bedeutendes Musikereignis verbunden: Ich bin sehr stolz darauf, dass in meiner Pfarrkirche, wo ich getauft bin, zum ersten Mal überhaupt die Missa solemnis von Beethoven aufgeführt wurde. Das hat ein Lehrer hinbekommen, er hat ein Orchester zusammengestellt, einen Chor sowie Solisten. es gibt auch eine Plakette, die das erwähnt.“
Sie haben auch mehrere Jahre lang das Sternsingen in Deutschland geleitet. Wie kam es dazu?„Das habe ich mich auch gefragt. Ich habe schon früh immer gerne gesungen und in der ersten Pfarrei das Sternsingen eingeführt. In Deutschland war es damals noch nicht so verbreitet wie heutzutage. Dann hat sich das aber unheimlich ausgebreitet, sodass im Augenblick jedes Jahr eine halbe Million Kinder in kleinen Gruppen durch Deutschland ziehen und Sternsingen machen.“
Machen Sie auch hierzulande beim Sternsingen mit?
„Ich gehe gerne in die Loretto-Kirche oben auf dem Hradschin. Das hat damit zu tun, dass ich mich mit dieser Loretto-Idee mal befasst habe und in Italien in Loretto war und verstanden habe, was das bedeuten soll. Der Kern der Kapelle soll symbolisieren, dass Gott einfach unter den Menschen, im Alltag lebt. In der Nähe von Varnsdorf gibt es die Stadt Rumburk, und dort steht auch so eine Loretto-Kirche. Ich glaube, das ist die nördlichste Loretto-Kirche überhaupt. Diese wurde wieder sehr schön hergerichtet. Und dazu habe ich eine Beziehung.“
Haben Sie auch in anderen Kirchen Gottesdienste in Prag zelebriert?„Ich habe verschiedene Gottesdienste mitgefeiert - auch in der St.-Veit-Kathedrale. Ich habe auch einen jungen Küster und Assistenten, der in St. Thomas auf der Kleinseite und auch in St. Kajetán in der Nerudova engagiert ist. Dort war ich auch. In der Theynkirche habe ich einmal eine Hochzeitsmesse vorgelesen, dort ist es auch sehr schön. Vor allem aber haben wir auch ein gutes Miteinander in der Ökumene. Die evangelische Gemeinde ist ja sehr gut organisiert und sehr aktiv und hat in St. Martin in der Mauer den Sitz. Dort wird demnächst ein Jahresschlussgottesdienst zelebriert. Wir arbeiten sehr gut zusammen, und es ist klar, dass ich dort auch sehr oft im Gottesdienst bin.“
Besuchen Sie ab und zu, jetzt, wo Sie in Prag sind, die Region ihrer Kindheit?
„Ja, selbstverständlich. Fast jede Woche. Das sind etwa 120 Kilometer - und ich fahre immer durch das Dorf, in dem früher meine Mutter gewohnt hat: Studánka, Schönborn. Oben auf der Höhe steht die Pfarrkirche von Schönborn, eine weiße, weithin sichtbare Kirche. Nach allen Richtungen sieht man ihren Turm wie einen Leuchtturm da oben stehen. Die Kirche ist 60 Jahre lang von den dortigen Frauen ganz liebevoll gepflegt worden, sodass sie innen sehr schön ist. Der Turm musste jetzt mal saniert werden, weil er dem Wetter ausgesetzt ist, damit Frost und Regen nicht irgendwann in die Kirche eindringen und die Kirche beschädigen. Da gibt es eine Initiative, die es geschafft hat: Jetzt steht ein Gerüst da, und der Turm wird saniert. Ich finde das deshalb sehr eindrucksvoll, weil hier an der Grenze damit so ein Zeichen der Hoffnung steht - diese Kirche steht genau auf einer Wasserscheide zwischen Oder und Elbe. Ich sage auch immer, als Autofahrer, der manchmal hinter großen Lastwagen herfahren muss, es ist auch eine Kirche an der Straße, eine Kirche auf dem Weg. Das hat ja sehr viel Symbolträchtiges, was uns auch zum Weiterdenken anregt.“